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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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hältnis hätte. Aus dem Problem, dem Material, der Stilart jedes Kunst-
werkes wächst uns eine Norm heraus, und zu ihr hat seine Wirklich-
keit eine fühlbare Relation von Nähe oder Abstand, die offenbar bei
der grössten Mannigfaltigkeit der Werke die gleiche oder vergleichbare
sein kann. Durch diese mögliche Gleichheit solcher Relation erst wird
aus den einzelnen, an sich einander ganz fremden Werken eine ästhe-
tische Welt, eine genau gefügte Ordnung, ein ideelles Zusammengehören
dem Werte nach. Und dies erstreckt sich nicht nur auf den Kosmos der
Kunst, sondern dass überhaupt aus dem Stoff unserer isolierten
Schätzungen eine Gesamtheit gleicher oder abgestufter Bedeutsamkeiten
erwächst, dass auch das Disharmonische nur über der Forderung einer
einheitlichen Ordnung und inneren Beziehung der Werte untereinander
als solches empfunden wird -- diesen wesentlichen Zug verdankt unser
Weltbild allenthalben unserer Fähigkeit, nicht nur je zwei Dinge,
sondern auch die Verhältnisse je zweier zu je zwei anderen gegen-
einander abzuwägen und in der Einheit eines Gleichheits- oder
Ähnlichkeitsurteils zusammenzufassen. Das Geld, als Produkt dieser
fundamentalen Kraft oder Form unseres Innern, ist nicht nur deren
weitestes Beispiel, sondern sozusagen garnichts anderes, als die reine
Verkörperung derselben. Denn das Geld kann das im Tausch zu
realisierende Wertverhältnis der Dinge zu einander doch nur so aus-
drücken, dass das Verhältnis der singulären Summe zu einem irgendwie
gewonnenen Nenner dasselbe ist, das zwischen der ihr entsprechenden
Ware und der Totalität der für den Austausch in Frage kommenden
Waren besteht. Das Geld ist seinem Wesen nach nicht ein wertvoller
Gegenstand, dessen Teile untereinander oder zum Ganzen zufällig
dieselbe Proportion hätten wie andere Werte untereinander; sondern
es erschöpft seinen Sinn darin, das Wertverhältnis eben dieser anderen
Objekte zu einander auszudrücken, was ihm mit Hülfe jener Fähigkeit des
ausgebildeten Geistes gelingt: die Relationen der Dinge auch da gleich-
zusetzen, wo die Dinge selbst keine Gleichheit oder Ähnlichkeit be-
sitzen. Da diese Fähigkeit sich aber erst allmählich aus der primitiveren
entwickelt, die Gleichheit oder Ähnlichkeit zweier Objekte unmittel-
bar
zu beurteilen und auszudrücken, so entstehen die oben berührten
Erscheinungen, in denen man auch das Geld in eine unmittelbare Be-
ziehung dieser Art zu seinen Gegenwerten zu bringen suchte.

Innerhalb der modernen Wirtschaft setzt der fragliche Übergang
z. B. an das Merkantilsystem an. Das Bestreben der Regierungen,
möglichst viel bares Geld ins Land zu bekommen, wurde zwar auch
noch von dem Prinzip: viel hilft viel -- geleitet; allein der schliess-
liche Zweck, zu dem es helfen sollte, war doch schon die funktionelle

hältnis hätte. Aus dem Problem, dem Material, der Stilart jedes Kunst-
werkes wächst uns eine Norm heraus, und zu ihr hat seine Wirklich-
keit eine fühlbare Relation von Nähe oder Abstand, die offenbar bei
der gröſsten Mannigfaltigkeit der Werke die gleiche oder vergleichbare
sein kann. Durch diese mögliche Gleichheit solcher Relation erst wird
aus den einzelnen, an sich einander ganz fremden Werken eine ästhe-
tische Welt, eine genau gefügte Ordnung, ein ideelles Zusammengehören
dem Werte nach. Und dies erstreckt sich nicht nur auf den Kosmos der
Kunst, sondern daſs überhaupt aus dem Stoff unserer isolierten
Schätzungen eine Gesamtheit gleicher oder abgestufter Bedeutsamkeiten
erwächst, daſs auch das Disharmonische nur über der Forderung einer
einheitlichen Ordnung und inneren Beziehung der Werte untereinander
als solches empfunden wird — diesen wesentlichen Zug verdankt unser
Weltbild allenthalben unserer Fähigkeit, nicht nur je zwei Dinge,
sondern auch die Verhältnisse je zweier zu je zwei anderen gegen-
einander abzuwägen und in der Einheit eines Gleichheits- oder
Ähnlichkeitsurteils zusammenzufassen. Das Geld, als Produkt dieser
fundamentalen Kraft oder Form unseres Innern, ist nicht nur deren
weitestes Beispiel, sondern sozusagen garnichts anderes, als die reine
Verkörperung derselben. Denn das Geld kann das im Tausch zu
realisierende Wertverhältnis der Dinge zu einander doch nur so aus-
drücken, daſs das Verhältnis der singulären Summe zu einem irgendwie
gewonnenen Nenner dasselbe ist, das zwischen der ihr entsprechenden
Ware und der Totalität der für den Austausch in Frage kommenden
Waren besteht. Das Geld ist seinem Wesen nach nicht ein wertvoller
Gegenstand, dessen Teile untereinander oder zum Ganzen zufällig
dieselbe Proportion hätten wie andere Werte untereinander; sondern
es erschöpft seinen Sinn darin, das Wertverhältnis eben dieser anderen
Objekte zu einander auszudrücken, was ihm mit Hülfe jener Fähigkeit des
ausgebildeten Geistes gelingt: die Relationen der Dinge auch da gleich-
zusetzen, wo die Dinge selbst keine Gleichheit oder Ähnlichkeit be-
sitzen. Da diese Fähigkeit sich aber erst allmählich aus der primitiveren
entwickelt, die Gleichheit oder Ähnlichkeit zweier Objekte unmittel-
bar
zu beurteilen und auszudrücken, so entstehen die oben berührten
Erscheinungen, in denen man auch das Geld in eine unmittelbare Be-
ziehung dieser Art zu seinen Gegenwerten zu bringen suchte.

