Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.X 1. scher Entwicklung. Der Fortgang derselben aber zielt nunauf associative Verhältnisse homogener Bestandteile aus hete- rogenen Kreisen. So umschliesst die Familie eine Anzahl ver- schiedenartiger Individualitäten, die zunächst auf diese Ver- bindung im engsten Masse angewiesen sind. Mit fortschrei- tender Entwicklung aber spinnt jeder Einzelne derselben ein Band zu Persönlichkeiten, welche ausserhalb dieses ursprüng- lichen Associationskreises liegen und statt dessen durch sach- liche Gleichheit der Anlagen, Neigungen und Thätigkeiten u. s. w. eine Beziehung zu ihm besitzen; die Association durch äusserliches Zusammensein wird mehr und mehr durch eine solche nach inhaltlichen Beziehungen ersetzt. Wie der höhere Begriff das zusammenbindet, was einer grossen Anzahl sehr verschiedenartiger Anschauungskomplexe gemeinsam ist, so schliessen die höheren praktischen Gesichtspunkte die gleichen Individuen aus durchaus fremden und unverbundenen Gruppen zusammen; es stellen sich neue Berührungskreise her, welche die früheren, relativ mehr naturgegebenen, mehr durch sinn- lichere Beziehungen zusammengehaltenen, in den mannichfal- tigsten Winkeln durchsetzen. Eins der einfachsten Beispiele ist das angeführte, dass X 1. scher Entwicklung. Der Fortgang derselben aber zielt nunauf associative Verhältnisse homogener Bestandteile aus hete- rogenen Kreisen. So umschlieſst die Familie eine Anzahl ver- schiedenartiger Individualitäten, die zunächst auf diese Ver- bindung im engsten Maſse angewiesen sind. Mit fortschrei- tender Entwicklung aber spinnt jeder Einzelne derselben ein Band zu Persönlichkeiten, welche auſserhalb dieses ursprüng- lichen Associationskreises liegen und statt dessen durch sach- liche Gleichheit der Anlagen, Neigungen und Thätigkeiten u. s. w. eine Beziehung zu ihm besitzen; die Association durch äuſserliches Zusammensein wird mehr und mehr durch eine solche nach inhaltlichen Beziehungen ersetzt. Wie der höhere Begriff das zusammenbindet, was einer groſsen Anzahl sehr verschiedenartiger Anschauungskomplexe gemeinsam ist, so schlieſsen die höheren praktischen Gesichtspunkte die gleichen Individuen aus durchaus fremden und unverbundenen Gruppen zusammen; es stellen sich neue Berührungskreise her, welche die früheren, relativ mehr naturgegebenen, mehr durch sinn- lichere Beziehungen zusammengehaltenen, in den mannichfal- tigsten Winkeln durchsetzen. 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Noch stärker und charakteristischer als in der Gegen-<lb/> wart zeigte sich die Kraft des geistigen und Bildungsinteresses,<lb/> das Zusammengehörige aus höchst verschiedenen Kreisen<lb/> heraus zu differenzieren und zu einer neuen Gemeinschaft<lb/> zusammenzuschlieſsen, in der Renaissancezeit Das humani-<lb/> stische Interesse durchbrach die mittelalterliche Absonderung<lb/> der Kreise und Stände und gab Leuten, die von den ver-<lb/> schiedensten Ausgangspunkten hergekommen, und die oft noch<lb/> den verschiedensten Berufen treu blieben, eine gemeinsame<lb/> aktive oder passive Teilnahme an Gedanken und Erkennt-<lb/> nissen, welche die bisherigen Formen und Einteilungen des<lb/> Lebens auf das mannichfaltigste kreuzten. Die Vorstellung<lb/> herrschte, daſs das Bedeutende zusammengehöre; das zeigen<lb/> die im XIV. Jahrhundert auftauchenden Sammlungen von<lb/> Lebensbeschreibungen, die eben ausgezeichnete Leute als<lb/> solche in einem einheitlichen Werke zusammen schildern,<lb/> mochten sie nun Theologen oder Künstler, Staatsmänner oder<lb/> Philologen sein. Nur so ist es möglich, daſs ein mächtiger<lb/> König, Robert von Neapel, mit dem Dichter Petrarka Freund-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [101/0115]
X 1.
scher Entwicklung. Der Fortgang derselben aber zielt nun
auf associative Verhältnisse homogener Bestandteile aus hete-
rogenen Kreisen. So umschlieſst die Familie eine Anzahl ver-
schiedenartiger Individualitäten, die zunächst auf diese Ver-
bindung im engsten Maſse angewiesen sind. Mit fortschrei-
tender Entwicklung aber spinnt jeder Einzelne derselben ein
Band zu Persönlichkeiten, welche auſserhalb dieses ursprüng-
lichen Associationskreises liegen und statt dessen durch sach-
liche Gleichheit der Anlagen, Neigungen und Thätigkeiten
u. s. w. eine Beziehung zu ihm besitzen; die Association durch
äuſserliches Zusammensein wird mehr und mehr durch eine
solche nach inhaltlichen Beziehungen ersetzt. Wie der höhere
Begriff das zusammenbindet, was einer groſsen Anzahl sehr
verschiedenartiger Anschauungskomplexe gemeinsam ist, so
schlieſsen die höheren praktischen Gesichtspunkte die gleichen
Individuen aus durchaus fremden und unverbundenen Gruppen
zusammen; es stellen sich neue Berührungskreise her, welche
die früheren, relativ mehr naturgegebenen, mehr durch sinn-
lichere Beziehungen zusammengehaltenen, in den mannichfal-
tigsten Winkeln durchsetzen.
Eins der einfachsten Beispiele ist das angeführte, daſs
der ursprüngliche Zusammenhang des Familienkreises dadurch
modifiziert wird, daſs die Individualität des Einzelnen diesen
in anderweitige Kreise einreiht; eins der höchsten die „Ge-
lehrtenrepublik“, jene halb ideelle, halb reale Verbindung aller
in einem so höchst allgemeinen Ziel wie Erkenntnis überhaupt
sich zusammenfindenden Persönlichkeiten, die im übrigen den
allerverschiedensten Gruppen in Bezug auf Nationalität, per-
sönliche und specielle Interessen, sociale Stellung u. s. w. an-
gehören. Noch stärker und charakteristischer als in der Gegen-
wart zeigte sich die Kraft des geistigen und Bildungsinteresses,
das Zusammengehörige aus höchst verschiedenen Kreisen
heraus zu differenzieren und zu einer neuen Gemeinschaft
zusammenzuschlieſsen, in der Renaissancezeit Das humani-
stische Interesse durchbrach die mittelalterliche Absonderung
der Kreise und Stände und gab Leuten, die von den ver-
schiedensten Ausgangspunkten hergekommen, und die oft noch
den verschiedensten Berufen treu blieben, eine gemeinsame
aktive oder passive Teilnahme an Gedanken und Erkennt-
nissen, welche die bisherigen Formen und Einteilungen des
Lebens auf das mannichfaltigste kreuzten. Die Vorstellung
herrschte, daſs das Bedeutende zusammengehöre; das zeigen
die im XIV. Jahrhundert auftauchenden Sammlungen von
Lebensbeschreibungen, die eben ausgezeichnete Leute als
solche in einem einheitlichen Werke zusammen schildern,
mochten sie nun Theologen oder Künstler, Staatsmänner oder
Philologen sein. Nur so ist es möglich, daſs ein mächtiger
König, Robert von Neapel, mit dem Dichter Petrarka Freund-
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