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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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gäbe. Zu dieser Reduzierung der Bedeutung jedes Geldquantums als
solchen auf einen Bruch, der es noch ganz dahingestellt sein lässt, von
welcher absoluten Grösse er diesen bestimmten Teil ausmacht, ist
es nicht ohne Beziehung, dass die Römer ihre Münzen -- mit einer
besonders begründeten Ausnahme -- nicht nach der absoluten, sondern
der relativen Schwere benannten. So bedeutet as nur ein Ganzes aus
12 Teilen, das ebensogut auf die Erbschaft wie auf die Masse oder
Gewichte beziehbar ist und ebenso für das Pfund wie für jeden be-
liebigen Teil desselben gesetzt werden kann. Und dass hier bloss die
Relativität des Masses bewusst und wirksam ist, wird auch durch die
Hypothese nicht alteriert, nach der das as vor Urzeiten eine Kupfer-
stange von absolut bestimmtem Gewicht bedeutet habe.

Jetzt muss die schon angedeutete Restriktion an dem Begriff des
Gesamtgeldquantums etwas genauer vollzogen werden. Dass man nicht
einfach sagen kann, es gäbe so viel kaufendes Geld, wie es kaufbare
Ware giebt, liegt nicht etwa an der unermesslichen Quantitätsdifferenz,
die zwischen allen aufgehäuften Waren auf der einen Seite und allem
aufgehäuften Geld auf der anderen bestünde. Denn da es keinen ge-
meinsamen Massstab für beide, wie für qualitativ gleichgeartete Dinge,
giebt, so besteht zwischen ihnen überhaupt kein unmittelbares Mehr
oder Weniger; und da kein Warenquantum von sich aus eine sachliche
Beziehung zu einem bestimmten Geldquantum hat, vielmehr jede be-
liebige Geldsumme prinzipiell jedem beliebigen Warenwerte äquivalent
gesetzt werden könnte, so ergiebt ein direkter Vergleich jener beiden
überhaupt keinen Schluss. Die Unverhältnismässigkeit zwischen der
Totalität des Geldes und der der Waren, als Nenner jener wert-
ausdrückenden Brüche, ruht vielmehr auf der Thatsache, dass der Geld-
vorrat als ganzer sich viel schneller umsetzt als der Warenwert als
ganzer. Denn niemand lässt, soweit er es vermeiden kann, erheblichere
Geldsummen still liegen, und man kann es thatsächlich fast immer ver-
meiden; kein Kaufmann aber entgeht dem, dass beträchtliche Teile
seines Vorrates lange liegen, ehe sie verkauft werden. Diese Differenz
des Umsatztempos wird noch viel grösser, wenn man diejenigen Objekte
einrechnet, die sich nicht zum Verkaufe anbieten, trotzdem aber ge-
legentlich und für ein verführerisches Gebot verkäuflich sind. Legt
man also die wirklich gezahlten Preise für die einzelnen Waren zum
Grunde und fragt nach dem Geldquantum, das daraufhin zum Ankauf
des gesamten Vorrats erforderlich wäre, so sieht man allerdings, dass
dasselbe den thatsächlichen Geldvorrat unermesslich übersteigt. Von
diesem Gesichtspunkt aus muss man sagen, dass es sehr viel weniger
Geld als Waren giebt und dass der Bruch zwischen der Ware und

gäbe. Zu dieser Reduzierung der Bedeutung jedes Geldquantums als
solchen auf einen Bruch, der es noch ganz dahingestellt sein läſst, von
welcher absoluten Gröſse er diesen bestimmten Teil ausmacht, ist
es nicht ohne Beziehung, daſs die Römer ihre Münzen — mit einer
besonders begründeten Ausnahme — nicht nach der absoluten, sondern
der relativen Schwere benannten. So bedeutet as nur ein Ganzes aus
12 Teilen, das ebensogut auf die Erbschaft wie auf die Maſse oder
Gewichte beziehbar ist und ebenso für das Pfund wie für jeden be-
liebigen Teil desselben gesetzt werden kann. Und daſs hier bloſs die
Relativität des Maſses bewuſst und wirksam ist, wird auch durch die
Hypothese nicht alteriert, nach der das as vor Urzeiten eine Kupfer-
stange von absolut bestimmtem Gewicht bedeutet habe.

