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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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zu ihren Gegenwerten zeigt. Die Abstraktion, die später ein kleines
Metallstückchen als Äquivalent irgend eines umfänglichsten Objektes
anerkennt, steigert sich, in der gleichen Richtung, auf das Ziel hin, dass
die eine Seite der Wertgleichung gar nicht mehr als Wert an und für
sich, sondern nur noch als abstrakter Ausdruck für den Wert der
anderen funktioniere. Daher ist denn auch die Messfunktion des Geldes,
die von vornherein am wenigsten an die Materialität seines Substrates
geknüpft ist, durch die Veränderungen der modernen Wirtschaft am
wenigsten alteriert worden.

Ein Massverhältnis zwischen zwei Grössen nicht mehr durch
unmittelbares Aneinanderhalten herzustellen, sondern daraufhin, dass
jede derselben zu je einer anderen Grösse ein Verhältnis hat und diese
beiden Verhältnisse einander gleich oder ungleich sind -- das ist
einer der grössten Fortschritte, die die Menschheit gemacht hat, die
Entdeckung einer neuen Welt aus dem Material der alten. Zwei
Leistungen ganz verschiedener Höhe bieten sich dar -- sie werden
vergleichbar, da sie im Verhältnis zu dem Kraftmass, das jeder der
Leistenden einzusetzen hatte, die gleiche Willensanspannung und Hin-
gebung zeigen; zwei Schicksale stehen auf der Skala des Glücks weit
voneinander ab -- aber sie gewinnen sogleich eine messbare Beziehung,
wenn man jedes auf das Mass des Verdienstes hin ansieht, durch das sein
Träger seiner würdig oder unwürdig ist. Zwei Bewegungen, die völlig ver-
schiedene Geschwindigkeit haben, gewinnen eine Zusammengehörigkeit
und Gleichheit, sobald wir beobachten, dass die Beschleunigung, die jede
von ihnen im Verhältnis zu ihrem Anfangsstadium erfährt, bei bei-
den die gleiche ist. Nicht nur für unser Gefühl spinnt sich eine
Art von Zusammengehörigkeit zwischen zwei Elementen, die zwar in
ihrer substanziellen Unmittelbarkeit einander fremd, deren Verhältnisse
zu einem dritten und vierten Element aber die gleichen sind; sondern
eben damit wird das eine zu einem Faktor für die Ausrechenbarkeit
des anderen. Und nun weiter ausgreifend: so unvergleichbar zwei
Personen in ihren angebbaren Eigenschaften sein mögen, so stiften
Beziehungen zu einem je dritten Menschen doch eine Gleichheit zwischen
ihnen; sobald die erste die gleiche Liebe oder Hass, Herrschaft oder
Unterworfenheit einer dritten gegenüber zeigt, wie die zweite einer vierten
gegenüber, so haben diese Relationen hier der Fremdheit des Fürsich-
seins jener eine tiefe und wesentliche Gleichheit untergebaut. Endlich
ein letztes Beispiel. Die Vollendung verschiedenartiger Kunstwerke
würden wir nicht miteinander vergleichen können, ihre Werte würden
sich nicht in den Zusammenhang einer Stufenleiter ordnen, wenn nicht
jedes zu dem eigentümlichen Ideale seiner Art ein bestimmtes Ver-

zu ihren Gegenwerten zeigt. Die Abstraktion, die später ein kleines
Metallstückchen als Äquivalent irgend eines umfänglichsten Objektes
anerkennt, steigert sich, in der gleichen Richtung, auf das Ziel hin, daſs
die eine Seite der Wertgleichung gar nicht mehr als Wert an und für
sich, sondern nur noch als abstrakter Ausdruck für den Wert der
anderen funktioniere. Daher ist denn auch die Meſsfunktion des Geldes,
die von vornherein am wenigsten an die Materialität seines Substrates
geknüpft ist, durch die Veränderungen der modernen Wirtschaft am
wenigsten alteriert worden.

Ein Maſsverhältnis zwischen zwei Gröſsen nicht mehr durch
unmittelbares Aneinanderhalten herzustellen, sondern daraufhin, daſs
jede derselben zu je einer anderen Gröſse ein Verhältnis hat und diese
beiden Verhältnisse einander gleich oder ungleich sind — das ist
einer der gröſsten Fortschritte, die die Menschheit gemacht hat, die
Entdeckung einer neuen Welt aus dem Material der alten. Zwei
Leistungen ganz verschiedener Höhe bieten sich dar — sie werden
vergleichbar, da sie im Verhältnis zu dem Kraftmaſs, das jeder der
Leistenden einzusetzen hatte, die gleiche Willensanspannung und Hin-
gebung zeigen; zwei Schicksale stehen auf der Skala des Glücks weit
voneinander ab — aber sie gewinnen sogleich eine meſsbare Beziehung,
wenn man jedes auf das Maſs des Verdienstes hin ansieht, durch das sein
Träger seiner würdig oder unwürdig ist. Zwei Bewegungen, die völlig ver-
schiedene Geschwindigkeit haben, gewinnen eine Zusammengehörigkeit
und Gleichheit, sobald wir beobachten, daſs die Beschleunigung, die jede
von ihnen im Verhältnis zu ihrem Anfangsstadium erfährt, bei bei-
den die gleiche ist. Nicht nur für unser Gefühl spinnt sich eine
Art von Zusammengehörigkeit zwischen zwei Elementen, die zwar in
ihrer substanziellen Unmittelbarkeit einander fremd, deren Verhältnisse
zu einem dritten und vierten Element aber die gleichen sind; sondern
eben damit wird das eine zu einem Faktor für die Ausrechenbarkeit
des anderen. Und nun weiter ausgreifend: so unvergleichbar zwei
Personen in ihren angebbaren Eigenschaften sein mögen, so stiften
Beziehungen zu einem je dritten Menschen doch eine Gleichheit zwischen
ihnen; sobald die erste die gleiche Liebe oder Haſs, Herrschaft oder
Unterworfenheit einer dritten gegenüber zeigt, wie die zweite einer vierten
gegenüber, so haben diese Relationen hier der Fremdheit des Fürsich-
seins jener eine tiefe und wesentliche Gleichheit untergebaut. Endlich
ein letztes Beispiel. Die Vollendung verschiedenartiger Kunstwerke
würden wir nicht miteinander vergleichen können, ihre Werte würden
sich nicht in den Zusammenhang einer Stufenleiter ordnen, wenn nicht
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[107/0131] zu ihren Gegenwerten zeigt. Die Abstraktion, die später ein kleines Metallstückchen als Äquivalent irgend eines umfänglichsten Objektes anerkennt, steigert sich, in der gleichen Richtung, auf das Ziel hin, daſs die eine Seite der Wertgleichung gar nicht mehr als Wert an und für sich, sondern nur noch als abstrakter Ausdruck für den Wert der anderen funktioniere. Daher ist denn auch die Meſsfunktion des Geldes, die von vornherein am wenigsten an die Materialität seines Substrates geknüpft ist, durch die Veränderungen der modernen Wirtschaft am wenigsten alteriert worden. Ein Maſsverhältnis zwischen zwei Gröſsen nicht mehr durch unmittelbares Aneinanderhalten herzustellen, sondern daraufhin, daſs jede derselben zu je einer anderen Gröſse ein Verhältnis hat und diese beiden Verhältnisse einander gleich oder ungleich sind — das ist einer der gröſsten Fortschritte, die die Menschheit gemacht hat, die Entdeckung einer neuen Welt aus dem Material der alten. Zwei Leistungen ganz verschiedener Höhe bieten sich dar — sie werden vergleichbar, da sie im Verhältnis zu dem Kraftmaſs, das jeder der Leistenden einzusetzen hatte, die gleiche Willensanspannung und Hin- gebung zeigen; zwei Schicksale stehen auf der Skala des Glücks weit voneinander ab — aber sie gewinnen sogleich eine meſsbare Beziehung, wenn man jedes auf das Maſs des Verdienstes hin ansieht, durch das sein Träger seiner würdig oder unwürdig ist. Zwei Bewegungen, die völlig ver- schiedene Geschwindigkeit haben, gewinnen eine Zusammengehörigkeit und Gleichheit, sobald wir beobachten, daſs die Beschleunigung, die jede von ihnen im Verhältnis zu ihrem Anfangsstadium erfährt, bei bei- den die gleiche ist. Nicht nur für unser Gefühl spinnt sich eine Art von Zusammengehörigkeit zwischen zwei Elementen, die zwar in ihrer substanziellen Unmittelbarkeit einander fremd, deren Verhältnisse zu einem dritten und vierten Element aber die gleichen sind; sondern eben damit wird das eine zu einem Faktor für die Ausrechenbarkeit des anderen. Und nun weiter ausgreifend: so unvergleichbar zwei Personen in ihren angebbaren Eigenschaften sein mögen, so stiften Beziehungen zu einem je dritten Menschen doch eine Gleichheit zwischen ihnen; sobald die erste die gleiche Liebe oder Haſs, Herrschaft oder Unterworfenheit einer dritten gegenüber zeigt, wie die zweite einer vierten gegenüber, so haben diese Relationen hier der Fremdheit des Fürsich- seins jener eine tiefe und wesentliche Gleichheit untergebaut. Endlich ein letztes Beispiel. Die Vollendung verschiedenartiger Kunstwerke würden wir nicht miteinander vergleichen können, ihre Werte würden sich nicht in den Zusammenhang einer Stufenleiter ordnen, wenn nicht jedes zu dem eigentümlichen Ideale seiner Art ein bestimmtes Ver-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/131>, abgerufen am 24.11.2024.