Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite
Gattung: Anguilla.

Dass die zur Herbstzeit in das Meer hinausgewanderten Aale wirklich
dort ihr Fortpflanzungsgeschäft vollziehen, darüber kann kein Zweifel mehr
herrschen, indem das Product dieses Geschäfts, die Aalbrut in der darauf
folgenden Frühjahrszeit zu Milliarden aus dem Meere in die Mündungen der
süssen Gewässer eintritt, die Flüsse hinaufwandert und sich in die verschie-
denen vom Meere oft weit entfernten fliessenden und stehenden Gewässer
zertheilt. Es wurden über diese Wanderungen der jungen, bindfadendicken
und nur ein Paar Zoll langen, braungelben Aale aus den verschiedensten Ge-
genden Europa's Berichte erstattet, die ich hier gesammelt habe, um zu zei-
gen, dass diese beobachteten Wanderungen der Aalbrut als keine vereinzelte
etwa durch besondere Localitätsverhältnisse hervorgerufene Erscheinung in
der Lebensgeschichte der Aale zu betrachten sind, wobei es freilich noch im-
mer unausgemacht bleibt, ob die jungen Aale von oviparen oder viviparen
Eltern zur Welt gekommen sind. Schon Franciscus Redi erzählte, dass von
Ende Januar bis Ende April alljährlich die Aalbrut den Arno hinaufwandert
und dass im Jahre 1667 bei Pisa an einer Stelle des genannten Flusses inner-
halb fünf Stunden über drei Millionen Pfund dieser Aale gefangen worden
seien. Redi 1) bildete zugleich diese jungen Aale in der natürlichen Grösse
von 1 1/2 bis 5 Zoll Länge ab und fügt hinzu, dass die drei kleinsten Sorten die
grösste Zahl dieser bergaufwandernden Aale ausmachten. Zur Bevölkerung
der in Teiche abgetheilten Lagunen von Comacchio werden nach den Mitthei-
lungen Spallanzani's 2) und Coste's (a. a. O. pag. 20) vom Februar bis April ge-
wisse Schleussen geöffnet, um den jungen haardünnen Aalen den Eintritt aus
dem Meere in diese Teiche zu gestatten. Dieser Eintritt der Aalbrut wird
die Montata genannt; die auf diese Weise in die Lagunen von Comacchio ein-
getretenen Aale verweilen nun hier fünf bis sechs Jahre und suchen alsdann,
je nach der in geringerer oder grösserer Menge dargebotenen Nahrung bis zu
drei, acht, zehn Pfund und darüber herangewachsen, vom October bis De-
cember durch die Calata wieder in's Meer zu gelangen, bei welcher Aus-
wanderung durch eigenthümliche labyrinthartige Vorrichtungen der Fang der
ausgewachsenen Aale von Statten geht 3). Spallanzani berichtet ferner 4),
dass die Aale des Orbitello-See so fein wie ein Haar in den Monaten März, April
und Mai besonders bei trübem und stürmischem Wetter millionenweise aus

1) S. dessen: Opusculorum Pars III. sive de animalculis vivis, quae in corporibus ani-
malium vivorum reperiuntur, observationes. Edit. Lugdun. Batav. 1729. pag. 100. Tab. 14.
Fig. 1--7.
2) Vergl. dessen: Opuscoli due sopra le anguille. Op. I. Cap. 1. pag. 503 u. 507.
3) Die Aale erhalten in den verschiedenen, bis zu 1, 3, 4 oder 5 Pfund und darüber
ausgewachsenen Alterszuständen die bestimmten Namen: priscetti, anguillaci, roche, mig-
liorumenti,
nach denen der Werth dieses sehr gesuchten Handelsartikels abgeschätzt wird.
Vergl. Coste a. a. O. pag. 49.
4) S. Spallanzani: Viagg. alle due Sicili a. a. O. pag. 144.
v. Siebold, Fische. 23
Gattung: Anguilla.

