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Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690.

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Das IV. Capitel
tage/ als er sich bey der Frau satzte. Er wand allen Fleiß und
große Mühe an/ bey Mutter und Kind diesen halben Tag über/
auf allerhand Weise. Als es nun begunte Abend zu werden/
und ihm seine Mühe nichts helffen konte/ weil das eingezwunge-
ne Kind unmöglich von der Stelle zu bringen war/ fragte er mich
in geheim: Was habt ihr vor ein Instrument bey dergleichen
Begebenheiten/ eine Zange oder einen Haaken? darauf sagte
ich: ich habe nichts/ als einen Haaken. Worauf er weiter frag-
te: habt ihr ihn bey euch/ laßt mich ihn doch sehen? Wenn ich
nur damit dem Kinde in den Kopff könte ein Loch machen/ daß
ich es fassen und ziehen könte. Gab ihm also den Haaken. Als
er ihn aber versuchte anzusetzen/ fühlete es die Kreysterin/ da-
durch ward der Haaken verrathen. Er versuchte zwar mehr
solchen anzusetzen/ aber er wäre (wie er wieder mich offentlich/
in Beyseyn des Herrn Physici und eines hiesigen Balbierers/
wie auch etlicher anwesender Frauen erwehnte) vor ihn zu groß/
und er könte ihn wegen der Größe nicht anbringen; derowegen bä-
the er mich/ ich wolte mich doch hinsetzen weil ich meines Haakens bes-
ser/ als er/ gewohnet wäre/ um zu versuchen/ ob ich ihn anbringen/
und ein Loch in des Kindes Kopff damit machen könte/ daß doch die
Frau gerettet würde/ weil kein ander Mittel wäre/ als das Kind
zu fassen und zu ziehen. Wozu ich mich gar schwerlich bereden
ließ. Jedoch satzte ich mich endlich hin/ an seinen Ort/ und
fand den Kopff auf selbiger Stelle/ wie ich ihn ihm übergeben
hatte/ nur den Hirnschädel/ (welches aber nicht anders seyn kon-
te) durch die vielen Anfassungen gantz in Stücken gedrucket.
Weil denn dieser Frauen Kräffte noch so lange dauren können/
bis des Kindes Kopff so zu Scherben gedrucket war/ so war
gar leichte ohne den Haaken ein Loch zu machen/ welches ich mit
meinen Fingern verrichtete. Und wunderte mich sehr/ daß es
dieser Frantzose mir wieder in meine Hände übergab/ der Frau-
en zu helffen/ und zwar mit diesen Worten: Weil ihr euers
Haa-
Das IV. Capitel
tage/ als er ſich bey der Frau ſatzte. Er wand allen Fleiß und
große Muͤhe an/ bey Mutter und Kind dieſen halben Tag uͤber/
auf allerhand Weiſe. Als es nun begunte Abend zu werden/
und ihm ſeine Muͤhe nichts helffen konte/ weil das eingezwunge-
ne Kind unmoͤglich von der Stelle zu bringen war/ fragte er mich
in geheim: Was habt ihr vor ein Inſtrument bey dergleichen
Begebenheiten/ eine Zange oder einen Haaken? darauf ſagte
ich: ich habe nichts/ als einen Haaken. Worauf er weiter frag-
te: habt ihr ihn bey euch/ laßt mich ihn doch ſehen? Wenn ich
nur damit dem Kinde in den Kopff koͤnte ein Loch machen/ daß
ich es faſſen und ziehen koͤnte. Gab ihm alſo den Haaken. Als
er ihn aber verſuchte anzuſetzen/ fuͤhlete es die Kreyſterin/ da-
durch ward der Haaken verrathen. Er verſuchte zwar mehr
ſolchen anzuſetzen/ aber er waͤre (wie er wieder mich offentlich/
in Beyſeyn des Herrn Phyſici und eines hieſigen Balbierers/
wie auch etlicher anweſender Frauen erwehnte) vor ihn zu groß/
und er koͤnte ihn wegen der Groͤße nicht anbringen; derowegen baͤ-
the eꝛ mich/ ich wolte mich doch hinſetzẽ weil ich meines Haakens beſ-
ſer/ als er/ gewohnet waͤre/ um zu verſuchen/ ob ich ihn anbringen/
und ein Loch in des Kindes Kopff damit machen koͤnte/ daß doch die
Frau gerettet wuͤrde/ weil kein ander Mittel waͤre/ als das Kind
zu faſſen und zu ziehen. Wozu ich mich gar ſchwerlich bereden
ließ. Jedoch ſatzte ich mich endlich hin/ an ſeinen Ort/ und
fand den Kopff auf ſelbiger Stelle/ wie ich ihn ihm uͤbergeben
hatte/ nur den Hirnſchaͤdel/ (welches aber nicht anders ſeyn kon-
te) durch die vielen Anfaſſungen gantz in Stuͤcken gedrucket.
