Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.Sievers Briefe Reiche Heerden besonders hält er für seine größte Glück-seeligkeit, und sie sind es. Diese zu erwerben, geht er auf Räubereyen aus, diese zu beschützen, versammlet er sie jeden Abend um seine Jurte her und sobald es sinster wird nimmt er seine Pike und reitet, abwechselnd mit Andern, die ganze Nacht um dieselbe herum, seine Hun- de begleiten ihn im Schreyen und Rufen, um die Wölfe zu verjagen, denen es dem allen ohngeachtet zuweilen ge- lingt ein Schaaf wegzuschleppen. Der Kirgise will durchaus, so wie das Steppenthier, im vollen Sinn des Worts frey seyn, mit seinen Sultanen (Törrö) macht er wenig Komplimente, er setzt sich neben sie und raucht seine Pfeife Toback. Bekommt jener ein Geschenk, so begehrt er sein Theil davon und reißt es ihm auch wohl aus der Hand, wenn er zaudert mit ihm zu theilen. Der Kirgise gleicht dem alten Squeir Western in Fiel- dings Tom Jones. Die Leidenschaft, die eben die Oberhand hat, regiert mit voller Wuth. Er ist in der einen Stunde wild wie ein Vieh und in der andern gü- tig und der beste Freund. Grade nun mit solchen Leu- ten ists, deucht mir am besten umzugehen. Einen Kir- gisen so zu gewinnen, daß er sogar in den größten Ge- fahren uns nicht verlasse, ist die leichteste Sache von der Welt. Man mache ihm kleine Geschenke, begegne ihm mit Freundlichkeit und Menschlichkeit und er wird einen treuern Diener abgeben, wie die mehrsten Christen. Jch kenne alle Nomaden in Asien, aber nur erst bey den Kir- gisen konnte ich Rousseau's Discours sur l'origine et les fondemens de l'inegalite parmi les Hommes verstehen und
Sievers Briefe Reiche Heerden beſonders haͤlt er fuͤr ſeine groͤßte Gluͤck-ſeeligkeit, und ſie ſind es. Dieſe zu erwerben, geht er auf Raͤubereyen aus, dieſe zu beſchuͤtzen, verſammlet er ſie jeden Abend um ſeine Jurte her und ſobald es ſinſter wird nimmt er ſeine Pike und reitet, abwechſelnd mit Andern, die ganze Nacht um dieſelbe herum, ſeine Hun- de begleiten ihn im Schreyen und Rufen, um die Woͤlfe zu verjagen, denen es dem allen ohngeachtet zuweilen ge- lingt ein Schaaf wegzuſchleppen. Der Kirgiſe will durchaus, ſo wie das Steppenthier, im vollen Sinn des Worts frey ſeyn, mit ſeinen Sultanen (Toͤrroͤ) macht er wenig Komplimente, er ſetzt ſich neben ſie und raucht ſeine Pfeife Toback. Bekommt jener ein Geſchenk, ſo begehrt er ſein Theil davon und reißt es ihm auch wohl aus der Hand, wenn er zaudert mit ihm zu theilen. Der Kirgiſe gleicht dem alten Squeir Weſtern in Fiel- dings Tom Jones. Die Leidenſchaft, die eben die Oberhand hat, regiert mit voller Wuth. Er iſt in der einen Stunde wild wie ein Vieh und in der andern guͤ- tig und der beſte Freund. Grade nun mit ſolchen Leu- ten iſts, deucht mir am beſten umzugehen. Einen Kir- giſen ſo zu gewinnen, daß er ſogar in den groͤßten Ge- fahren uns nicht verlaſſe, iſt die leichteſte Sache von der Welt. Man mache ihm kleine Geſchenke, begegne ihm mit Freundlichkeit und Menſchlichkeit und er wird einen treuern Diener abgeben, wie die mehrſten Chriſten. Jch kenne alle Nomaden in Aſien, aber nur erſt bey den Kir- giſen konnte ich Rouſſeau’s Diſcours ſur l’origine et les fondemens de l’inegalité parmi les Hommes verſtehen und
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Sievers Briefe
Reiche Heerden beſonders haͤlt er fuͤr ſeine groͤßte Gluͤck-
ſeeligkeit, und ſie ſind es. Dieſe zu erwerben, geht er
auf Raͤubereyen aus, dieſe zu beſchuͤtzen, verſammlet er
ſie jeden Abend um ſeine Jurte her und ſobald es ſinſter
wird nimmt er ſeine Pike und reitet, abwechſelnd mit
Andern, die ganze Nacht um dieſelbe herum, ſeine Hun-
de begleiten ihn im Schreyen und Rufen, um die Woͤlfe
zu verjagen, denen es dem allen ohngeachtet zuweilen ge-
lingt ein Schaaf wegzuſchleppen. Der Kirgiſe will
durchaus, ſo wie das Steppenthier, im vollen Sinn des
Worts frey ſeyn, mit ſeinen Sultanen (Toͤrroͤ) macht
er wenig Komplimente, er ſetzt ſich neben ſie und raucht
ſeine Pfeife Toback. Bekommt jener ein Geſchenk, ſo
begehrt er ſein Theil davon und reißt es ihm auch wohl
aus der Hand, wenn er zaudert mit ihm zu theilen. Der
Kirgiſe gleicht dem alten Squeir Weſtern in Fiel-
dings Tom Jones. Die Leidenſchaft, die eben die
Oberhand hat, regiert mit voller Wuth. Er iſt in der
einen Stunde wild wie ein Vieh und in der andern guͤ-
tig und der beſte Freund. Grade nun mit ſolchen Leu-
ten iſts, deucht mir am beſten umzugehen. Einen Kir-
giſen ſo zu gewinnen, daß er ſogar in den groͤßten Ge-
fahren uns nicht verlaſſe, iſt die leichteſte Sache von der
Welt. Man mache ihm kleine Geſchenke, begegne ihm
mit Freundlichkeit und Menſchlichkeit und er wird einen
treuern Diener abgeben, wie die mehrſten Chriſten. Jch
kenne alle Nomaden in Aſien, aber nur erſt bey den Kir-
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