Jetzt muſs die schon angedeutete Restriktion an dem Begriff des
Gesamtgeldquantums etwas genauer vollzogen werden. Daſs man nicht
einfach sagen kann, es gäbe so viel kaufendes Geld, wie es kaufbare
Ware giebt, liegt nicht etwa an der unermeſslichen Quantitätsdifferenz,
die zwischen allen aufgehäuften Waren auf der einen Seite und allem
aufgehäuften Geld auf der anderen bestünde. Denn da es keinen ge-
meinsamen Maſsstab für beide, wie für qualitativ gleichgeartete Dinge,
giebt, so besteht zwischen ihnen überhaupt kein unmittelbares Mehr
oder Weniger; und da kein Warenquantum von sich aus eine sachliche
Beziehung zu einem bestimmten Geldquantum hat, vielmehr jede be-
liebige Geldsumme prinzipiell jedem beliebigen Warenwerte äquivalent
gesetzt werden könnte, so ergiebt ein direkter Vergleich jener beiden
überhaupt keinen Schluſs. Die Unverhältnismäſsigkeit zwischen der
Totalität des Geldes und der der Waren, als Nenner jener wert-
ausdrückenden Brüche, ruht vielmehr auf der Thatsache, daſs der Geld-
vorrat als ganzer sich viel schneller umsetzt als der Warenwert als
ganzer. Denn niemand läſst, soweit er es vermeiden kann, erheblichere
Geldsummen still liegen, und man kann es thatsächlich fast immer ver-
meiden; kein Kaufmann aber entgeht dem, daſs beträchtliche Teile
seines Vorrates lange liegen, ehe sie verkauft werden. Diese Differenz
des Umsatztempos wird noch viel gröſser, wenn man diejenigen Objekte
einrechnet, die sich nicht zum Verkaufe anbieten, trotzdem aber ge-
legentlich und für ein verführerisches Gebot verkäuflich sind. Legt
man also die wirklich gezahlten Preise für die einzelnen Waren zum
Grunde und fragt nach dem Geldquantum, das daraufhin zum Ankauf
des gesamten Vorrats erforderlich wäre, so sieht man allerdings, daſs
dasselbe den thatsächlichen Geldvorrat unermeſslich übersteigt. Von
diesem Gesichtspunkt aus muſs man sagen, daſs es sehr viel weniger
Geld als Waren giebt und daſs der Bruch zwischen der Ware und

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[96/0120] gäbe. Zu dieser Reduzierung der Bedeutung jedes Geldquantums als solchen auf einen Bruch, der es noch ganz dahingestellt sein läſst, von welcher absoluten Gröſse er diesen bestimmten Teil ausmacht, ist es nicht ohne Beziehung, daſs die Römer ihre Münzen — mit einer besonders begründeten Ausnahme — nicht nach der absoluten, sondern der relativen Schwere benannten. So bedeutet as nur ein Ganzes aus 12 Teilen, das ebensogut auf die Erbschaft wie auf die Maſse oder Gewichte beziehbar ist und ebenso für das Pfund wie für jeden be- liebigen Teil desselben gesetzt werden kann. Und daſs hier bloſs die Relativität des Maſses bewuſst und wirksam ist, wird auch durch die Hypothese nicht alteriert, nach der das as vor Urzeiten eine Kupfer- stange von absolut bestimmtem Gewicht bedeutet habe. Jetzt muſs die schon angedeutete Restriktion an dem Begriff des Gesamtgeldquantums etwas genauer vollzogen werden. Daſs man nicht einfach sagen kann, es gäbe so viel kaufendes Geld, wie es kaufbare Ware giebt, liegt nicht etwa an der unermeſslichen Quantitätsdifferenz, die zwischen allen aufgehäuften Waren auf der einen Seite und allem aufgehäuften Geld auf der anderen bestünde. Denn da es keinen ge- meinsamen Maſsstab für beide, wie für qualitativ gleichgeartete Dinge, giebt, so besteht zwischen ihnen überhaupt kein unmittelbares Mehr oder Weniger; und da kein Warenquantum von sich aus eine sachliche Beziehung zu einem bestimmten Geldquantum hat, vielmehr jede be- liebige Geldsumme prinzipiell jedem beliebigen Warenwerte äquivalent gesetzt werden könnte, so ergiebt ein direkter Vergleich jener beiden überhaupt keinen Schluſs. Die Unverhältnismäſsigkeit zwischen der Totalität des Geldes und der der Waren, als Nenner jener wert- ausdrückenden Brüche, ruht vielmehr auf der Thatsache, daſs der Geld- vorrat als ganzer sich viel schneller umsetzt als der Warenwert als ganzer. Denn niemand läſst, soweit er es vermeiden kann, erheblichere Geldsummen still liegen, und man kann es thatsächlich fast immer ver- meiden; kein Kaufmann aber entgeht dem, daſs beträchtliche Teile seines Vorrates lange liegen, ehe sie verkauft werden. Diese Differenz des Umsatztempos wird noch viel gröſser, wenn man diejenigen Objekte einrechnet, die sich nicht zum Verkaufe anbieten, trotzdem aber ge- legentlich und für ein verführerisches Gebot verkäuflich sind. Legt man also die wirklich gezahlten Preise für die einzelnen Waren zum Grunde und fragt nach dem Geldquantum, das daraufhin zum Ankauf des gesamten Vorrats erforderlich wäre, so sieht man allerdings, daſs dasselbe den thatsächlichen Geldvorrat unermeſslich übersteigt. Von diesem Gesichtspunkt aus muſs man sagen, daſs es sehr viel weniger Geld als Waren giebt und daſs der Bruch zwischen der Ware und

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/120>, abgerufen am 25.04.2024.