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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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Sievers Briefe
Mann Ruhe, und kochten das Mittagsessen. Jch glaub-
te dieses mit frischen Fischen zu vermehren, aber die Leu-
te kamen mit leeren Netzen vom Uldshar wieder zurück.
Es scheint als wenn dieser Fluß arm an Fischen ist. Jn
dieser großen Ebene wohnen die Kirgisen während der
Sommermonate, wegen der häufigen Bremsen, Mücken
und Moschki, nicht; sobald aber der Herbst eintritt und
das erwähnte Ungeziefer sich anfängt zu verlieren, so
wird auch diese kräuterreiche Steppe wiederum bewohnt.
Mein erstes Nachtlager im Schilf am Uldshar machte,
daß ich alle Geduld verlohr; kein Auge konnte ich zu-
thun, so müde und schläfrig ich auch war; die in der
Hölle erschaffenen und vom Teufel auf unsere Welt her-
abgesandten Mücken und ihre Genossen schienen unter
sich zu wetteifern, welche uns am besten plagen könnten.

Den 4ten Jul. Heute, nach elend hingebrachter
Nacht, giengen wir, wie leicht zu denken, sehr früh wei-
ter, und passirten 6 Werste von dem durch die Mücken
verursachten blutigen Lager das Flüßchen Jgenbalack,
welches in den Uldshar fällt. Nachdem wir etwa 5
Werste weiter südlich geritten waren, so zeigte sich dann
die so sehnlich gewünschte Rhabarber, weswegen ich
diese Reise eigentlich unternommen hatte. Ob es die
vom Ritter Pallas bey Astrachan gefundene Steppen-
Rhabarber ist oder nicht, will ich dahin gestellt seyn las-
sen, wenigstens stehet sie nicht in der neuesten Ausgabe
des Linneischen Pflanzensystems von Reichard und von
Murray herausgegeben. Jch nenne es indessen Rheum
cruentum
.
Was den Wuchs und das Ansehen anbetrift,

so

Sievers Briefe
Mann Ruhe, und kochten das Mittagseſſen. Jch glaub-
te dieſes mit friſchen Fiſchen zu vermehren, aber die Leu-
te kamen mit leeren Netzen vom Uldſhar wieder zuruͤck.
Es ſcheint als wenn dieſer Fluß arm an Fiſchen iſt. Jn
dieſer großen Ebene wohnen die Kirgiſen waͤhrend der
Sommermonate, wegen der haͤufigen Bremſen, Muͤcken
und Moſchki, nicht; ſobald aber der Herbſt eintritt und
das erwaͤhnte Ungeziefer ſich anfaͤngt zu verlieren, ſo
wird auch dieſe kraͤuterreiche Steppe wiederum bewohnt.
Mein erſtes Nachtlager im Schilf am Uldſhar machte,
daß ich alle Geduld verlohr; kein Auge konnte ich zu-
thun, ſo muͤde und ſchlaͤfrig ich auch war; die in der
Hoͤlle erſchaffenen und vom Teufel auf unſere Welt her-
abgeſandten Muͤcken und ihre Genoſſen ſchienen unter
ſich zu wetteifern, welche uns am beſten plagen koͤnnten.

Den 4ten Jul. Heute, nach elend hingebrachter
Nacht, giengen wir, wie leicht zu denken, ſehr fruͤh wei-
ter, und paſſirten 6 Werſte von dem durch die Muͤcken
verurſachten blutigen Lager das Fluͤßchen Jgenbalack,
welches in den Uldſhar faͤllt. Nachdem wir etwa 5
Werſte weiter ſuͤdlich geritten waren, ſo zeigte ſich dann
die ſo ſehnlich gewuͤnſchte Rhabarber, weswegen ich
dieſe Reiſe eigentlich unternommen hatte. Ob es die
vom Ritter Pallas bey Aſtrachan gefundene Steppen-
Rhabarber iſt oder nicht, will ich dahin geſtellt ſeyn laſ-
ſen, wenigſtens ſtehet ſie nicht in der neueſten Ausgabe
des Linnéiſchen Pflanzenſyſtems von Reichard und von
Murray herausgegeben. Jch nenne es indeſſen Rheum
cruentum
.
Was den Wuchs und das Anſehen anbetrift,

ſo
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[150/0158] Sievers Briefe Mann Ruhe, und kochten das Mittagseſſen. Jch glaub- te dieſes mit friſchen Fiſchen zu vermehren, aber die Leu- te kamen mit leeren Netzen vom Uldſhar wieder zuruͤck. Es ſcheint als wenn dieſer Fluß arm an Fiſchen iſt. Jn dieſer großen Ebene wohnen die Kirgiſen waͤhrend der Sommermonate, wegen der haͤufigen Bremſen, Muͤcken und Moſchki, nicht; ſobald aber der Herbſt eintritt und das erwaͤhnte Ungeziefer ſich anfaͤngt zu verlieren, ſo wird auch dieſe kraͤuterreiche Steppe wiederum bewohnt. Mein erſtes Nachtlager im Schilf am Uldſhar machte, daß ich alle Geduld verlohr; kein Auge konnte ich zu- thun, ſo muͤde und ſchlaͤfrig ich auch war; die in der Hoͤlle erſchaffenen und vom Teufel auf unſere Welt her- abgeſandten Muͤcken und ihre Genoſſen ſchienen unter ſich zu wetteifern, welche uns am beſten plagen koͤnnten. Den 4ten Jul. Heute, nach elend hingebrachter Nacht, giengen wir, wie leicht zu denken, ſehr fruͤh wei- ter, und paſſirten 6 Werſte von dem durch die Muͤcken verurſachten blutigen Lager das Fluͤßchen Jgenbalack, welches in den Uldſhar faͤllt. Nachdem wir etwa 5 Werſte weiter ſuͤdlich geritten waren, ſo zeigte ſich dann die ſo ſehnlich gewuͤnſchte Rhabarber, weswegen ich dieſe Reiſe eigentlich unternommen hatte. Ob es die vom Ritter Pallas bey Aſtrachan gefundene Steppen- Rhabarber iſt oder nicht, will ich dahin geſtellt ſeyn laſ- ſen, wenigſtens ſtehet ſie nicht in der neueſten Ausgabe des Linnéiſchen Pflanzenſyſtems von Reichard und von Murray herausgegeben. Jch nenne es indeſſen Rheum cruentum. Was den Wuchs und das Anſehen anbetrift, ſo

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/158>, abgerufen am 22.11.2024.