Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Sievers Briefe
Staatsrath und Befehlshabers der kolywanischen Berg-
werke und Ritter Katschka, bey dem Hrn, Vice-Gou-
verneur und Ritter Aschwerdoff, einem Maune der
seiner ausgebreiteten Kenntniß aller gelehrten europäi-
schen Sprachen, der großen Länderkunde und übrigen
vielen Wissenschaften wegen, die größte Ehrfurcht ver-
dient, und vieler anderen hiesigen vortrefflichen Männer
zu genießen das Glück hatte. Gestehen mußte ich doch
am Ende daß es für einen Europäer unter Europäern
noch immer am behaglichsten ist. Kömmt ihm einmal
die Langeweile an: Ey nun so läust er eine Zeit lang zu
den Nomaden und alle Langeweile entflieht! --

Variatio delectat.

Aus Kiachta also wünsche ich Jhnen allen, liebe
Lehrer und Freunde! viel Glück zum 1794. Jahr. Hier
will ich Jhnen den Prodromum Florae sibiricae ausar-
beiten und jetzt diese Briefe mit einigen Nachrichten von
der wahren Rhabarber schließen. Jch empfange
nunmehro von den Rhabarberbucharen ebengenannte me-
dizinische Wurzel zu 1000 Pudweise. Meine Reisen
sowohl, wie die Bekanntschaft mit jenen Bucharen, ha-
ben mich überzeugt, daß bis jetzt noch Niemand, außer
trocknen Wurzeln, das wahre Gewächs der Rhabarber
gesehen hat. Alles, was in den Nachrichten der Jesuiten
darüber steht, ist jämmerliches verworrenes Zeug; alle
Saamen, die jemals unter dem Namen ächter Rhabar-
ber erhalten worden, sind salsch; alle Plantagen, von der
des Ritters Murray an gerechnet, bis auf den letzten
Topf, den sich vielleicht ein Privatmann mit einer Pflan-

ze

Sievers Briefe
Staatsrath und Befehlshabers der kolywaniſchen Berg-
werke und Ritter Katſchka, bey dem Hrn, Vice-Gou-
verneur und Ritter Aſchwerdoff, einem Maune der
ſeiner ausgebreiteten Kenntniß aller gelehrten europaͤi-
ſchen Sprachen, der großen Laͤnderkunde und uͤbrigen
vielen Wiſſenſchaften wegen, die groͤßte Ehrfurcht ver-
dient, und vieler anderen hieſigen vortrefflichen Maͤnner
zu genießen das Gluͤck hatte. Geſtehen mußte ich doch
am Ende daß es fuͤr einen Europaͤer unter Europaͤern
noch immer am behaglichſten iſt. Koͤmmt ihm einmal
die Langeweile an: Ey nun ſo laͤuſt er eine Zeit lang zu
den Nomaden und alle Langeweile entflieht! —

Variatio delectat.

Aus Kiachta alſo wuͤnſche ich Jhnen allen, liebe
Lehrer und Freunde! viel Gluͤck zum 1794. Jahr. Hier
will ich Jhnen den Prodromum Florae ſibiricae ausar-
beiten und jetzt dieſe Briefe mit einigen Nachrichten von
der wahren Rhabarber ſchließen. Jch empfange
nunmehro von den Rhabarberbucharen ebengenannte me-
diziniſche Wurzel zu 1000 Pudweiſe. Meine Reiſen
ſowohl, wie die Bekanntſchaft mit jenen Bucharen, ha-
ben mich uͤberzeugt, daß bis jetzt noch Niemand, außer
trocknen Wurzeln, das wahre Gewaͤchs der Rhabarber
geſehen hat. Alles, was in den Nachrichten der Jeſuiten
daruͤber ſteht, iſt jaͤmmerliches verworrenes Zeug; alle
Saamen, die jemals unter dem Namen aͤchter Rhabar-
ber erhalten worden, ſind ſalſch; alle Plantagen, von der
des Ritters Murray an gerechnet, bis auf den letzten
Topf, den ſich vielleicht ein Privatmann mit einer Pflan-

