Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.aus Sibirien. genden mit dem richterlichen Ausspruch nicht zufrieden,so gehen sie zum nächsten Sultan, der denn gewiß das Finale gar bald und öfters gebieterisch genug ausspricht. Vorerwähnter Sarembet war im allgemeinen Ruf sei- ner vernünftigen Richtsprüche wegen. Fast niemals ge- hen die streitenden Partheyen unzufrieden von ihm weg. Furchtsamkeit ist der Kirgisen Hauptkarakter; so wild und unbändig sie gegen unbewehrte, besonders Fremde sind, wenn sie es sich nehmlich einfallen lassen, Beleidi- gungen auszutheilen, so feig sind sie gegen herzhafte, mit Gewehr ausgerüstete Leute. Die geringste Furcht hat böse Folgen. Der Kirgise ist kein Mörder oder determi- nirter Straßenräuber, deswegen sieht er sich wohl vor, mit wem er zu thun hat. Schießgewehr findet sich bis jetzt noch sehr wenig bey ihnen. Als ich an den Fuß des Berges kam, erfreute mich in K 2
aus Sibirien. genden mit dem richterlichen Ausſpruch nicht zufrieden,ſo gehen ſie zum naͤchſten Sultan, der denn gewiß das Finale gar bald und oͤfters gebieteriſch genug ausſpricht. Vorerwaͤhnter Sarembet war im allgemeinen Ruf ſei- ner vernuͤnftigen Richtſpruͤche wegen. Faſt niemals ge- hen die ſtreitenden Partheyen unzufrieden von ihm weg. Furchtſamkeit iſt der Kirgiſen Hauptkarakter; ſo wild und unbaͤndig ſie gegen unbewehrte, beſonders Fremde ſind, wenn ſie es ſich nehmlich einfallen laſſen, Beleidi- gungen auszutheilen, ſo feig ſind ſie gegen herzhafte, mit Gewehr ausgeruͤſtete Leute. Die geringſte Furcht hat boͤſe Folgen. Der Kirgiſe iſt kein Moͤrder oder determi- nirter Straßenraͤuber, deswegen ſieht er ſich wohl vor, mit wem er zu thun hat. Schießgewehr findet ſich bis jetzt noch ſehr wenig bey ihnen. Als ich an den Fuß des Berges kam, erfreute mich in K 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0155" n="147"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">aus Sibirien.</hi></fw><lb/> genden mit dem richterlichen Ausſpruch nicht zufrieden,<lb/> ſo gehen ſie zum naͤchſten Sultan, der denn gewiß das<lb/> Finale gar bald und oͤfters gebieteriſch genug ausſpricht.<lb/> Vorerwaͤhnter Sarembet war im allgemeinen Ruf ſei-<lb/> ner vernuͤnftigen Richtſpruͤche wegen. Faſt niemals ge-<lb/> hen die ſtreitenden Partheyen unzufrieden von ihm weg.<lb/> Furchtſamkeit iſt der Kirgiſen Hauptkarakter; ſo wild<lb/> und unbaͤndig ſie gegen unbewehrte, beſonders Fremde<lb/> ſind, wenn ſie es ſich nehmlich einfallen laſſen, Beleidi-<lb/> gungen auszutheilen, ſo feig ſind ſie gegen herzhafte, mit<lb/> Gewehr ausgeruͤſtete Leute. Die geringſte Furcht hat<lb/> boͤſe Folgen. Der Kirgiſe iſt kein Moͤrder oder determi-<lb/> nirter Straßenraͤuber, deswegen ſieht er ſich wohl vor,<lb/> mit wem er zu thun hat. Schießgewehr findet ſich bis<lb/> jetzt noch ſehr wenig bey ihnen.</p><lb/> <p>Als ich an den Fuß des Berges kam, erfreute mich<lb/> Goͤttin Flora mit einem Wald der ſchoͤnſten <hi rendition="#fr">Zwerg-<lb/> aͤpfelbaͤume,</hi> die hier am <hi rendition="#fr">Uldſhar</hi> zu beyden Seiten<lb/> wild wuchſen; ich vergaß Muͤdigkeit, Hitze, Steinge-<lb/> ruͤlle und alles, fuhr wie ein Wahnſinniger unter die<lb/> annoch unreifen Aepfel und ließ mirs gut ſchmecken.<lb/> Verzeihen Sie mir dieſe Ausgelaſſenheit, Sie wiſſen<lb/> ja, daß ich in einem Aepfellande gebohren bin; ſeit mei-<lb/> nem vierjaͤhrigen Aufenthalte in Sibirien habe ich keine<lb/> andern Baumſruͤchte gekoſtet, als die des jenſeit dem<lb/> Baikal wachſenden <hi rendition="#aq">Pyrus baccata,</hi> welche man dort als<lb/> Confekt zum Nachtiſch mit geſtoßenem Zucker aufſetzt<lb/> und ſo mit Theeloͤffeln ißt. Meine jetzt gefundenen Ae-<lb/> pfel aber waren gutes weinſaͤuerliches Tiſchobſt, die hier<lb/> <fw place="bottom" type="sig">K 2</fw><fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [147/0155]
aus Sibirien.
genden mit dem richterlichen Ausſpruch nicht zufrieden,
ſo gehen ſie zum naͤchſten Sultan, der denn gewiß das
Finale gar bald und oͤfters gebieteriſch genug ausſpricht.
Vorerwaͤhnter Sarembet war im allgemeinen Ruf ſei-
ner vernuͤnftigen Richtſpruͤche wegen. Faſt niemals ge-
hen die ſtreitenden Partheyen unzufrieden von ihm weg.
Furchtſamkeit iſt der Kirgiſen Hauptkarakter; ſo wild
und unbaͤndig ſie gegen unbewehrte, beſonders Fremde
ſind, wenn ſie es ſich nehmlich einfallen laſſen, Beleidi-
gungen auszutheilen, ſo feig ſind ſie gegen herzhafte, mit
Gewehr ausgeruͤſtete Leute. Die geringſte Furcht hat
boͤſe Folgen. Der Kirgiſe iſt kein Moͤrder oder determi-
nirter Straßenraͤuber, deswegen ſieht er ſich wohl vor,
mit wem er zu thun hat. Schießgewehr findet ſich bis
jetzt noch ſehr wenig bey ihnen.
Als ich an den Fuß des Berges kam, erfreute mich
Goͤttin Flora mit einem Wald der ſchoͤnſten Zwerg-
aͤpfelbaͤume, die hier am Uldſhar zu beyden Seiten
wild wuchſen; ich vergaß Muͤdigkeit, Hitze, Steinge-
ruͤlle und alles, fuhr wie ein Wahnſinniger unter die
annoch unreifen Aepfel und ließ mirs gut ſchmecken.
Verzeihen Sie mir dieſe Ausgelaſſenheit, Sie wiſſen
ja, daß ich in einem Aepfellande gebohren bin; ſeit mei-
nem vierjaͤhrigen Aufenthalte in Sibirien habe ich keine
andern Baumſruͤchte gekoſtet, als die des jenſeit dem
Baikal wachſenden Pyrus baccata, welche man dort als
Confekt zum Nachtiſch mit geſtoßenem Zucker aufſetzt
und ſo mit Theeloͤffeln ißt. Meine jetzt gefundenen Ae-
pfel aber waren gutes weinſaͤuerliches Tiſchobſt, die hier
in
K 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |