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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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warra gegeben, wie sie selbst lang sind. Auch sonst wird aus
dem Gebiet des Kaurigeldes gelegentlich gemeldet, der Typus des Kaufes
sei, dass das gleiche Mass zweier Waren als wertgleich gelte: ein Mass
Getreide z. B. gilt das gleiche Mass Kaurimuscheln. Hier hat offenbar
die Unmittelbarkeit in der Äquivalenz von Ware und Preis ihren voll-
ständigsten und einfachsten Ausdruck erlangt, der gegenüber eine Wert-
vergleichung, die nicht auf quantitative Kongruenz hinausläuft, schon
einen höheren geistigen Prozess darstellt. Ein Rudiment jener naiven
Gleichwertung gleicher Quanten liegt in der Erscheinung, die Mungo
Park im 18. Jahrhundert von einigen westafrikanischen Stämmen
berichtet. Dort habe Eisengeld in Stangenform als Geld kursiert und
zur Bezeichnung der Warenquanten gedient, so dass man ein bestimmtes
Mass Tabak oder Rum je eine Stange Tabak, eine Stange Rum genannt
habe. Hier hat sich das Bedürfnis, Wertgleichheit als Quantitäts-
gleichheit anzusehen -- offenbar ein starker, sinnlich eindrucksvoller
Anhalt primitiver Wertbildung -- in den sprachlichen Ausdruck ge-
flüchtet. Bei sehr verschiedenem Aussehen gehören doch der gleichen
prinzipiellen Empfindung einige andere Erscheinungen an. Von der
Stadt Olbia am Dnjepr, einer milesischen Kolonie, sind uns alte Bronze-
münzen erhalten, welche die Gestalt von Fischen haben, mit Aufschriften,
welche wahrscheinlich Thunfisch und Fischkorb bedeuten. Nun wird
angenommen, dass jenes Fischervolk ursprünglich den Thunfisch als
Tauscheinheit benutzte und es -- vielleicht wegen des Verkehrs mit
tieferstehenden Nachbarstämmen -- bei Einführung der Münze nötig
fand, den Wert je eines Thunfisches in einer Münze darzustellen, die
durch die Gleichheit ihrer Form diese Gleichwertigkeit und Ersetzbar-
keit unmittelbar versinnlichte -- während man an anderen Stellen,
weniger nachdrücklich und doch auf das äusserliche Sichentsprechen
nicht verzichtend, auf die Münze nur das Bild des Gegenstandes (Ochse,
Fisch, Axt) prägte, der in der Tauschepoche die Grundeinheit bildete
und dessen Wert eben die Münze darstellte. Dasselbe Grundgefühl
herrscht, wenn der Zend-Avesta vorschreibt, der Arzt solle als Honorar
für die Heilung eines Hausbesitzers den Wert eines schlechten Ochsen
fordern, für die eines Dorfvorstandes den Wert eines mittelguten, für
die eines Stadtherrn den Wert eines hochwertigen, für die eines Provinz-
statthalters den Wert eines Viergespanns; dagegen käme ihm für die
Heilung der Frau eines Hausbesitzers eine Eselin an Wert zu, für
die Frau eines Dorfvorstandes eine Kuh, für die Frau eines Stadtherrn
eine Stute, für die Frau eines Statthalters ein weibliches Kamel. Die
Gleichheit des Geschlechtes am Leistungsobjekt und am Leistungs-
entgelt bezeugt auch hier die Neigung, die Äquivalenz von Wert und

warra gegeben, wie sie selbst lang sind. Auch sonst wird aus
dem Gebiet des Kaurigeldes gelegentlich gemeldet, der Typus des Kaufes
sei, daſs das gleiche Maſs zweier Waren als wertgleich gelte: ein Maſs
Getreide z. B. gilt das gleiche Maſs Kaurimuscheln. Hier hat offenbar
die Unmittelbarkeit in der Äquivalenz von Ware und Preis ihren voll-
ständigsten und einfachsten Ausdruck erlangt, der gegenüber eine Wert-
vergleichung, die nicht auf quantitative Kongruenz hinausläuft, schon
einen höheren geistigen Prozeſs darstellt. Ein Rudiment jener naiven
Gleichwertung gleicher Quanten liegt in der Erscheinung, die Mungo
Park im 18. Jahrhundert von einigen westafrikanischen Stämmen
berichtet. Dort habe Eisengeld in Stangenform als Geld kursiert und
zur Bezeichnung der Warenquanten gedient, so daſs man ein bestimmtes
Maſs Tabak oder Rum je eine Stange Tabak, eine Stange Rum genannt
habe. Hier hat sich das Bedürfnis, Wertgleichheit als Quantitäts-
gleichheit anzusehen — offenbar ein starker, sinnlich eindrucksvoller
Anhalt primitiver Wertbildung — in den sprachlichen Ausdruck ge-
flüchtet. Bei sehr verschiedenem Aussehen gehören doch der gleichen
prinzipiellen Empfindung einige andere Erscheinungen an. Von der
Stadt Olbia am Dnjepr, einer milesischen Kolonie, sind uns alte Bronze-
münzen erhalten, welche die Gestalt von Fischen haben, mit Aufschriften,
welche wahrscheinlich Thunfisch und Fischkorb bedeuten. Nun wird
angenommen, daſs jenes Fischervolk ursprünglich den Thunfisch als
Tauscheinheit benutzte und es — vielleicht wegen des Verkehrs mit
tieferstehenden Nachbarstämmen — bei Einführung der Münze nötig
fand, den Wert je eines Thunfisches in einer Münze darzustellen, die
durch die Gleichheit ihrer Form diese Gleichwertigkeit und Ersetzbar-
keit unmittelbar versinnlichte — während man an anderen Stellen,
weniger nachdrücklich und doch auf das äuſserliche Sichentsprechen
nicht verzichtend, auf die Münze nur das Bild des Gegenstandes (Ochse,
Fisch, Axt) prägte, der in der Tauschepoche die Grundeinheit bildete
und dessen Wert eben die Münze darstellte. Dasselbe Grundgefühl
herrscht, wenn der Zend-Avesta vorschreibt, der Arzt solle als Honorar
für die Heilung eines Hausbesitzers den Wert eines schlechten Ochsen
fordern, für die eines Dorfvorstandes den Wert eines mittelguten, für
die eines Stadtherrn den Wert eines hochwertigen, für die eines Provinz-
statthalters den Wert eines Viergespanns; dagegen käme ihm für die
Heilung der Frau eines Hausbesitzers eine Eselin an Wert zu, für
die Frau eines Dorfvorstandes eine Kuh, für die Frau eines Stadtherrn
eine Stute, für die Frau eines Statthalters ein weibliches Kamel. Die
Gleichheit des Geschlechtes am Leistungsobjekt und am Leistungs-
entgelt bezeugt auch hier die Neigung, die Äquivalenz von Wert und

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[105/0129] warra gegeben, wie sie selbst lang sind. Auch sonst wird aus dem Gebiet des Kaurigeldes gelegentlich gemeldet, der Typus des Kaufes sei, daſs das gleiche Maſs zweier Waren als wertgleich gelte: ein Maſs Getreide z. B. gilt das gleiche Maſs Kaurimuscheln. Hier hat offenbar die Unmittelbarkeit in der Äquivalenz von Ware und Preis ihren voll- ständigsten und einfachsten Ausdruck erlangt, der gegenüber eine Wert- vergleichung, die nicht auf quantitative Kongruenz hinausläuft, schon einen höheren geistigen Prozeſs darstellt. Ein Rudiment jener naiven Gleichwertung gleicher Quanten liegt in der Erscheinung, die Mungo Park im 18. Jahrhundert von einigen westafrikanischen Stämmen berichtet. Dort habe Eisengeld in Stangenform als Geld kursiert und zur Bezeichnung der Warenquanten gedient, so daſs man ein bestimmtes Maſs Tabak oder Rum je eine Stange Tabak, eine Stange Rum genannt habe. Hier hat sich das Bedürfnis, Wertgleichheit als Quantitäts- gleichheit anzusehen — offenbar ein starker, sinnlich eindrucksvoller Anhalt primitiver Wertbildung — in den sprachlichen Ausdruck ge- flüchtet. Bei sehr verschiedenem Aussehen gehören doch der gleichen prinzipiellen Empfindung einige andere Erscheinungen an. Von der Stadt Olbia am Dnjepr, einer milesischen Kolonie, sind uns alte Bronze- münzen erhalten, welche die Gestalt von Fischen haben, mit Aufschriften, welche wahrscheinlich Thunfisch und Fischkorb bedeuten. Nun wird angenommen, daſs jenes Fischervolk ursprünglich den Thunfisch als Tauscheinheit benutzte und es — vielleicht wegen des Verkehrs mit tieferstehenden Nachbarstämmen — bei Einführung der Münze nötig fand, den Wert je eines Thunfisches in einer Münze darzustellen, die durch die Gleichheit ihrer Form diese Gleichwertigkeit und Ersetzbar- keit unmittelbar versinnlichte — während man an anderen Stellen, weniger nachdrücklich und doch auf das äuſserliche Sichentsprechen nicht verzichtend, auf die Münze nur das Bild des Gegenstandes (Ochse, Fisch, Axt) prägte, der in der Tauschepoche die Grundeinheit bildete und dessen Wert eben die Münze darstellte. Dasselbe Grundgefühl herrscht, wenn der Zend-Avesta vorschreibt, der Arzt solle als Honorar für die Heilung eines Hausbesitzers den Wert eines schlechten Ochsen fordern, für die eines Dorfvorstandes den Wert eines mittelguten, für die eines Stadtherrn den Wert eines hochwertigen, für die eines Provinz- statthalters den Wert eines Viergespanns; dagegen käme ihm für die Heilung der Frau eines Hausbesitzers eine Eselin an Wert zu, für die Frau eines Dorfvorstandes eine Kuh, für die Frau eines Stadtherrn eine Stute, für die Frau eines Statthalters ein weibliches Kamel. Die Gleichheit des Geschlechtes am Leistungsobjekt und am Leistungs- entgelt bezeugt auch hier die Neigung, die Äquivalenz von Wert und

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/129>, abgerufen am 23.04.2024.