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Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.

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hinter dem nötigen Quantum sich sehr schnell bemerkbar
machen würde, so irren wir offenbar mehr und öfter nach
der Seite des Zuviel, und die motorisch aufgewandte Energie
wirkt noch über den Punkt hinaus, auf den sie rationaler
Weise gerichtet ist. Setzt an diesem nun eine neue Willens-
richtung ein, so hat sie gewissermassen nicht ganz freies Feld
vor sich, sondern findet jenen Überschuss anders gerichteter
Kraft vor, den sie erst durch eine entsprechende eigene Ver-
stärkung überwinden muss.

Man muss hier auch an Vorgänge innerhalb des Indivi-
duums erinnern, die wenigstens gleichnisweise als Reibung
und Konkurrenz zu begreifen sind. Je vielseitiger man sich
bethätigt, je geringer die Einheitlichkeit und Umgrenzung un-
seres Wesens ist, desto häufiger wird die verfügbare Kraft-
summe desselben von verschiedenen Direktiven in Anspruch
genommen, die so wenig wie Individuen untereinander eine
friedliche Teilung jener vornehmen, sondern indem jede mög-
lichst viel Kraft für sich beansprucht, muss sie jeder anderen
Abbruch thun, und zwar geschieht dies offenbar oft genug so,
dass auf die direkte Beseitigung des konkurrierenden Triebes
Kraft verwandt wird, die uns dem sachlichen Ziele nicht
näher bringt; es findet nur eine gegenseitige Aufhebung ent-
gegengesetzt gerichteter Kräfte statt, deren Resultat Null ist,
ehe es zu positiver Leistung kommt. Durch zweierlei Diffe-
renzierungen allein kann das Individuum die so in ihm ver-
schwendeten Kräfte sparen: entweder indem es sich als Ganzes
differenziert, d. h. in möglichster Einseitigkeit seine Triebe
auf einen Grundton abstimmt, zu dem sie nun insgesamt
harmonisch sind, so dass es wegen ihrer Gleichheit oder
Parallelität zu keiner Konkurrenz kommt; oder indem es sich
seinen einzelnen Trieben und Seiten nach derart differenziert
und jede derselben ein so gesondertes Gebiet -- sei es im
Nebeneinander, oder, wie wir es weiterhin ausführen werden,
im Nacheinander --, ein so scharf umgrenztes Ziel und so
selbständige, abseits aller anderen liegende Wege dazu besitzt,
dass gar keine Berührung und deshalb keine Reibung und
Konkurrenz unter ihnen stattfindet; die Differenzierung im
Sinne des Ganzen wie im Sinne der Teile wirkt gleicher-
massen kraftsparend. Will man diesem Verhältnis eine Stellung
in einer kosmologischen Metaphysik anweisen, was ja immer
nur den Anspruch einer unsicheren Ahnung und andeutenden
Symbolik erheben kann, so dürfte man auf die Zöllner'sche
Hypothese verweisen: die den Elementen der Materie inne-
wohnenden Kräfte müssten so beschaffen sein, dass die unter
ihrem Einflusse stattfindenden Bewegungen dahin streben, in
einem begrenzten Raume die Anzahl der stattfindenden Zu-
sammenstösse auf ein Minimum zu reduzieren. Danach würden
also z. B. die Bewegungen eines mit Gasmolekülen erfüllten

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hinter dem nötigen Quantum sich sehr schnell bemerkbar
machen würde, so irren wir offenbar mehr und öfter nach
der Seite des Zuviel, und die motorisch aufgewandte Energie
wirkt noch über den Punkt hinaus, auf den sie rationaler
Weise gerichtet ist. Setzt an diesem nun eine neue Willens-
richtung ein, so hat sie gewissermaſsen nicht ganz freies Feld
vor sich, sondern findet jenen Überschuſs anders gerichteter
Kraft vor, den sie erst durch eine entsprechende eigene Ver-
stärkung überwinden muſs.

