Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
Sievers Briefe

Gegen Abend gelangten wir in ein angenehmes,
enges, tiefes Thal und zu einer Wollost, wo wir Anver-
wandte des Sandücks, eine sehr freundschaftliche Auf-
nahme und ein nach kirgisischer Art herrliches Abendes-
sen fanden. Hiebey lernte ich abermals ein neues Ge-
richt kennen, welches nur bey besondern Gelegenheiten
hergegeben wird. Es waren die muskulösen Theile mit
der Tibia von jungen Pferden geräuchert. Allenfalls
die wohlschmeckenden westphälischen Schinken könnte
man in Rücksicht des Geschmacks diesen an die Seite
stellen. Sie werden in Gedärmen dem Rauche ausge-
setzt und Kallbaßi genannt, eine Benennung, die auch
von den Russen für die Würste gebraucht wird.

Den 30. Jul. Da wir eine sehr gebürgige Reise
noch vor uns hatten, so gaben wir den Pferden-heute
noch Ruhe. Jch konnte daher den Tag zum Botanisi-
ren gebrauchen. Die hiesigen hohen Berge, welche
größtentheils mit recht schwarzer Dammerde bedeckt wa-
ren, in welcher die schönste Weide fortkam, lieferten mir
folgendes: Spiraea laevigata, Artemisia borealis Pall.
Veratrum nigrum, Paeonia laciniata,
die sich bloß durch
die einfachen Blumen unterschied, sonst aber mit der fet-
testen weitausgebreitesten, höchsten Garten-Paeonia
gänzlich übereinkam, folglich mich überzeugte daß *) diese
und die laciniata ein und eben dieselbe Pflanze ist; Cni-

cus
*) Jch muthmaße, daß die hier gemeynte Pöonie eine
ganz andre Gattung gewesen sey. Denn P. laciniata
ist von der Gartenpöonie zu sehr und standhaft un-
terschieden. P.
Sievers Briefe

Gegen Abend gelangten wir in ein angenehmes,
enges, tiefes Thal und zu einer Wolloſt, wo wir Anver-
wandte des Sanduͤcks, eine ſehr freundſchaftliche Auf-
nahme und ein nach kirgiſiſcher Art herrliches Abendeſ-
ſen fanden. Hiebey lernte ich abermals ein neues Ge-
richt kennen, welches nur bey beſondern Gelegenheiten
hergegeben wird. Es waren die muskuloͤſen Theile mit
der Tibia von jungen Pferden geraͤuchert. Allenfalls
die wohlſchmeckenden weſtphaͤliſchen Schinken koͤnnte
man in Ruͤckſicht des Geſchmacks dieſen an die Seite
ſtellen. Sie werden in Gedaͤrmen dem Rauche ausge-
ſetzt und Kallbaßi genannt, eine Benennung, die auch
von den Ruſſen fuͤr die Wuͤrſte gebraucht wird.

Den 30. Jul. Da wir eine ſehr gebuͤrgige Reiſe
noch vor uns hatten, ſo gaben wir den Pferden-heute
noch Ruhe. Jch konnte daher den Tag zum Botaniſi-
ren gebrauchen. Die hieſigen hohen Berge, welche
groͤßtentheils mit recht ſchwarzer Dammerde bedeckt wa-
ren, in welcher die ſchoͤnſte Weide fortkam, lieferten mir
folgendes: Spiraea laevigata, Artemiſia borealis Pall.
Veratrum nigrum, Paeonia laciniata,
die ſich bloß durch
die einfachen Blumen unterſchied, ſonſt aber mit der fet-
teſten weitausgebreiteſten, hoͤchſten Garten-Paeonia
gaͤnzlich uͤbereinkam, folglich mich uͤberzeugte daß *) dieſe
und die laciniata ein und eben dieſelbe Pflanze iſt; Cni-