ze
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0232" n="224"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sievers Briefe</hi></fw><lb/>
Staatsrath und Befehlshabers der kolywani&#x017F;chen Berg-<lb/>
werke und Ritter <hi rendition="#fr">Kat&#x017F;chka,</hi> bey dem Hrn, Vice-Gou-<lb/>
verneur und Ritter <hi rendition="#fr">A&#x017F;chwerdoff,</hi> einem Maune der<lb/>
&#x017F;einer ausgebreiteten Kenntniß aller gelehrten europa&#x0364;i-<lb/>
&#x017F;chen Sprachen, der großen La&#x0364;nderkunde und u&#x0364;brigen<lb/>
vielen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften wegen, die gro&#x0364;ßte Ehrfurcht ver-<lb/>
dient, und vieler anderen hie&#x017F;igen vortrefflichen Ma&#x0364;nner<lb/>
zu genießen das Glu&#x0364;ck hatte. Ge&#x017F;tehen mußte ich doch<lb/>
am Ende daß es fu&#x0364;r einen Europa&#x0364;er unter Europa&#x0364;ern<lb/>
noch immer am behaglich&#x017F;ten i&#x017F;t. Ko&#x0364;mmt ihm einmal<lb/>
die Langeweile an: Ey nun &#x017F;o la&#x0364;u&#x017F;t er eine Zeit lang zu<lb/>
den Nomaden und alle Langeweile entflieht! &#x2014;</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#aq">Variatio delectat.</hi> </p><lb/>
          <p>Aus Kiachta al&#x017F;o wu&#x0364;n&#x017F;che ich Jhnen allen, liebe<lb/>
Lehrer und Freunde! viel Glu&#x0364;ck zum 1794. Jahr. Hier<lb/>
will ich Jhnen den <hi rendition="#aq">Prodromum Florae &#x017F;ibiricae</hi> ausar-<lb/>
beiten und jetzt die&#x017F;e Briefe mit einigen Nachrichten von<lb/>
der <hi rendition="#fr">wahren Rhabarber</hi> &#x017F;chließen. Jch empfange<lb/>
nunmehro von den Rhabarberbucharen ebengenannte me-<lb/>
dizini&#x017F;che Wurzel zu 1000 Pudwei&#x017F;e. Meine Rei&#x017F;en<lb/>
&#x017F;owohl, wie die Bekannt&#x017F;chaft mit jenen Bucharen, ha-<lb/>
ben mich u&#x0364;berzeugt, daß bis jetzt noch Niemand, außer<lb/>
trocknen Wurzeln, das wahre Gewa&#x0364;chs der Rhabarber<lb/>
ge&#x017F;ehen hat. Alles, was in den Nachrichten der Je&#x017F;uiten<lb/>
daru&#x0364;ber &#x017F;teht, i&#x017F;t ja&#x0364;mmerliches verworrenes Zeug; alle<lb/>
Saamen, die jemals unter dem Namen a&#x0364;chter Rhabar-<lb/>
ber erhalten worden, &#x017F;ind &#x017F;al&#x017F;ch; alle Plantagen, von der<lb/>
des Ritters <hi rendition="#fr">Murray</hi> an gerechnet, bis auf den letzten<lb/>
Topf, den &#x017F;ich vielleicht ein Privatmann mit einer Pflan-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ze</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0232] Sievers Briefe Staatsrath und Befehlshabers der kolywaniſchen Berg- werke und Ritter Katſchka, bey dem Hrn, Vice-Gou- verneur und Ritter Aſchwerdoff, einem Maune der ſeiner ausgebreiteten Kenntniß aller gelehrten europaͤi- ſchen Sprachen, der großen Laͤnderkunde und uͤbrigen vielen Wiſſenſchaften wegen, die groͤßte Ehrfurcht ver- dient, und vieler anderen hieſigen vortrefflichen Maͤnner zu genießen das Gluͤck hatte. Geſtehen mußte ich doch am Ende daß es fuͤr einen Europaͤer unter Europaͤern noch immer am behaglichſten iſt. Koͤmmt ihm einmal die Langeweile an: Ey nun ſo laͤuſt er eine Zeit lang zu den Nomaden und alle Langeweile entflieht! — Variatio delectat. Aus Kiachta alſo wuͤnſche ich Jhnen allen, liebe Lehrer und Freunde! viel Gluͤck zum 1794. Jahr. Hier will ich Jhnen den Prodromum Florae ſibiricae ausar- beiten und jetzt dieſe Briefe mit einigen Nachrichten von der wahren Rhabarber ſchließen. Jch empfange nunmehro von den Rhabarberbucharen ebengenannte me- diziniſche Wurzel zu 1000 Pudweiſe. Meine Reiſen ſowohl, wie die Bekanntſchaft mit jenen Bucharen, ha- ben mich uͤberzeugt, daß bis jetzt noch Niemand, außer trocknen Wurzeln, das wahre Gewaͤchs der Rhabarber geſehen hat. Alles, was in den Nachrichten der Jeſuiten daruͤber ſteht, iſt jaͤmmerliches verworrenes Zeug; alle Saamen, die jemals unter dem Namen aͤchter Rhabar- ber erhalten worden, ſind ſalſch; alle Plantagen, von der des Ritters Murray an gerechnet, bis auf den letzten Topf, den ſich vielleicht ein Privatmann mit einer Pflan- ze

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/232
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/232>, abgerufen am 25.11.2024.