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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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liegt der Wert der Geldsubstanz als solcher darin, dass ihre gesamten
Verwendungsmöglichkeiten aufgeopfert werden müssen, damit sie Geld
sei. Diese Wertungsart muss natürlich zweiseitig wirksam sein, d. h.
der Geldstoff muss auch eine Werterhöhung seiner sonstigen Nutzbar-
keiten durch den Verzicht auf seine Verwertung als Geld erfahren.
Wenn der Wampum der Indianer aus Muschelschalen bestand, die als
Geld dienten, aber auch als Gürtel zum Schmuck getragen wurden,
so finden sich diese Funktionen offenbar in reiner Wechselwirkung:
auch die Bedeutung der Muscheln als Schmuck hat ganz sicher einen
besonderen Oberton von Vornehmheit dadurch erhalten, dass man
um ihretwillen auf die unmittelbar mögliche Verwendung als Geld
verzichtete. Man kann diesen ganzen Typus als einen Fall des
Seltenheitswertes ansehen. Gewöhnlich wird derselbe nur so dargestellt,
dass ein Objekt einem gewissen Bedürfnis entspricht, das an mehr In-
dividuen oder in stärkerer Intensität vorhanden ist, als das gegebene
Quantum des Objekts zu decken vermag. Wenn hier nun die ver-
schiedenen
Bedürfnisse, denen das gleiche Objekt dienen kann, um
dasselbe konkurrieren -- sei es innerhalb desselben Individuums, sei
es zwischen mehreren Individuen -- so gründet sich doch auch dieses
natürlich auf die Beschränktheit des Vorrats, die nicht gestattet, dass
jedes dieser Bedürfnisse sein Genüge finde. Wenn der Verkehrswert
etwa des Getreides darauf zurückgeht, dass nicht genug Getreide da
ist, um jeden Hunger ohne weiteres zu stillen, so der des Geldstoffes
darauf, dass nicht genug davon vorhanden ist, um damit ausser dem
Bedürfnis nach Geld noch alle anderen auf ihn gerichteten zu befrie-
digen. So weit entfernt also, dass der Verzicht auf anderweitige Ver-
wertung das Metall als Geld auf eine Wertstufe mit sonst völlig un-
verwertbaren Stoffen herabsetzte, sehen wir jetzt grade, dass die mög-
lichen, aber unverwirklichten Verwertungen zu dem Wert, den es als
Geld hat, aufs erheblichste mitwirken.

Noch unmittelbarer als die so widerlegte Meinung von der Wert-
losigkeit des Geldstoffes will auch die folgende uns glauben machen,
dass das Geld kein Wert sein kann. Denkt man sich nämlich eine
absolut mächtige Persönlichkeit, der innerhalb eines bestimmten Kreises
despotisches Verfügungsrecht über alles zustünde, worauf ihr Wunsch
sich richtet -- wie man von Häuptlingen in der Südsee sagt, dass sie
"nicht stehlen können", weil ihnen von vornherein alles gehört --,
so würde ein solches Wesen niemals Veranlassung haben, sich auch
das Geld dieses Kreises anzueignen, da es ja alles dessen, was es für
Geld haben könnte, sich auch ohne dies unmittelbar bemächtigen darf.
Wäre das Geld ein Wert, der zu den sonst vorhandenen Werten hinzu-

liegt der Wert der Geldsubstanz als solcher darin, daſs ihre gesamten
Verwendungsmöglichkeiten aufgeopfert werden müssen, damit sie Geld
sei. Diese Wertungsart muſs natürlich zweiseitig wirksam sein, d. h.
der Geldstoff muſs auch eine Werterhöhung seiner sonstigen Nutzbar-
keiten durch den Verzicht auf seine Verwertung als Geld erfahren.
Wenn der Wampum der Indianer aus Muschelschalen bestand, die als
Geld dienten, aber auch als Gürtel zum Schmuck getragen wurden,
so finden sich diese Funktionen offenbar in reiner Wechselwirkung:
auch die Bedeutung der Muscheln als Schmuck hat ganz sicher einen
besonderen Oberton von Vornehmheit dadurch erhalten, daſs man
um ihretwillen auf die unmittelbar mögliche Verwendung als Geld
verzichtete. Man kann diesen ganzen Typus als einen Fall des
Seltenheitswertes ansehen. Gewöhnlich wird derselbe nur so dargestellt,
daſs ein Objekt einem gewissen Bedürfnis entspricht, das an mehr In-
dividuen oder in stärkerer Intensität vorhanden ist, als das gegebene
Quantum des Objekts zu decken vermag. Wenn hier nun die ver-
schiedenen
Bedürfnisse, denen das gleiche Objekt dienen kann, um
dasselbe konkurrieren — sei es innerhalb desselben Individuums, sei
es zwischen mehreren Individuen — so gründet sich doch auch dieses
natürlich auf die Beschränktheit des Vorrats, die nicht gestattet, daſs
jedes dieser Bedürfnisse sein Genüge finde. Wenn der Verkehrswert
etwa des Getreides darauf zurückgeht, daſs nicht genug Getreide da
ist, um jeden Hunger ohne weiteres zu stillen, so der des Geldstoffes
darauf, daſs nicht genug davon vorhanden ist, um damit ausser dem
Bedürfnis nach Geld noch alle anderen auf ihn gerichteten zu befrie-
digen. So weit entfernt also, daſs der Verzicht auf anderweitige Ver-
wertung das Metall als Geld auf eine Wertstufe mit sonst völlig un-
verwertbaren Stoffen herabsetzte, sehen wir jetzt grade, daſs die mög-
lichen, aber unverwirklichten Verwertungen zu dem Wert, den es als
Geld hat, aufs erheblichste mitwirken.