Dass die zur Herbstzeit in das Meer hinausgewanderten Aale wirklich
dort ihr Fortpflanzungsgeschäft vollziehen, darüber kann kein Zweifel mehr
herrschen, indem das Product dieses Geschäfts, die Aalbrut in der darauf
folgenden Frühjahrszeit zu Milliarden aus dem Meere in die Mündungen der
süssen Gewässer eintritt, die Flüsse hinaufwandert und sich in die verschie-
denen vom Meere oft weit entfernten fliessenden und stehenden Gewässer
zertheilt. Es wurden über diese Wanderungen der jungen, bindfadendicken
und nur ein Paar Zoll langen, braungelben Aale aus den verschiedensten Ge-
genden Europa’s Berichte erstattet, die ich hier gesammelt habe, um zu zei-
gen, dass diese beobachteten Wanderungen der Aalbrut als keine vereinzelte
etwa durch besondere Localitätsverhältnisse hervorgerufene Erscheinung in
der Lebensgeschichte der Aale zu betrachten sind, wobei es freilich noch im-
mer unausgemacht bleibt, ob die jungen Aale von oviparen oder viviparen
Eltern zur Welt gekommen sind. Schon Franciscus Redi erzählte, dass von
Ende Januar bis Ende April alljährlich die Aalbrut den Arno hinaufwandert
und dass im Jahre 1667 bei Pisa an einer Stelle des genannten Flusses inner-
halb fünf Stunden über drei Millionen Pfund dieser Aale gefangen worden
seien. Redi 1) bildete zugleich diese jungen Aale in der natürlichen Grösse
von 1 ½ bis 5 Zoll Länge ab und fügt hinzu, dass die drei kleinsten Sorten die
grösste Zahl dieser bergaufwandernden Aale ausmachten. Zur Bevölkerung
der in Teiche abgetheilten Lagunen von Comacchio werden nach den Mitthei-
lungen Spallanzani’s 2) und Coste’s (a. a. O. pag. 20) vom Februar bis April ge-
wisse Schleussen geöffnet, um den jungen haardünnen Aalen den Eintritt aus
dem Meere in diese Teiche zu gestatten. Dieser Eintritt der Aalbrut wird
die Montata genannt; die auf diese Weise in die Lagunen von Comacchio ein-
getretenen Aale verweilen nun hier fünf bis sechs Jahre und suchen alsdann,
je nach der in geringerer oder grösserer Menge dargebotenen Nahrung bis zu
drei, acht, zehn Pfund und darüber herangewachsen, vom October bis De-
cember durch die Calata wieder in’s Meer zu gelangen, bei welcher Aus-
wanderung durch eigenthümliche labyrinthartige Vorrichtungen der Fang der
ausgewachsenen Aale von Statten geht 3). Spallanzani berichtet ferner 4),
dass die Aale des Orbitello-See so fein wie ein Haar in den Monaten März, April
und Mai besonders bei trübem und stürmischem Wetter millionenweise aus

1) S. dessen: Opusculorum Pars III. sive de animalculis vivis, quae in corporibus ani-
malium vivorum reperiuntur, observationes. Edit. Lugdun. Batav. 1729. pag. 100. Tab. 14.
Fig. 1—7.
2) Vergl. dessen: Opuscoli due sopra le anguille. Op. I. Cap. 1. pag. 503 u. 507.
3) Die Aale erhalten in den verschiedenen, bis zu 1, 3, 4 oder 5 Pfund und darüber
ausgewachsenen Alterszuständen die bestimmten Namen: priscetti, anguillaci, roche, mig-
liorumenti,
nach denen der Werth dieses sehr gesuchten Handelsartikels abgeschätzt wird.
Vergl. Coste a. a. O. pag. 49.
4) S. Spallanzani: Viagg. alle due Sicili a. a. O. pag. 144.
