Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

aus Sibirien.
Völlerey thut Niemand Schaden. Sie sitzen vor sich
weg, machen lustige Possen, und erzählen sich allerley
Fratzen und Mährchen. Sie haben die schönsten Pferde
in Sibirien, und vortreffliches Rindvieh, welches itzt
sehr häufig von denen hieherkommenden Kaufleuten auf-
gekauft und nach allen Orten, bis auf 6000 Werst in
die Ferne besonders häufig nach Moskau jährlich ausge-
führt wird. Bey den Tataren steckt daher eine große
Menge Geldes, welches so gut wie aus der Circulation
verlohren ist. Denn obschon sie sich ganz artig und rein-
lich kleiden, so zahlen sie doch hievor niemals Geld, son-
dern der näher wohnende Kaufmann bringt die nöthigen
Waaren mit sich, wofür er Vieh eintauscht. Brannte-
wein vergißt er niemals mit sich zu bringen, denn mit
dem besoffenen Tataren läßt sich's besser handeln, wie mit
dem nüchternen. Von einer Religion sah ich nicht die
geringsten Merkmale. Jch versuchte verschiedene Male
mit ihnen über dergleichen zu sprechen, aber, entweder
wollten sie nichts davon wissen, oder wußten auch wohl
in der That nichts. Denn ich erhielt niemals darüber
die geringste Erklärung. So viel weiß ich indeß daß sie
ein gutes und böses allmächtiges Wesen glauben. Ue-
brigens ist ein großer Theil davon dem Schein nach
schon zur rußischen Religion übergegangen. Jhre Jur-
ten sind reinlich, geräumig, und alle von Birkenrinde
gebauet, die bey Sonnenschein eine blendende Weisse in
der Ferne von sich geben und aufs Angenehmste mit dem
Grün der Wiesen und Berge contrastiren. Die Klei-
dung der Weiber besteht in langen Röcken die von den

Schul-

aus Sibirien.
Voͤllerey thut Niemand Schaden. Sie ſitzen vor ſich
weg, machen luſtige Poſſen, und erzaͤhlen ſich allerley
Fratzen und Maͤhrchen. Sie haben die ſchoͤnſten Pferde
in Sibirien, und vortreffliches Rindvieh, welches itzt
ſehr haͤufig von denen hieherkommenden Kaufleuten auf-
gekauft und nach allen Orten, bis auf 6000 Werſt in
die Ferne beſonders haͤufig nach Moskau jaͤhrlich ausge-
fuͤhrt wird. Bey den Tataren ſteckt daher eine große
Menge Geldes, welches ſo gut wie aus der Circulation
verlohren iſt. Denn obſchon ſie ſich ganz artig und rein-
lich kleiden, ſo zahlen ſie doch hievor niemals Geld, ſon-
dern der naͤher wohnende Kaufmann bringt die noͤthigen
Waaren mit ſich, wofuͤr er Vieh eintauſcht. Brannte-
wein vergißt er niemals mit ſich zu bringen, denn mit
dem beſoffenen Tataren laͤßt ſich’s beſſer handeln, wie mit
dem nuͤchternen. Von einer Religion ſah ich nicht die
geringſten Merkmale. Jch verſuchte verſchiedene Male
mit ihnen uͤber dergleichen zu ſprechen, aber, entweder
wollten ſie nichts davon wiſſen, oder wußten auch wohl
in der That nichts. Denn ich erhielt niemals daruͤber
die geringſte Erklaͤrung. So viel weiß ich indeß daß ſie
ein gutes und boͤſes allmaͤchtiges Weſen glauben. Ue-
brigens iſt ein großer Theil davon dem Schein nach
ſchon zur rußiſchen Religion uͤbergegangen. Jhre Jur-
ten ſind reinlich, geraͤumig, und alle von Birkenrinde
gebauet, die bey Sonnenſchein eine blendende Weiſſe in
der Ferne von ſich geben und aufs Angenehmſte mit dem
Gruͤn der Wieſen und Berge contraſtiren. Die Klei-
dung der Weiber beſteht in langen Roͤcken die von den