Man muſs hier auch an Vorgänge innerhalb des Indivi-
duums erinnern, die wenigstens gleichnisweise als Reibung
und Konkurrenz zu begreifen sind. Je vielseitiger man sich
bethätigt, je geringer die Einheitlichkeit und Umgrenzung un-
seres Wesens ist, desto häufiger wird die verfügbare Kraft-
summe desselben von verschiedenen Direktiven in Anspruch
genommen, die so wenig wie Individuen untereinander eine
friedliche Teilung jener vornehmen, sondern indem jede mög-
lichst viel Kraft für sich beansprucht, muſs sie jeder anderen
Abbruch thun, und zwar geschieht dies offenbar oft genug so,
daſs auf die direkte Beseitigung des konkurrierenden Triebes
Kraft verwandt wird, die uns dem sachlichen Ziele nicht
näher bringt; es findet nur eine gegenseitige Aufhebung ent-
gegengesetzt gerichteter Kräfte statt, deren Resultat Null ist,
ehe es zu positiver Leistung kommt. Durch zweierlei Diffe-
renzierungen allein kann das Individuum die so in ihm ver-
schwendeten Kräfte sparen: entweder indem es sich als Ganzes
differenziert, d. h. in möglichster Einseitigkeit seine Triebe
auf einen Grundton abstimmt, zu dem sie nun insgesamt
harmonisch sind, so daſs es wegen ihrer Gleichheit oder
Parallelität zu keiner Konkurrenz kommt; oder indem es sich
seinen einzelnen Trieben und Seiten nach derart differenziert
und jede derselben ein so gesondertes Gebiet — sei es im
Nebeneinander, oder, wie wir es weiterhin ausführen werden,
im Nacheinander —, ein so scharf umgrenztes Ziel und so
selbständige, abseits aller anderen liegende Wege dazu besitzt,
daſs gar keine Berührung und deshalb keine Reibung und
Konkurrenz unter ihnen stattfindet; die Differenzierung im
Sinne des Ganzen wie im Sinne der Teile wirkt gleicher-
maſsen kraftsparend. Will man diesem Verhältnis eine Stellung
in einer kosmologischen Metaphysik anweisen, was ja immer
nur den Anspruch einer unsicheren Ahnung und andeutenden
Symbolik erheben kann, so dürfte man auf die Zöllner’sche
Hypothese verweisen: die den Elementen der Materie inne-
wohnenden Kräfte müſsten so beschaffen sein, daſs die unter
ihrem Einflusse stattfindenden Bewegungen dahin streben, in
einem begrenzten Raume die Anzahl der stattfindenden Zu-
sammenstöſse auf ein Minimum zu reduzieren. Danach würden
also z. B. die Bewegungen eines mit Gasmolekülen erfüllten

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[126/0140] X 1. hinter dem nötigen Quantum sich sehr schnell bemerkbar machen würde, so irren wir offenbar mehr und öfter nach der Seite des Zuviel, und die motorisch aufgewandte Energie wirkt noch über den Punkt hinaus, auf den sie rationaler Weise gerichtet ist. Setzt an diesem nun eine neue Willens- richtung ein, so hat sie gewissermaſsen nicht ganz freies Feld vor sich, sondern findet jenen Überschuſs anders gerichteter Kraft vor, den sie erst durch eine entsprechende eigene Ver- stärkung überwinden muſs. Man muſs hier auch an Vorgänge innerhalb des Indivi- duums erinnern, die wenigstens gleichnisweise als Reibung und Konkurrenz zu begreifen sind. Je vielseitiger man sich bethätigt, je geringer die Einheitlichkeit und Umgrenzung un- seres Wesens ist, desto häufiger wird die verfügbare Kraft- summe desselben von verschiedenen Direktiven in Anspruch genommen, die so wenig wie Individuen untereinander eine friedliche Teilung jener vornehmen, sondern indem jede mög- lichst viel Kraft für sich beansprucht, muſs sie jeder anderen Abbruch thun, und zwar geschieht dies offenbar oft genug so, daſs auf die direkte Beseitigung des konkurrierenden Triebes Kraft verwandt wird, die uns dem sachlichen Ziele nicht näher bringt; es findet nur eine gegenseitige Aufhebung ent- gegengesetzt gerichteter Kräfte statt, deren Resultat Null ist, ehe es zu positiver Leistung kommt. Durch zweierlei Diffe- renzierungen allein kann das Individuum die so in ihm ver- schwendeten Kräfte sparen: entweder indem es sich als Ganzes differenziert, d. h. in möglichster Einseitigkeit seine Triebe auf einen Grundton abstimmt, zu dem sie nun insgesamt harmonisch sind, so daſs es wegen ihrer Gleichheit oder Parallelität zu keiner Konkurrenz kommt; oder indem es sich seinen einzelnen Trieben und Seiten nach derart differenziert und jede derselben ein so gesondertes Gebiet — sei es im Nebeneinander, oder, wie wir es weiterhin ausführen werden, im Nacheinander —, ein so scharf umgrenztes Ziel und so selbständige, abseits aller anderen liegende Wege dazu besitzt, daſs gar keine Berührung und deshalb keine Reibung und Konkurrenz unter ihnen stattfindet; die Differenzierung im Sinne des Ganzen wie im Sinne der Teile wirkt gleicher- maſsen kraftsparend. Will man diesem Verhältnis eine Stellung in einer kosmologischen Metaphysik anweisen, was ja immer nur den Anspruch einer unsicheren Ahnung und andeutenden Symbolik erheben kann, so dürfte man auf die Zöllner’sche Hypothese verweisen: die den Elementen der Materie inne- wohnenden Kräfte müſsten so beschaffen sein, daſs die unter ihrem Einflusse stattfindenden Bewegungen dahin streben, in einem begrenzten Raume die Anzahl der stattfindenden Zu- sammenstöſse auf ein Minimum zu reduzieren. Danach würden also z. B. die Bewegungen eines mit Gasmolekülen erfüllten

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/140>, abgerufen am 23.11.2024.