cus
*) Jch muthmaße, daß die hier gemeynte Poͤonie eine
ganz andre Gattung geweſen ſey. Denn P. laciniata
iſt von der Gartenpoͤonie zu ſehr und ſtandhaft un-
terſchieden. P.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0210" n="202"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sievers Briefe</hi> </fw><lb/>
          <p>Gegen Abend gelangten wir in ein angenehmes,<lb/>
enges, tiefes Thal und zu einer Wollo&#x017F;t, wo wir Anver-<lb/>
wandte des <hi rendition="#fr">Sandu&#x0364;cks,</hi> eine &#x017F;ehr freund&#x017F;chaftliche Auf-<lb/>
nahme und ein nach kirgi&#x017F;i&#x017F;cher Art herrliches Abende&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en fanden. Hiebey lernte ich abermals ein neues Ge-<lb/>
richt kennen, welches nur bey be&#x017F;ondern Gelegenheiten<lb/>
hergegeben wird. Es waren die muskulo&#x0364;&#x017F;en Theile mit<lb/>
der <hi rendition="#aq">Tibia</hi> von jungen Pferden gera&#x0364;uchert. Allenfalls<lb/>
die wohl&#x017F;chmeckenden we&#x017F;tpha&#x0364;li&#x017F;chen Schinken ko&#x0364;nnte<lb/>
man in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht des Ge&#x017F;chmacks die&#x017F;en an die Seite<lb/>
&#x017F;tellen. Sie werden in Geda&#x0364;rmen dem Rauche ausge-<lb/>
&#x017F;etzt und <hi rendition="#fr">Kallbaßi</hi> genannt, eine Benennung, die auch<lb/>
von den Ru&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;r die Wu&#x0364;r&#x017F;te gebraucht wird.</p><lb/>
          <p>Den 30. Jul. Da wir eine &#x017F;ehr gebu&#x0364;rgige Rei&#x017F;e<lb/>
noch vor uns hatten, &#x017F;o gaben wir den Pferden-heute<lb/>
noch Ruhe. Jch konnte daher den Tag zum Botani&#x017F;i-<lb/>
ren gebrauchen. Die hie&#x017F;igen hohen Berge, welche<lb/>
gro&#x0364;ßtentheils mit recht &#x017F;chwarzer Dammerde bedeckt wa-<lb/>
ren, in welcher die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Weide fortkam, lieferten mir<lb/>
folgendes: <hi rendition="#aq">Spiraea laevigata, Artemi&#x017F;ia borealis Pall.<lb/>
Veratrum nigrum, Paeonia laciniata,</hi> die &#x017F;ich bloß durch<lb/>
die einfachen Blumen unter&#x017F;chied, &#x017F;on&#x017F;t aber mit der fet-<lb/>
te&#x017F;ten weitausgebreite&#x017F;ten, ho&#x0364;ch&#x017F;ten Garten-<hi rendition="#aq">Paeonia</hi><lb/>
ga&#x0364;nzlich u&#x0364;bereinkam, folglich mich u&#x0364;berzeugte daß <note place="foot" n="*)">Jch muthmaße, daß die hier gemeynte <hi rendition="#fr">Po&#x0364;onie</hi> eine<lb/>
ganz andre Gattung gewe&#x017F;en &#x017F;ey. Denn <hi rendition="#aq">P. laciniata</hi><lb/>
i&#x017F;t von der Gartenpo&#x0364;onie zu &#x017F;ehr und &#x017F;tandhaft un-<lb/>
ter&#x017F;chieden. P.</note> die&#x017F;e<lb/>
und die <hi rendition="#aq">laciniata</hi> ein und eben die&#x017F;elbe Pflanze i&#x017F;t; <hi rendition="#aq">Cni-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">cus</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0210] Sievers Briefe Gegen Abend gelangten wir in ein angenehmes, enges, tiefes Thal und zu einer Wolloſt, wo wir Anver- wandte des Sanduͤcks, eine ſehr freundſchaftliche Auf- nahme und ein nach kirgiſiſcher Art herrliches Abendeſ- ſen fanden. Hiebey lernte ich abermals ein neues Ge- richt kennen, welches nur bey beſondern Gelegenheiten hergegeben wird. Es waren die muskuloͤſen Theile mit der Tibia von jungen Pferden geraͤuchert. Allenfalls die wohlſchmeckenden weſtphaͤliſchen Schinken koͤnnte man in Ruͤckſicht des Geſchmacks dieſen an die Seite ſtellen. Sie werden in Gedaͤrmen dem Rauche ausge- ſetzt und Kallbaßi genannt, eine Benennung, die auch von den Ruſſen fuͤr die Wuͤrſte gebraucht wird. Den 30. Jul. Da wir eine ſehr gebuͤrgige Reiſe noch vor uns hatten, ſo gaben wir den Pferden-heute noch Ruhe. Jch konnte daher den Tag zum Botaniſi- ren gebrauchen. Die hieſigen hohen Berge, welche groͤßtentheils mit recht ſchwarzer Dammerde bedeckt wa- ren, in welcher die ſchoͤnſte Weide fortkam, lieferten mir folgendes: Spiraea laevigata, Artemiſia borealis Pall. Veratrum nigrum, Paeonia laciniata, die ſich bloß durch die einfachen Blumen unterſchied, ſonſt aber mit der fet- teſten weitausgebreiteſten, hoͤchſten Garten-Paeonia gaͤnzlich uͤbereinkam, folglich mich uͤberzeugte daß *) dieſe und die laciniata ein und eben dieſelbe Pflanze iſt; Cni- cus *) Jch muthmaße, daß die hier gemeynte Poͤonie eine ganz andre Gattung geweſen ſey. Denn P. laciniata iſt von der Gartenpoͤonie zu ſehr und ſtandhaft un- terſchieden. P.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/210
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/210>, abgerufen am 02.05.2024.