v. Siebold, Fische. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0366" n="353"/>
                <fw place="top" type="header">Gattung: Anguilla.</fw><lb/>
                <p>Dass die zur Herbstzeit in das Meer hinausgewanderten Aale wirklich<lb/>
dort ihr Fortpflanzungsgeschäft vollziehen, darüber kann kein Zweifel mehr<lb/>
herrschen, indem das Product dieses Geschäfts, die Aalbrut in der darauf<lb/>
folgenden Frühjahrszeit zu Milliarden aus dem Meere in die Mündungen der<lb/>
süssen Gewässer eintritt, die Flüsse hinaufwandert und sich in die verschie-<lb/>
denen vom Meere oft weit entfernten fliessenden und stehenden Gewässer<lb/>
zertheilt. Es wurden über diese Wanderungen der jungen, bindfadendicken<lb/>
und nur ein Paar Zoll langen, braungelben Aale aus den verschiedensten Ge-<lb/>
genden Europa&#x2019;s Berichte erstattet, die ich hier gesammelt habe, um zu zei-<lb/>
gen, dass diese beobachteten Wanderungen der Aalbrut als keine vereinzelte<lb/>
etwa durch besondere Localitätsverhältnisse hervorgerufene Erscheinung in<lb/>
der Lebensgeschichte der Aale zu betrachten sind, wobei es freilich noch im-<lb/>
mer unausgemacht bleibt, ob die jungen Aale von oviparen oder viviparen<lb/>
Eltern zur Welt gekommen sind. Schon <hi rendition="#k">Franciscus Redi</hi> erzählte, dass von<lb/>
Ende Januar bis Ende April alljährlich die Aalbrut den Arno hinaufwandert<lb/>
und dass im Jahre 1667 bei Pisa an einer Stelle des genannten Flusses inner-<lb/>
halb fünf Stunden über drei Millionen Pfund dieser Aale gefangen worden<lb/>
seien. <hi rendition="#k">Redi</hi> <note place="foot" n="1)">S. dessen: Opusculorum Pars III. sive de animalculis vivis, quae in corporibus ani-<lb/>
malium vivorum reperiuntur, observationes. Edit. Lugdun. Batav. 1729. pag. 100. Tab. 14.<lb/>
Fig. 1&#x2014;7.</note> bildete zugleich diese jungen Aale in der natürlichen Grösse<lb/>
von 1 ½ bis 5 Zoll Länge ab und fügt hinzu, dass die drei kleinsten Sorten die<lb/>
grösste Zahl dieser bergaufwandernden Aale ausmachten. Zur Bevölkerung<lb/>
der in Teiche abgetheilten Lagunen von Comacchio werden nach den Mitthei-<lb/>
lungen <hi rendition="#k">Spallanzani</hi>&#x2019;s <note place="foot" n="2)">Vergl. dessen: Opuscoli due sopra le anguille. Op. I. Cap. 1. pag. 503 u. 507.</note> und <hi rendition="#k">Coste</hi>&#x2019;s (a. a. O. pag. 20) vom Februar bis April ge-<lb/>
wisse Schleussen geöffnet, um den jungen haardünnen Aalen den Eintritt aus<lb/>
dem Meere in diese Teiche zu gestatten. Dieser Eintritt der Aalbrut wird<lb/>
die <hi rendition="#g">Montata</hi> genannt; die auf diese Weise in die Lagunen von Comacchio ein-<lb/>
getretenen Aale verweilen nun hier fünf bis sechs Jahre und suchen alsdann,<lb/>
je nach der in geringerer oder grösserer Menge dargebotenen Nahrung bis zu<lb/>
drei, acht, zehn Pfund und darüber herangewachsen, vom October bis De-<lb/>
cember durch die <hi rendition="#g">Calata</hi> wieder in&#x2019;s Meer zu gelangen, bei welcher Aus-<lb/>
wanderung durch eigenthümliche labyrinthartige Vorrichtungen der Fang der<lb/>
ausgewachsenen Aale von Statten geht <note place="foot" n="3)">Die Aale erhalten in den verschiedenen, bis zu 1, 3, 4 oder 5 Pfund und darüber<lb/>
ausgewachsenen Alterszuständen die bestimmten Namen: <hi rendition="#i">priscetti, anguillaci, roche, mig-<lb/>
liorumenti,</hi> nach denen der Werth dieses sehr gesuchten Handelsartikels abgeschätzt wird.<lb/>
Vergl. <hi rendition="#k">Coste</hi> a. a. O. pag. 49.</note>. <hi rendition="#k">Spallanzani</hi> berichtet ferner <note place="foot" n="4)">S. <hi rendition="#k">Spallanzani</hi>: Viagg. alle due Sicili a. a. O. pag. 144.</note>,<lb/>