Innerhalb der modernen Wirtschaft setzt der fragliche Übergang
z. B. an das Merkantilsystem an. Das Bestreben der Regierungen,
möglichst viel bares Geld ins Land zu bekommen, wurde zwar auch
noch von dem Prinzip: viel hilft viel — geleitet; allein der schlieſs-
liche Zweck, zu dem es helfen sollte, war doch schon die funktionelle

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[108/0132] hältnis hätte. Aus dem Problem, dem Material, der Stilart jedes Kunst- werkes wächst uns eine Norm heraus, und zu ihr hat seine Wirklich- keit eine fühlbare Relation von Nähe oder Abstand, die offenbar bei der gröſsten Mannigfaltigkeit der Werke die gleiche oder vergleichbare sein kann. Durch diese mögliche Gleichheit solcher Relation erst wird aus den einzelnen, an sich einander ganz fremden Werken eine ästhe- tische Welt, eine genau gefügte Ordnung, ein ideelles Zusammengehören dem Werte nach. Und dies erstreckt sich nicht nur auf den Kosmos der Kunst, sondern daſs überhaupt aus dem Stoff unserer isolierten Schätzungen eine Gesamtheit gleicher oder abgestufter Bedeutsamkeiten erwächst, daſs auch das Disharmonische nur über der Forderung einer einheitlichen Ordnung und inneren Beziehung der Werte untereinander als solches empfunden wird — diesen wesentlichen Zug verdankt unser Weltbild allenthalben unserer Fähigkeit, nicht nur je zwei Dinge, sondern auch die Verhältnisse je zweier zu je zwei anderen gegen- einander abzuwägen und in der Einheit eines Gleichheits- oder Ähnlichkeitsurteils zusammenzufassen. Das Geld, als Produkt dieser fundamentalen Kraft oder Form unseres Innern, ist nicht nur deren weitestes Beispiel, sondern sozusagen garnichts anderes, als die reine Verkörperung derselben. Denn das Geld kann das im Tausch zu realisierende Wertverhältnis der Dinge zu einander doch nur so aus- drücken, daſs das Verhältnis der singulären Summe zu einem irgendwie gewonnenen Nenner dasselbe ist, das zwischen der ihr entsprechenden Ware und der Totalität der für den Austausch in Frage kommenden Waren besteht. Das Geld ist seinem Wesen nach nicht ein wertvoller Gegenstand, dessen Teile untereinander oder zum Ganzen zufällig dieselbe Proportion hätten wie andere Werte untereinander; sondern es erschöpft seinen Sinn darin, das Wertverhältnis eben dieser anderen Objekte zu einander auszudrücken, was ihm mit Hülfe jener Fähigkeit des ausgebildeten Geistes gelingt: die Relationen der Dinge auch da gleich- zusetzen, wo die Dinge selbst keine Gleichheit oder Ähnlichkeit be- sitzen. Da diese Fähigkeit sich aber erst allmählich aus der primitiveren entwickelt, die Gleichheit oder Ähnlichkeit zweier Objekte unmittel- bar zu beurteilen und auszudrücken, so entstehen die oben berührten Erscheinungen, in denen man auch das Geld in eine unmittelbare Be- ziehung dieser Art zu seinen Gegenwerten zu bringen suchte. Innerhalb der modernen Wirtschaft setzt der fragliche Übergang z. B. an das Merkantilsystem an. Das Bestreben der Regierungen, möglichst viel bares Geld ins Land zu bekommen, wurde zwar auch noch von dem Prinzip: viel hilft viel — geleitet; allein der schlieſs- liche Zweck, zu dem es helfen sollte, war doch schon die funktionelle

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/132>, abgerufen am 28.03.2024.