Weil denn dieſer Frauen Kraͤffte noch ſo lange dauren koͤnnen/
bis des Kindes Kopff ſo zu Scherben gedrucket war/ ſo war
gar leichte ohne den Haaken ein Loch zu machen/ welches ich mit
meinen Fingern verrichtete. Und wunderte mich ſehr/ daß es
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en zu helffen/ und zwar mit dieſen Worten: Weil ihr euers
Haa-
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[84/0197] Das IV. Capitel tage/ als er ſich bey der Frau ſatzte. Er wand allen Fleiß und große Muͤhe an/ bey Mutter und Kind dieſen halben Tag uͤber/ auf allerhand Weiſe. Als es nun begunte Abend zu werden/ und ihm ſeine Muͤhe nichts helffen konte/ weil das eingezwunge- ne Kind unmoͤglich von der Stelle zu bringen war/ fragte er mich in geheim: Was habt ihr vor ein Inſtrument bey dergleichen Begebenheiten/ eine Zange oder einen Haaken? darauf ſagte ich: ich habe nichts/ als einen Haaken. Worauf er weiter frag- te: habt ihr ihn bey euch/ laßt mich ihn doch ſehen? Wenn ich nur damit dem Kinde in den Kopff koͤnte ein Loch machen/ daß ich es faſſen und ziehen koͤnte. Gab ihm alſo den Haaken. Als er ihn aber verſuchte anzuſetzen/ fuͤhlete es die Kreyſterin/ da- durch ward der Haaken verrathen. Er verſuchte zwar mehr ſolchen anzuſetzen/ aber er waͤre (wie er wieder mich offentlich/ in Beyſeyn des Herrn Phyſici und eines hieſigen Balbierers/ wie auch etlicher anweſender Frauen erwehnte) vor ihn zu groß/ und er koͤnte ihn wegen der Groͤße nicht anbringen; derowegen baͤ- the eꝛ mich/ ich wolte mich doch hinſetzẽ weil ich meines Haakens beſ- ſer/ als er/ gewohnet waͤre/ um zu verſuchen/ ob ich ihn anbringen/ und ein Loch in des Kindes Kopff damit machen koͤnte/ daß doch die Frau gerettet wuͤrde/ weil kein ander Mittel waͤre/ als das Kind zu faſſen und zu ziehen. Wozu ich mich gar ſchwerlich bereden ließ. Jedoch ſatzte ich mich endlich hin/ an ſeinen Ort/ und fand den Kopff auf ſelbiger Stelle/ wie ich ihn ihm uͤbergeben hatte/ nur den Hirnſchaͤdel/ (welches aber nicht anders ſeyn kon- te) durch die vielen Anfaſſungen gantz in Stuͤcken gedrucket. Weil denn dieſer Frauen Kraͤffte noch ſo lange dauren koͤnnen/ bis des Kindes Kopff ſo zu Scherben gedrucket war/ ſo war gar leichte ohne den Haaken ein Loch zu machen/ welches ich mit meinen Fingern verrichtete. Und wunderte mich ſehr/ daß es dieſer Frantzoſe mir wieder in meine Haͤnde uͤbergab/ der Frau- en zu helffen/ und zwar mit dieſen Worten: Weil ihr euers Haa-

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Zitationshilfe: Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siegemund_unterricht_1690/197>, abgerufen am 05.05.2024.