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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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II.

Bei alledem muss festgehalten werden, dass so nur eine Rich-
tung der Entwicklung
bestimmt wird, der Entwicklung, die
mit einem wirklichen Werte des Geldstoffes, allen anderen Werten
koordiniert, begonnen hat. Deshalb müssen einige naheliegende Vor-
stellungen widerlegt werden, die scheinbar mit der unsrigen von der
Wertlosigkeit der Geldsubstanz übereinstimmen, indem sie den Unter-
schied des Geldes gegen alle anderen Werte betonen und mit diesem
beweisen wollen, dass das Geld prinzipiell kein Wert derselben Art
wie diese sein kann. Es wurde damit, wie so oft, in der Form der
Erstarrung und der Vorwegnahme festgelegt, was sich nur in unend-
licher Annäherung vollziehen kann. Aus der Abwehr des dogmatischen
Wertes des Geldes dürfen wir nicht in ein Dogma von seinem Nicht-
wert verfallen, zu dem die folgenden Vorstellungen verführen könnten.
Es scheint, als ob selbst das nutzbarste Objekt, um als Geld zu
funktionieren, auf seine Nützlichkeit verzichten müsste. Wenn z. B.
in Abessinien besonders zugeschnittene Stücke Steinsalz als Scheide-
münze kursieren, so sind sie doch eben Geld nur dadurch, dass man
sie nicht als Salz gebraucht. An der Somaliküste zirkulierten früher
Stücke blauen Baumwollstoffes, jedes zwei Ellen gross, als Geld; ein
so grosser Fortschritt im Sinne des Geldverkehrs dies auch gegenüber
dem Zeuggeld ist, das man beliebig zerschneidet und zusammensetzt,
so deutet diese Form des Gebrauchs doch eben die Tendenz an, auf
die Verwendung des Zeuges als Zeug zu verzichten. Der mögliche
Nutzen von Gold und Silber für technische und ästhetische Zwecke
kann solange nicht verwirklicht werden, wie sie als Geld zirkulieren;
und so mit allen Geldarten. Von den vielerlei Wirkungen, mit denen
die Geldstoffe in die menschlichen Zweckprovinzen hineinstrahlen,
müssen alle übrigen schweigen, wenn ihre Wirkung als Geld eintreten
soll. In dem Augenblick, in dem sie ihren sonstigen und Nützlich-
keitswert entfalten, sind sie der Zirkulation entzogen, sind sie nicht
mehr Geld. Alle anderen Werte mag man untereinander vergleichen

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II.

Bei alledem muſs festgehalten werden, daſs so nur eine Rich-
tung der Entwicklung
bestimmt wird, der Entwicklung, die
mit einem wirklichen Werte des Geldstoffes, allen anderen Werten
koordiniert, begonnen hat. Deshalb müssen einige naheliegende Vor-
stellungen widerlegt werden, die scheinbar mit der unsrigen von der
Wertlosigkeit der Geldsubstanz übereinstimmen, indem sie den Unter-
schied des Geldes gegen alle anderen Werte betonen und mit diesem
beweisen wollen, daſs das Geld prinzipiell kein Wert derselben Art
wie diese sein kann. Es wurde damit, wie so oft, in der Form der
Erstarrung und der Vorwegnahme festgelegt, was sich nur in unend-
licher Annäherung vollziehen kann. Aus der Abwehr des dogmatischen
Wertes des Geldes dürfen wir nicht in ein Dogma von seinem Nicht-
wert verfallen, zu dem die folgenden Vorstellungen verführen könnten.
Es scheint, als ob selbst das nutzbarste Objekt, um als Geld zu
funktionieren, auf seine Nützlichkeit verzichten müſste. Wenn z. B.
in Abessinien besonders zugeschnittene Stücke Steinsalz als Scheide-
münze kursieren, so sind sie doch eben Geld nur dadurch, daſs man
sie nicht als Salz gebraucht. An der Somaliküste zirkulierten früher
Stücke blauen Baumwollstoffes, jedes zwei Ellen groſs, als Geld; ein
so groſser Fortschritt im Sinne des Geldverkehrs dies auch gegenüber
dem Zeuggeld ist, das man beliebig zerschneidet und zusammensetzt,
so deutet diese Form des Gebrauchs doch eben die Tendenz an, auf
die Verwendung des Zeuges als Zeug zu verzichten. Der mögliche
Nutzen von Gold und Silber für technische und ästhetische Zwecke
kann solange nicht verwirklicht werden, wie sie als Geld zirkulieren;
und so mit allen Geldarten. Von den vielerlei Wirkungen, mit denen
die Geldstoffe in die menschlichen Zweckprovinzen hineinstrahlen,
müssen alle übrigen schweigen, wenn ihre Wirkung als Geld eintreten
soll. In dem Augenblick, in dem sie ihren sonstigen und Nützlich-
keitswert entfalten, sind sie der Zirkulation entzogen, sind sie nicht
mehr Geld. Alle anderen Werte mag man untereinander vergleichen

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[[115]/0139] II. Bei alledem muſs festgehalten werden, daſs so nur eine Rich- tung der Entwicklung bestimmt wird, der Entwicklung, die mit einem wirklichen Werte des Geldstoffes, allen anderen Werten koordiniert, begonnen hat. Deshalb müssen einige naheliegende Vor- stellungen widerlegt werden, die scheinbar mit der unsrigen von der Wertlosigkeit der Geldsubstanz übereinstimmen, indem sie den Unter- schied des Geldes gegen alle anderen Werte betonen und mit diesem beweisen wollen, daſs das Geld prinzipiell kein Wert derselben Art wie diese sein kann. Es wurde damit, wie so oft, in der Form der Erstarrung und der Vorwegnahme festgelegt, was sich nur in unend- licher Annäherung vollziehen kann. Aus der Abwehr des dogmatischen Wertes des Geldes dürfen wir nicht in ein Dogma von seinem Nicht- wert verfallen, zu dem die folgenden Vorstellungen verführen könnten. Es scheint, als ob selbst das nutzbarste Objekt, um als Geld zu funktionieren, auf seine Nützlichkeit verzichten müſste. Wenn z. B. in Abessinien besonders zugeschnittene Stücke Steinsalz als Scheide- münze kursieren, so sind sie doch eben Geld nur dadurch, daſs man sie nicht als Salz gebraucht. An der Somaliküste zirkulierten früher Stücke blauen Baumwollstoffes, jedes zwei Ellen groſs, als Geld; ein so groſser Fortschritt im Sinne des Geldverkehrs dies auch gegenüber dem Zeuggeld ist, das man beliebig zerschneidet und zusammensetzt, so deutet diese Form des Gebrauchs doch eben die Tendenz an, auf die Verwendung des Zeuges als Zeug zu verzichten. Der mögliche Nutzen von Gold und Silber für technische und ästhetische Zwecke kann solange nicht verwirklicht werden, wie sie als Geld zirkulieren; und so mit allen Geldarten. Von den vielerlei Wirkungen, mit denen die Geldstoffe in die menschlichen Zweckprovinzen hineinstrahlen, müssen alle übrigen schweigen, wenn ihre Wirkung als Geld eintreten soll. In dem Augenblick, in dem sie ihren sonstigen und Nützlich- keitswert entfalten, sind sie der Zirkulation entzogen, sind sie nicht mehr Geld. Alle anderen Werte mag man untereinander vergleichen 8*

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. [115]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/139>, abgerufen am 28.03.2024.