dass die Aale des Orbitello-See so fein wie ein Haar in den Monaten März, April<lb/>
und Mai besonders bei trübem und stürmischem Wetter millionenweise aus<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">v. <hi rendition="#g">Siebold,</hi> Fische. 23</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0366] Gattung: Anguilla. Dass die zur Herbstzeit in das Meer hinausgewanderten Aale wirklich dort ihr Fortpflanzungsgeschäft vollziehen, darüber kann kein Zweifel mehr herrschen, indem das Product dieses Geschäfts, die Aalbrut in der darauf folgenden Frühjahrszeit zu Milliarden aus dem Meere in die Mündungen der süssen Gewässer eintritt, die Flüsse hinaufwandert und sich in die verschie- denen vom Meere oft weit entfernten fliessenden und stehenden Gewässer zertheilt. Es wurden über diese Wanderungen der jungen, bindfadendicken und nur ein Paar Zoll langen, braungelben Aale aus den verschiedensten Ge- genden Europa’s Berichte erstattet, die ich hier gesammelt habe, um zu zei- gen, dass diese beobachteten Wanderungen der Aalbrut als keine vereinzelte etwa durch besondere Localitätsverhältnisse hervorgerufene Erscheinung in der Lebensgeschichte der Aale zu betrachten sind, wobei es freilich noch im- mer unausgemacht bleibt, ob die jungen Aale von oviparen oder viviparen Eltern zur Welt gekommen sind. Schon Franciscus Redi erzählte, dass von Ende Januar bis Ende April alljährlich die Aalbrut den Arno hinaufwandert und dass im Jahre 1667 bei Pisa an einer Stelle des genannten Flusses inner- halb fünf Stunden über drei Millionen Pfund dieser Aale gefangen worden seien. Redi 1) bildete zugleich diese jungen Aale in der natürlichen Grösse von 1 ½ bis 5 Zoll Länge ab und fügt hinzu, dass die drei kleinsten Sorten die grösste Zahl dieser bergaufwandernden Aale ausmachten. Zur Bevölkerung der in Teiche abgetheilten Lagunen von Comacchio werden nach den Mitthei- lungen Spallanzani’s 2) und Coste’s (a. a. O. pag. 20) vom Februar bis April ge- wisse Schleussen geöffnet, um den jungen haardünnen Aalen den Eintritt aus dem Meere in diese Teiche zu gestatten. Dieser Eintritt der Aalbrut wird die Montata genannt; die auf diese Weise in die Lagunen von Comacchio ein- getretenen Aale verweilen nun hier fünf bis sechs Jahre und suchen alsdann, je nach der in geringerer oder grösserer Menge dargebotenen Nahrung bis zu drei, acht, zehn Pfund und darüber herangewachsen, vom October bis De- cember durch die Calata wieder in’s Meer zu gelangen, bei welcher Aus- wanderung durch eigenthümliche labyrinthartige Vorrichtungen der Fang der ausgewachsenen Aale von Statten geht 3). Spallanzani berichtet ferner 4), dass die Aale des Orbitello-See so fein wie ein Haar in den Monaten März, April und Mai besonders bei trübem und stürmischem Wetter millionenweise aus 1) S. dessen: Opusculorum Pars III. sive de animalculis vivis, quae in corporibus ani- malium vivorum reperiuntur, observationes. Edit. Lugdun. Batav. 1729. pag. 100. Tab. 14. Fig. 1—7. 2) Vergl. dessen: Opuscoli due sopra le anguille. Op. I. Cap. 1. pag. 503 u. 507. 3) Die Aale erhalten in den verschiedenen, bis zu 1, 3, 4 oder 5 Pfund und darüber ausgewachsenen Alterszuständen die bestimmten Namen: priscetti, anguillaci, roche, mig- liorumenti, nach denen der Werth dieses sehr gesuchten Handelsartikels abgeschätzt wird. Vergl. Coste a. a. O. pag. 49. 4) S. Spallanzani: Viagg. alle due Sicili a. a. O. pag. 144. v. Siebold, Fische. 23

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/366
Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/366>, abgerufen am 27.04.2024.