Schul-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0103" n="95"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">aus Sibirien.</hi></fw><lb/>
Vo&#x0364;llerey thut Niemand Schaden. Sie &#x017F;itzen vor &#x017F;ich<lb/>
weg, machen lu&#x017F;tige Po&#x017F;&#x017F;en, und erza&#x0364;hlen &#x017F;ich allerley<lb/>
Fratzen und Ma&#x0364;hrchen. Sie haben die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Pferde<lb/>
in Sibirien, und vortreffliches Rindvieh, welches itzt<lb/>
&#x017F;ehr ha&#x0364;ufig von denen hieherkommenden Kaufleuten auf-<lb/>
gekauft und nach allen Orten, bis auf 6000 Wer&#x017F;t in<lb/>
die Ferne be&#x017F;onders ha&#x0364;ufig nach Moskau ja&#x0364;hrlich ausge-<lb/>
fu&#x0364;hrt wird. Bey den Tataren &#x017F;teckt daher eine große<lb/>
Menge Geldes, welches &#x017F;o gut wie aus der Circulation<lb/>
verlohren i&#x017F;t. Denn ob&#x017F;chon &#x017F;ie &#x017F;ich ganz artig und rein-<lb/>
lich kleiden, &#x017F;o zahlen &#x017F;ie doch hievor niemals Geld, &#x017F;on-<lb/>
dern der na&#x0364;her wohnende Kaufmann bringt die no&#x0364;thigen<lb/>
Waaren mit &#x017F;ich, wofu&#x0364;r er Vieh eintau&#x017F;cht. Brannte-<lb/>
wein vergißt er niemals mit &#x017F;ich zu bringen, denn mit<lb/>
dem be&#x017F;offenen Tataren la&#x0364;ßt &#x017F;ich&#x2019;s be&#x017F;&#x017F;er handeln, wie mit<lb/>
dem nu&#x0364;chternen. Von einer Religion &#x017F;ah ich nicht die<lb/>
gering&#x017F;ten Merkmale. Jch ver&#x017F;uchte ver&#x017F;chiedene Male<lb/>
mit ihnen u&#x0364;ber dergleichen zu &#x017F;prechen, aber, entweder<lb/>
wollten &#x017F;ie nichts davon wi&#x017F;&#x017F;en, oder wußten auch wohl<lb/>
in der That nichts. Denn ich erhielt niemals daru&#x0364;ber<lb/>
die gering&#x017F;te Erkla&#x0364;rung. So viel weiß ich indeß daß &#x017F;ie<lb/>
ein gutes und bo&#x0364;&#x017F;es allma&#x0364;chtiges We&#x017F;en glauben. Ue-<lb/>
brigens i&#x017F;t ein großer Theil davon dem Schein nach<lb/>
&#x017F;chon zur rußi&#x017F;chen Religion u&#x0364;bergegangen. Jhre Jur-<lb/>
ten &#x017F;ind reinlich, gera&#x0364;umig, und alle von Birkenrinde<lb/>
gebauet, die bey Sonnen&#x017F;chein eine blendende Wei&#x017F;&#x017F;e in<lb/>
der Ferne von &#x017F;ich geben und aufs Angenehm&#x017F;te mit dem<lb/>
Gru&#x0364;n der Wie&#x017F;en und Berge contra&#x017F;tiren. Die Klei-<lb/>
dung der Weiber be&#x017F;teht in langen Ro&#x0364;cken die von den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Schul-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0103] aus Sibirien. Voͤllerey thut Niemand Schaden. Sie ſitzen vor ſich weg, machen luſtige Poſſen, und erzaͤhlen ſich allerley Fratzen und Maͤhrchen. Sie haben die ſchoͤnſten Pferde in Sibirien, und vortreffliches Rindvieh, welches itzt ſehr haͤufig von denen hieherkommenden Kaufleuten auf- gekauft und nach allen Orten, bis auf 6000 Werſt in die Ferne beſonders haͤufig nach Moskau jaͤhrlich ausge- fuͤhrt wird. Bey den Tataren ſteckt daher eine große Menge Geldes, welches ſo gut wie aus der Circulation verlohren iſt. Denn obſchon ſie ſich ganz artig und rein- lich kleiden, ſo zahlen ſie doch hievor niemals Geld, ſon- dern der naͤher wohnende Kaufmann bringt die noͤthigen Waaren mit ſich, wofuͤr er Vieh eintauſcht. Brannte- wein vergißt er niemals mit ſich zu bringen, denn mit dem beſoffenen Tataren laͤßt ſich’s beſſer handeln, wie mit dem nuͤchternen. Von einer Religion ſah ich nicht die geringſten Merkmale. Jch verſuchte verſchiedene Male mit ihnen uͤber dergleichen zu ſprechen, aber, entweder wollten ſie nichts davon wiſſen, oder wußten auch wohl in der That nichts. Denn ich erhielt niemals daruͤber die geringſte Erklaͤrung. So viel weiß ich indeß daß ſie ein gutes und boͤſes allmaͤchtiges Weſen glauben. Ue- brigens iſt ein großer Theil davon dem Schein nach ſchon zur rußiſchen Religion uͤbergegangen. Jhre Jur- ten ſind reinlich, geraͤumig, und alle von Birkenrinde gebauet, die bey Sonnenſchein eine blendende Weiſſe in der Ferne von ſich geben und aufs Angenehmſte mit dem Gruͤn der Wieſen und Berge contraſtiren. Die Klei- dung der Weiber beſteht in langen Roͤcken die von den Schul-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/103
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/103>, abgerufen am 23.11.2024.