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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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aus Sibirien.
Frauenzimmer, die sich zu Liebesaffairen mit einem
Fremden sehr schwer und beynahe niemals überreden las-
sen. Wenn ich meine Pflanzen in andere Papiere um-
legte, so war ich beständig von einer Menge Menschen
beyderley Geschlechts, besonders Kindern umringt, die
öfters sich lustig über mich machten und nicht begreifen
konnten, daß ein Mensch so weit hergereiset käme, um
ihre Unkräuter zu sammlen und mit so vieler Mühe zu
trocknen.

Den 22sten Juni hatte ich Gelegenheit einem
Trauerfest mit beyzuwohnen, welches zum Gedächtniß
eines im vorigen Jahre verstorbenen Tataren angestellt
wurde. Eine Menge wohlgekleideter Männer und Wei-
ber giengen zu Pferde nach dem Grabe, mit einer jun-
gen Stute die zum Schlachten und Essen bestimmt war.
Während daß diese Stute mit Bändern und Schnüren
von allerley Farben ausgeziert wurde, setzte sich die Toch-
ter des Verstorbenen, ein bejahrtes Frauenzimmer, außen
vor der Jurte nieder und begleitet von mehreren Weibs-
leuten, fieng sie ein jämmerliches fast monotonisches Klag-
geheule an, das etwa eine halbe Stunde währte, wobey
zwischen durch eine Schale Milchbranntewein ausgeleert
und Tobak geraucht wurde. Nun war die Stute im
Putz, ein jeder setzte sich, schon halbtrunken, zu Pferde
und so giengs nach dem Grabe zu. Hier wurden die
guten Leute aber in Erstaunen gesetzt; denn da die Ta-
taren noch die Gewohnheit haben, allerley kostbare Sa-
chen mit in die Gruft zu verscharren, so sind zuweilen
christliche Geldsucher oder Schatzgräber, die dergleichen

Sächel-
G

aus Sibirien.
Frauenzimmer, die ſich zu Liebesaffairen mit einem
Fremden ſehr ſchwer und beynahe niemals uͤberreden laſ-
ſen. Wenn ich meine Pflanzen in andere Papiere um-
legte, ſo war ich beſtaͤndig von einer Menge Menſchen
beyderley Geſchlechts, beſonders Kindern umringt, die
oͤfters ſich luſtig uͤber mich machten und nicht begreifen
konnten, daß ein Menſch ſo weit hergereiſet kaͤme, um
ihre Unkraͤuter zu ſammlen und mit ſo vieler Muͤhe zu
trocknen.

Den 22ſten Juni hatte ich Gelegenheit einem
Trauerfeſt mit beyzuwohnen, welches zum Gedaͤchtniß
eines im vorigen Jahre verſtorbenen Tataren angeſtellt
wurde. Eine Menge wohlgekleideter Maͤnner und Wei-
ber giengen zu Pferde nach dem Grabe, mit einer jun-
gen Stute die zum Schlachten und Eſſen beſtimmt war.
Waͤhrend daß dieſe Stute mit Baͤndern und Schnuͤren
von allerley Farben ausgeziert wurde, ſetzte ſich die Toch-
ter des Verſtorbenen, ein bejahrtes Frauenzimmer, außen
vor der Jurte nieder und begleitet von mehreren Weibs-
leuten, fieng ſie ein jaͤmmerliches faſt monotoniſches Klag-
geheule an, das etwa eine halbe Stunde waͤhrte, wobey
zwiſchen durch eine Schale Milchbranntewein ausgeleert
und Tobak geraucht wurde. Nun war die Stute im
Putz, ein jeder ſetzte ſich, ſchon halbtrunken, zu Pferde
und ſo giengs nach dem Grabe zu. Hier wurden die
guten Leute aber in Erſtaunen geſetzt; denn da die Ta-
taren noch die Gewohnheit haben, allerley koſtbare Sa-
chen mit in die Gruft zu verſcharren, ſo ſind zuweilen
chriſtliche Geldſucher oder Schatzgraͤber, die dergleichen

Saͤchel-
G
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[97/0105] aus Sibirien. Frauenzimmer, die ſich zu Liebesaffairen mit einem Fremden ſehr ſchwer und beynahe niemals uͤberreden laſ- ſen. Wenn ich meine Pflanzen in andere Papiere um- legte, ſo war ich beſtaͤndig von einer Menge Menſchen beyderley Geſchlechts, beſonders Kindern umringt, die oͤfters ſich luſtig uͤber mich machten und nicht begreifen konnten, daß ein Menſch ſo weit hergereiſet kaͤme, um ihre Unkraͤuter zu ſammlen und mit ſo vieler Muͤhe zu trocknen. Den 22ſten Juni hatte ich Gelegenheit einem Trauerfeſt mit beyzuwohnen, welches zum Gedaͤchtniß eines im vorigen Jahre verſtorbenen Tataren angeſtellt wurde. Eine Menge wohlgekleideter Maͤnner und Wei- ber giengen zu Pferde nach dem Grabe, mit einer jun- gen Stute die zum Schlachten und Eſſen beſtimmt war. Waͤhrend daß dieſe Stute mit Baͤndern und Schnuͤren von allerley Farben ausgeziert wurde, ſetzte ſich die Toch- ter des Verſtorbenen, ein bejahrtes Frauenzimmer, außen vor der Jurte nieder und begleitet von mehreren Weibs- leuten, fieng ſie ein jaͤmmerliches faſt monotoniſches Klag- geheule an, das etwa eine halbe Stunde waͤhrte, wobey zwiſchen durch eine Schale Milchbranntewein ausgeleert und Tobak geraucht wurde. Nun war die Stute im Putz, ein jeder ſetzte ſich, ſchon halbtrunken, zu Pferde und ſo giengs nach dem Grabe zu. Hier wurden die guten Leute aber in Erſtaunen geſetzt; denn da die Ta- taren noch die Gewohnheit haben, allerley koſtbare Sa- chen mit in die Gruft zu verſcharren, ſo ſind zuweilen chriſtliche Geldſucher oder Schatzgraͤber, die dergleichen Saͤchel- G

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/105>, abgerufen am 23.11.2024.