Gebrauchswerte als Geld auf: Vieh, Salz, Sklaven, Tabak, Felle u. s. w. Auf welche Weise sich das Geld auch entwickelt habe, am Anfang muss es jedenfalls ein Wert gewesen sein, der unmittelbar als solcher em- pfunden wurde. Dass man die wertvollsten Dinge gegen einen be- druckten Zettel fortgiebt, ist erst bei einer sehr grossen Ausdehnung und Zuverlässigkeit der Zweckreihen möglich, die es sicher macht, dass das unmittelbar Wertlose uns weiterhin zu Werten verhilft. So kann man logische Schlussreihen, die auf durchaus bündige Schlusssätze führen, durch an sich unmögliche oder widerspruchsvolle Glieder hindurch- leiten -- aber doch nur, wenn das Denken seiner Richtung und Richtig- keit ganz sicher ist; ein primitives, noch schwankendes Denken würde an einem solchen Punkte sofort seine Direktion und sein Ziel ver- lieren und muss deshalb seine Funktionen an Sätzen ausüben, von denen jeder für sich möglichst konkret und von greifbarer Richtigkeit ist -- freilich um den Preis der Beweglichkeit des Denkens und der Weite seiner Ziele. Entsprechend steigert die Durchführung der Wert- reihen durch das Wertlose ihre Ausdehnung und Zweckmässigkeit ganz ausserordentlich, kann sich aber erst bei einer gewachsenen Intellektua- lität der Einzelnen und stetigen Organisation der Gruppe verwirklichen. Niemand wird so thöricht sein, einen Wert gegen etwas wegzugeben, was er unmittelbar überhaupt nicht verwenden kann, wenn er nicht sicher ist, dieses Etwas mittelbar wieder in Werte umsetzen zu können. Es ist also nicht anders denkbar, als dass der Tausch ursprünglich ein Naturaltausch, d. h. ein zwischen unmittelbaren Werten erfolgender gewesen ist. Man nimmt an, dass Objekte, welche grade wegen ihrer allgemeinen Erwünschtheit besonders häufig eingetauscht wurden und kursierten, also besonders häufig mit anderen Gegenständen dem Werte nach gemessen wurden, psychologisch am ehesten zu allgemeinen Wert- massen auswachsen konnten. In scheinbar entschiedenem Gegensatz gegen das eben gewonnene Resultat, nach dem das Geld an und für sich kein Wert zu sein braucht, sehen wir hier, dass zunächst grade das Notwendigste und Wertvollste dazu neigt, zum Geld zu werden. Das Notwendigste verstehe ich hier keineswegs im physiologischen Sinn; vielmehr kann z. B. das Schmuckbedürfnis die herrschende Rolle unter den empfundenen "Notwendigkeiten" spielen; wie wir denn auch thatsächlich von Naturvölkern hören, dass der Schmuck ihres Körpers, bezw. die dazu verwendeten Gegenstände, ihnen wertvoller ist als alle die Dinge, die wir uns als viel dringlicher notwendig vorstellen. Da die Notwendigkeit der Dinge für uns immer nur ein Accent ist, den unser Gefühl ihren an sich ganz gleichberechtigten -- richtiger: an sich überhaupt nicht "berechtigten" -- Inhalten erteilt, und der aus-
Gebrauchswerte als Geld auf: Vieh, Salz, Sklaven, Tabak, Felle u. s. w. Auf welche Weise sich das Geld auch entwickelt habe, am Anfang muſs es jedenfalls ein Wert gewesen sein, der unmittelbar als solcher em- pfunden wurde. Daſs man die wertvollsten Dinge gegen einen be- druckten Zettel fortgiebt, ist erst bei einer sehr groſsen Ausdehnung und Zuverlässigkeit der Zweckreihen möglich, die es sicher macht, daſs das unmittelbar Wertlose uns weiterhin zu Werten verhilft. So kann man logische Schluſsreihen, die auf durchaus bündige Schluſssätze führen, durch an sich unmögliche oder widerspruchsvolle Glieder hindurch- leiten — aber doch nur, wenn das Denken seiner Richtung und Richtig- keit ganz sicher ist; ein primitives, noch schwankendes Denken würde an einem solchen Punkte sofort seine Direktion und sein Ziel ver- lieren und muſs deshalb seine Funktionen an Sätzen ausüben, von denen jeder für sich möglichst konkret und von greifbarer Richtigkeit ist — freilich um den Preis der Beweglichkeit des Denkens und der Weite seiner Ziele. Entsprechend steigert die Durchführung der Wert- reihen durch das Wertlose ihre Ausdehnung und Zweckmäſsigkeit ganz auſserordentlich, kann sich aber erst bei einer gewachsenen Intellektua- lität der Einzelnen und stetigen Organisation der Gruppe verwirklichen. Niemand wird so thöricht sein, einen Wert gegen etwas wegzugeben, was er unmittelbar überhaupt nicht verwenden kann, wenn er nicht sicher ist, dieses Etwas mittelbar wieder in Werte