Noch unmittelbarer als die so widerlegte Meinung von der Wert-
losigkeit des Geldstoffes will auch die folgende uns glauben machen,
daſs das Geld kein Wert sein kann. Denkt man sich nämlich eine
absolut mächtige Persönlichkeit, der innerhalb eines bestimmten Kreises
despotisches Verfügungsrecht über alles zustünde, worauf ihr Wunsch
sich richtet — wie man von Häuptlingen in der Südsee sagt, daſs sie
„nicht stehlen können“, weil ihnen von vornherein alles gehört —,
so würde ein solches Wesen niemals Veranlassung haben, sich auch
das Geld dieses Kreises anzueignen, da es ja alles dessen, was es für
Geld haben könnte, sich auch ohne dies unmittelbar bemächtigen darf.
Wäre das Geld ein Wert, der zu den sonst vorhandenen Werten hinzu-

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[119/0143] liegt der Wert der Geldsubstanz als solcher darin, daſs ihre gesamten Verwendungsmöglichkeiten aufgeopfert werden müssen, damit sie Geld sei. Diese Wertungsart muſs natürlich zweiseitig wirksam sein, d. h. der Geldstoff muſs auch eine Werterhöhung seiner sonstigen Nutzbar- keiten durch den Verzicht auf seine Verwertung als Geld erfahren. Wenn der Wampum der Indianer aus Muschelschalen bestand, die als Geld dienten, aber auch als Gürtel zum Schmuck getragen wurden, so finden sich diese Funktionen offenbar in reiner Wechselwirkung: auch die Bedeutung der Muscheln als Schmuck hat ganz sicher einen besonderen Oberton von Vornehmheit dadurch erhalten, daſs man um ihretwillen auf die unmittelbar mögliche Verwendung als Geld verzichtete. Man kann diesen ganzen Typus als einen Fall des Seltenheitswertes ansehen. Gewöhnlich wird derselbe nur so dargestellt, daſs ein Objekt einem gewissen Bedürfnis entspricht, das an mehr In- dividuen oder in stärkerer Intensität vorhanden ist, als das gegebene Quantum des Objekts zu decken vermag. Wenn hier nun die ver- schiedenen Bedürfnisse, denen das gleiche Objekt dienen kann, um dasselbe konkurrieren — sei es innerhalb desselben Individuums, sei es zwischen mehreren Individuen — so gründet sich doch auch dieses natürlich auf die Beschränktheit des Vorrats, die nicht gestattet, daſs jedes dieser Bedürfnisse sein Genüge finde. Wenn der Verkehrswert etwa des Getreides darauf zurückgeht, daſs nicht genug Getreide da ist, um jeden Hunger ohne weiteres zu stillen, so der des Geldstoffes darauf, daſs nicht genug davon vorhanden ist, um damit ausser dem Bedürfnis nach Geld noch alle anderen auf ihn gerichteten zu befrie- digen. So weit entfernt also, daſs der Verzicht auf anderweitige Ver- wertung das Metall als Geld auf eine Wertstufe mit sonst völlig un- verwertbaren Stoffen herabsetzte, sehen wir jetzt grade, daſs die mög- lichen, aber unverwirklichten Verwertungen zu dem Wert, den es als Geld hat, aufs erheblichste mitwirken. Noch unmittelbarer als die so widerlegte Meinung von der Wert- losigkeit des Geldstoffes will auch die folgende uns glauben machen, daſs das Geld kein Wert sein kann. Denkt man sich nämlich eine absolut mächtige Persönlichkeit, der innerhalb eines bestimmten Kreises despotisches Verfügungsrecht über alles zustünde, worauf ihr Wunsch sich richtet — wie man von Häuptlingen in der Südsee sagt, daſs sie „nicht stehlen können“, weil ihnen von vornherein alles gehört —, so würde ein solches Wesen niemals Veranlassung haben, sich auch das Geld dieses Kreises anzueignen, da es ja alles dessen, was es für Geld haben könnte, sich auch ohne dies unmittelbar bemächtigen darf. Wäre das Geld ein Wert, der zu den sonst vorhandenen Werten hinzu-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/143>, abgerufen am 23.11.2024.