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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Höchstes zu geben hätten -- nicht nur an und für sich liegt darin
eine königliche Verschwendung, eine lässige Grossartigkeit des Daseins,
sondern jenseits dieses Eigenwertes des Nichtgeniessens strahlt von ihm
auch auf das, was wir nun wirklich besitzen, ein neuer, erhöhender,
konzentrierender Reiz hinüber. Dass von den unzähligen Möglichkeiten
des Lebens grade diese zur Wirklichkeit geworden ist, verleiht ihr
einen sieghaften Ton, die Schatten der unerlösten, ungenossenen Fülle
des Lebens bilden ihr Triumphgeleit. Und so nicht nur in dem, was
wir geniessen, sondern auch in dem, was wir thun. Plötzliche,
zwingende Anforderungen belehren uns oft, dass wir Begabungen
und Kräfte für bisher fernliegendste Aufgaben besitzen, Energien, die
für immer latent geblieben wären, wenn nicht irgend eine zufällige
Not sie herausgelockt hätte. Das weist darauf hin, dass in jedem
Menschen ausser den Kräften, die er bewährt, noch eine unbestimmte
Menge anderer Potenzen schlummern, dass schliesslich aus jedem vieles
andere hätte werden können, als thatsächlich geworden ist. Wenn
nun das Leben von diesen vielen Möglichkeiten nur eine sehr begrenzte
Anzahl zur Bewährung zulässt, so erscheinen diese um so bedeutsamer
und kostbarer, je deutlicher wir empfinden, aus wie vielen sie die Aus-
wahl darstellen, wie viele Bethätigungsformen unentwickelt bleiben und
ihr Kraftquantum jenen überlassen müssen, damit sie zur Entfaltung
gelangen. Indem so eine Fülle an sich möglicher Bewährungen ge-
opfert wird, damit es zu einer bestimmten komme, stellt diese gleich-
sam den Extrakt eines sehr viel weiteren Umfangs von Lebensener-
gien dar und zieht aus der Versagtheit der Entwicklung dieser eine
Bedeutung und Pointiertheit, einen Ton von Erlesenheit und gesam-
melter Kraft, die sie, über die von ihr direkt erfüllte Provinz unseres
Wesens hinaus, zum Brennpunkt und Vertreter seines Gesamtumfanges
macht.

In diesen allgemeinen Typus der Wertbildung mag sich das Geld
zunächst einreihen. Es ist sicher richtig, dass die sonstigen Werte des
Geldstoffes ausser Funktion treten müssen, damit dieser eben Geld
werde; allein der Wert, den er als solches besitzt, und der ihn als
solches funktionieren lässt, kann von denjenigen Verwertungsmöglich-
keiten bestimmt werden, auf die er verzichten muss. Wie in allen
eben behandelten Fällen setzt sich der empfundene Wert der verwirk-
lichten Funktion aus ihrem positiven Inhalt und der mitwirkenden
Verneintheit jener anderen, über deren Opfer sie sich erhebt, zu-
sammen. Nicht dass diese anderen Funktionen wirken, sondern dass
sie nicht wirken, ist hier das Wirksame. Wenn dies den Wert eines
Objektes bestimmt, dass um seinetwillen ein Opfer gebracht wird, so

Höchstes zu geben hätten — nicht nur an und für sich liegt darin
eine königliche Verschwendung, eine lässige Groſsartigkeit des Daseins,
sondern jenseits dieses Eigenwertes des Nichtgenieſsens strahlt von ihm
auch auf das, was wir nun wirklich besitzen, ein neuer, erhöhender,
konzentrierender Reiz hinüber. Daſs von den unzähligen Möglichkeiten
des Lebens grade diese zur Wirklichkeit geworden ist, verleiht ihr
einen sieghaften Ton, die Schatten der unerlösten, ungenossenen Fülle
des Lebens bilden ihr Triumphgeleit. Und so nicht nur in dem, was
wir genieſsen, sondern auch in dem, was wir thun. Plötzliche,
zwingende Anforderungen belehren uns oft, daſs wir Begabungen
und Kräfte für bisher fernliegendste Aufgaben besitzen, Energien, die
für immer latent geblieben wären, wenn nicht irgend eine zufällige
Not sie herausgelockt hätte. Das weist darauf hin, daſs in jedem
Menschen auſser den Kräften, die er bewährt, noch eine unbestimmte
Menge anderer Potenzen schlummern, daſs schlieſslich aus jedem vieles
andere hätte werden können, als thatsächlich geworden ist. Wenn
nun das Leben von diesen vielen Möglichkeiten nur eine sehr begrenzte
Anzahl zur Bewährung zuläſst, so erscheinen diese um so bedeutsamer
und kostbarer, je deutlicher wir empfinden, aus wie vielen sie die Aus-
wahl darstellen, wie viele Bethätigungsformen unentwickelt bleiben und
ihr Kraftquantum jenen überlassen müssen, damit sie zur Entfaltung
gelangen. Indem so eine Fülle an sich möglicher Bewährungen ge-
opfert wird, damit es zu einer bestimmten komme, stellt diese gleich-
sam den Extrakt eines sehr viel weiteren Umfangs von Lebensener-
gien dar und zieht aus der Versagtheit der Entwicklung dieser eine
Bedeutung und Pointiertheit, einen Ton von Erlesenheit und gesam-
melter Kraft, die sie, über die von ihr direkt erfüllte Provinz unseres
Wesens hinaus, zum Brennpunkt und Vertreter seines Gesamtumfanges
macht.

