anziehung im Augenblick des Freiwerdens an einander legt. Die Gasretortenkohle ist mithin nicht als zusammengebackenes Pul- ver, sondern als eine feste Kohlenmasse zu betrachten. Dass das specifische Gewicht der Gasretortenkohle ein verschiedenes ist, wird wohl mehr eine Folge eingeschlossener kleiner Hohl- räume und der Einschliessung fremder Körper als einer Ver- schiedenheit der Masse selbst zuzuschreiben sein. Die allge- mein gültige Eigenschaft der Kohle, in höherer Temperatur besser zu leiten, muss daher als eine Eigenschaft der Kohlen- materie selbst und nicht als eine Folge ihrer Structur aufgefasst werden.
Eine Analogie für dies Verhalten der Kohle bildet das der Elektrolyte -- zu denen nach Hittorf auch Einfach-Schwefel- kupfer und andere zusammengesetzte feste Körper zu rechnen sind -- und von einfachen Körpern Tellur und Selen. Letzteres ist bei schneller Abkühlung aus dem geschmolzenen Zustande ein Nichtleiter -- wie auch der Diamant. Wird es bis 100 °C. erwärmt, so wird es krystallinisch und leitet dann die Elektri- cität, wie die Kohle, in der Weise, dass seine Leitungsfähigkeit bei wachsender Temperatur zunimmt. Das Selen verliert bei der Erwärmung auf 100 °C. latente Wärme; es ist daher wahr- scheinlich, dass diese Verminderung der latenten Wärme es zu einem Leiter der Elektricität gemacht hat. Wenn man schnell erstarrtes, sogenanntes amorphes Selen bis in die Nähe seines Schmelzpunktes, d. i. bis über 200 °C. erhitzt und längere Zeit in dieser Temperatur erhält, so verliert es noch mehr latente Wärme und nimmt dann, wie ich gezeigt habe1), eine weit grössere Leitungsfähigkeit an. Es leitet die Elektricität aber jetzt wie ein Metall, d. i. seine Leitungsfähigkeit nimmt bei Erhöhung der Temperatur ab. Es erscheint daher wahrschein- lich, dass die Eigenschaft des krystallinischen, noch latente Wärme haltenden Selens, die Elektricität wie die Elektrolyte und die Kohle in der Weise zu leiten, dass die Leitungsfähig- keit mit der Temperatur zunimmt, daher rührt, dass es noch latente Wärme enthält. Da latente wie freie Wärme ein Hinder-
1) Pogg. Ann. 159, S. 127.
anziehung im Augenblick des Freiwerdens an einander legt. Die Gasretortenkohle ist mithin nicht als zusammengebackenes Pul- ver, sondern als eine feste Kohlenmasse zu betrachten. Dass das specifische Gewicht der Gasretortenkohle ein verschiedenes ist, wird wohl mehr eine Folge eingeschlossener kleiner Hohl- räume und der Einschliessung fremder Körper als einer Ver- schiedenheit der Masse selbst zuzuschreiben sein. Die allge- mein gültige Eigenschaft der Kohle, in höherer Temperatur besser zu leiten, muss daher als eine Eigenschaft der Kohlen- materie selbst und nicht als eine Folge ihrer Structur aufgefasst werden.
Eine Analogie für dies Verhalten der Kohle bildet das der Elektrolyte — zu denen nach Hittorf auch Einfach-Schwefel- kupfer und andere zusammengesetzte feste Körper zu rechnen sind — und von einfachen Körpern Tellur und Selen. Letzteres ist bei schneller Abkühlung aus dem geschmolzenen Zustande ein Nichtleiter — wie auch der Diamant. Wird es bis 100 °C. erwärmt, so wird es krystallinisch und leitet dann die Elektri- cität, wie die Kohle, in der Weise, dass seine Leitungsfähigkeit bei wachsender Temperatur zunimmt. Das Selen verliert bei der Erwärmung auf 100 °C. latente Wärme; es ist daher wahr- scheinlich, dass diese Verminderung der latenten Wärme es zu einem Leiter der Elektricität gemacht hat. Wenn man schnell erstarrtes, sogenanntes amorphes Selen bis in die Nähe seines Schmelzpunktes, d. i. bis über 200 °C. erhitzt und längere Zeit in dieser Temperatur erhält, so verliert es noch mehr latente Wärme und nimmt dann, wie ich gezeigt habe1), eine weit grössere Leitungsfähigkeit an. Es leitet die Elektricität aber jetzt wie ein Metall, d. i. seine Leitungsfähigkeit nimmt bei Erhöhung der Temperatur ab. Es erscheint daher wahrschein- lich, dass die Eigenschaft des krystallinischen, noch latente Wärme haltenden Selens, die Elektricität wie die Elektrolyte und die Kohle in der Weise zu leiten, dass die Leitungsfähig- keit mit der Temperatur zunimmt, daher rührt, dass es noch latente Wärme enthält. Da latente wie freie Wärme ein Hinder-
1) Pogg. Ann. 159, S. 127.
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anziehung im Augenblick des Freiwerdens an einander legt. Die
Gasretortenkohle ist mithin nicht als zusammengebackenes Pul-
ver, sondern als eine feste Kohlenmasse zu betrachten. Dass
das specifische Gewicht der Gasretortenkohle ein verschiedenes
ist, wird wohl mehr eine Folge eingeschlossener kleiner Hohl-
räume und der Einschliessung fremder Körper als einer Ver-
schiedenheit der Masse selbst zuzuschreiben sein. Die allge-
mein gültige Eigenschaft der Kohle, in höherer Temperatur
besser zu leiten, muss daher als eine Eigenschaft der Kohlen-
materie selbst und nicht als eine Folge ihrer Structur aufgefasst
werden.
Eine Analogie für dies Verhalten der Kohle bildet das der
Elektrolyte — zu denen nach Hittorf auch Einfach-Schwefel-
kupfer und andere zusammengesetzte feste Körper zu rechnen
sind — und von einfachen Körpern Tellur und Selen. Letzteres
ist bei schneller Abkühlung aus dem geschmolzenen Zustande
ein Nichtleiter — wie auch der Diamant. Wird es bis 100 °C.
erwärmt, so wird es krystallinisch und leitet dann die Elektri-
cität, wie die Kohle, in der Weise, dass seine Leitungsfähigkeit
bei wachsender Temperatur zunimmt. Das Selen verliert bei
der Erwärmung auf 100 °C. latente Wärme; es ist daher wahr-
scheinlich, dass diese Verminderung der latenten Wärme es zu
einem Leiter der Elektricität gemacht hat. Wenn man schnell
erstarrtes, sogenanntes amorphes Selen bis in die Nähe seines
Schmelzpunktes, d. i. bis über 200 °C. erhitzt und längere Zeit
in dieser Temperatur erhält, so verliert es noch mehr latente
Wärme und nimmt dann, wie ich gezeigt habe 1), eine weit
grössere Leitungsfähigkeit an. Es leitet die Elektricität aber
jetzt wie ein Metall, d. i. seine Leitungsfähigkeit nimmt bei
Erhöhung der Temperatur ab. Es erscheint daher wahrschein-
lich, dass die Eigenschaft des krystallinischen, noch latente
Wärme haltenden Selens, die Elektricität wie die Elektrolyte
und die Kohle in der Weise zu leiten, dass die Leitungsfähig-
keit mit der Temperatur zunimmt, daher rührt, dass es noch
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1) Pogg. Ann. 159, S. 127.
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Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siemens_abhandlungen_1881/548>, abgerufen am 22.11.2024.
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