umsetzen zu können. Es ist also nicht anders denkbar, als daſs der Tausch ursprünglich ein Naturaltausch, d. h. ein zwischen unmittelbaren Werten erfolgender gewesen ist. Man nimmt an, daſs Objekte, welche grade wegen ihrer allgemeinen Erwünschtheit besonders häufig eingetauscht wurden und kursierten, also besonders häufig mit anderen Gegenständen dem Werte nach gemessen wurden, psychologisch am ehesten zu allgemeinen Wert- maſsen auswachsen konnten. In scheinbar entschiedenem Gegensatz gegen das eben gewonnene Resultat, nach dem das Geld an und für sich kein Wert zu sein braucht, sehen wir hier, daſs zunächst grade das Notwendigste und Wertvollste dazu neigt, zum Geld zu werden. Das Notwendigste verstehe ich hier keineswegs im physiologischen Sinn; vielmehr kann z. B. das Schmuckbedürfnis die herrschende Rolle unter den empfundenen „Notwendigkeiten“ spielen; wie wir denn auch thatsächlich von Naturvölkern hören, daſs der Schmuck ihres Körpers, bezw. die dazu verwendeten Gegenstände, ihnen wertvoller ist als alle die Dinge, die wir uns als viel dringlicher notwendig vorstellen. Da die Notwendigkeit der Dinge für uns immer nur ein Accent ist, den unser Gefühl ihren an sich ganz gleichberechtigten — richtiger: an sich überhaupt nicht „berechtigten“ — Inhalten erteilt, und der aus-
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Gebrauchswerte als Geld auf: Vieh, Salz, Sklaven, Tabak, Felle u. s. w.
Auf welche Weise sich das Geld auch entwickelt habe, am Anfang muſs
es jedenfalls ein Wert gewesen sein, der unmittelbar als solcher em-
pfunden wurde. Daſs man die wertvollsten Dinge gegen einen be-
druckten Zettel fortgiebt, ist erst bei einer sehr groſsen Ausdehnung
und Zuverlässigkeit der Zweckreihen möglich, die es sicher macht, daſs
das unmittelbar Wertlose uns weiterhin zu Werten verhilft. So kann
man logische Schluſsreihen, die auf durchaus bündige Schluſssätze führen,
durch an sich unmögliche oder widerspruchsvolle Glieder hindurch-
leiten — aber doch nur, wenn das Denken seiner Richtung und Richtig-
keit ganz sicher ist; ein primitives, noch schwankendes Denken würde
an einem solchen Punkte sofort seine Direktion und sein Ziel ver-
lieren und muſs deshalb seine Funktionen an Sätzen ausüben, von
denen jeder für sich möglichst konkret und von greifbarer Richtigkeit
ist — freilich um den Preis der Beweglichkeit des Denkens und der
Weite seiner Ziele. Entsprechend steigert die Durchführung der Wert-
reihen durch das Wertlose ihre Ausdehnung und Zweckmäſsigkeit ganz
auſserordentlich, kann sich aber erst bei einer gewachsenen Intellektua-
lität der Einzelnen und stetigen Organisation der Gruppe verwirklichen.
Niemand wird so thöricht sein, einen Wert gegen etwas wegzugeben,
was er unmittelbar überhaupt nicht verwenden kann, wenn er nicht
sicher ist, dieses Etwas mittelbar wieder in Werte umsetzen zu können.
Es ist also nicht anders denkbar, als daſs der Tausch ursprünglich ein
Naturaltausch, d. h. ein zwischen unmittelbaren Werten erfolgender
gewesen ist. Man nimmt an, daſs Objekte, welche grade wegen ihrer
allgemeinen Erwünschtheit besonders häufig eingetauscht wurden und
kursierten, also besonders häufig mit anderen Gegenständen dem Werte
nach gemessen wurden, psychologisch am ehesten zu allgemeinen Wert-
maſsen auswachsen konnten. In scheinbar entschiedenem Gegensatz
gegen das eben gewonnene Resultat, nach dem das Geld an und für
sich kein Wert zu sein braucht, sehen wir hier, daſs zunächst grade
das Notwendigste und Wertvollste dazu neigt, zum Geld zu werden.
Das Notwendigste verstehe ich hier keineswegs im physiologischen
Sinn; vielmehr kann z. B. das Schmuckbedürfnis die herrschende Rolle
unter den empfundenen „Notwendigkeiten“ spielen; wie wir denn auch
thatsächlich von Naturvölkern hören, daſs der Schmuck ihres Körpers,
bezw. die dazu verwendeten Gegenstände, ihnen wertvoller ist als alle
die Dinge, die wir uns als viel dringlicher notwendig vorstellen. Da
die Notwendigkeit der Dinge für uns immer nur ein Accent ist, den
unser Gefühl ihren an sich ganz gleichberechtigten — richtiger: an
sich überhaupt nicht „berechtigten“ — Inhalten erteilt, und der aus-
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/126>, abgerufen am 23.11.2024.
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