In diesen allgemeinen Typus der Wertbildung mag sich das Geld
zunächst einreihen. Es ist sicher richtig, daſs die sonstigen Werte des
Geldstoffes auſser Funktion treten müssen, damit dieser eben Geld
werde; allein der Wert, den er als solches besitzt, und der ihn als
solches funktionieren läſst, kann von denjenigen Verwertungsmöglich-
keiten bestimmt werden, auf die er verzichten muſs. Wie in allen
eben behandelten Fällen setzt sich der empfundene Wert der verwirk-
lichten Funktion aus ihrem positiven Inhalt und der mitwirkenden
Verneintheit jener anderen, über deren Opfer sie sich erhebt, zu-
sammen. Nicht daſs diese anderen Funktionen wirken, sondern daſs
sie nicht wirken, ist hier das Wirksame. Wenn dies den Wert eines
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[118/0142] Höchstes zu geben hätten — nicht nur an und für sich liegt darin eine königliche Verschwendung, eine lässige Groſsartigkeit des Daseins, sondern jenseits dieses Eigenwertes des Nichtgenieſsens strahlt von ihm auch auf das, was wir nun wirklich besitzen, ein neuer, erhöhender, konzentrierender Reiz hinüber. Daſs von den unzähligen Möglichkeiten des Lebens grade diese zur Wirklichkeit geworden ist, verleiht ihr einen sieghaften Ton, die Schatten der unerlösten, ungenossenen Fülle des Lebens bilden ihr Triumphgeleit. Und so nicht nur in dem, was wir genieſsen, sondern auch in dem, was wir thun. Plötzliche, zwingende Anforderungen belehren uns oft, daſs wir Begabungen und Kräfte für bisher fernliegendste Aufgaben besitzen, Energien, die für immer latent geblieben wären, wenn nicht irgend eine zufällige Not sie herausgelockt hätte. Das weist darauf hin, daſs in jedem Menschen auſser den Kräften, die er bewährt, noch eine unbestimmte Menge anderer Potenzen schlummern, daſs schlieſslich aus jedem vieles andere hätte werden können, als thatsächlich geworden ist. Wenn nun das Leben von diesen vielen Möglichkeiten nur eine sehr begrenzte Anzahl zur Bewährung zuläſst, so erscheinen diese um so bedeutsamer und kostbarer, je deutlicher wir empfinden, aus wie vielen sie die Aus- wahl darstellen, wie viele Bethätigungsformen unentwickelt bleiben und ihr Kraftquantum jenen überlassen müssen, damit sie zur Entfaltung gelangen. Indem so eine Fülle an sich möglicher Bewährungen ge- opfert wird, damit es zu einer bestimmten komme, stellt diese gleich- sam den Extrakt eines sehr viel weiteren Umfangs von Lebensener- gien dar und zieht aus der Versagtheit der Entwicklung dieser eine Bedeutung und Pointiertheit, einen Ton von Erlesenheit und gesam- melter Kraft, die sie, über die von ihr direkt erfüllte Provinz unseres Wesens hinaus, zum Brennpunkt und Vertreter seines Gesamtumfanges macht. In diesen allgemeinen Typus der Wertbildung mag sich das Geld zunächst einreihen. Es ist sicher richtig, daſs die sonstigen Werte des Geldstoffes auſser Funktion treten müssen, damit dieser eben Geld werde; allein der Wert, den er als solches besitzt, und der ihn als solches funktionieren läſst, kann von denjenigen Verwertungsmöglich- keiten bestimmt werden, auf die er verzichten muſs. Wie in allen eben behandelten Fällen setzt sich der empfundene Wert der verwirk- lichten Funktion aus ihrem positiven Inhalt und der mitwirkenden Verneintheit jener anderen, über deren Opfer sie sich erhebt, zu- sammen. Nicht daſs diese anderen Funktionen wirken, sondern daſs sie nicht wirken, ist hier das Wirksame. Wenn dies den Wert eines Objektes bestimmt, daſs um seinetwillen ein Opfer gebracht wird, so

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/142>, abgerufen am 23.11.2024.