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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Familie: Cyprinoidei.
noch Eierstöcke zur gehörigen Ausbildung und Reife, es bleiben in denselben,
obgleich sie nach Alter und Grösse längst fortpflanzungsfähig sein sollten,
die Geschlechtswerkzeuge in ihrer Entwicklung so weit zurück wie in ganz
jugendlichen Individuen, wodurch sie zur Laichzeit der Karpfen neben gleich-
alterigen und gleichgrossen brünstigen Individuen ganz besonders auffallen.
In manchem sterilen Karpfen sind die Geschlechtswerkzeuge so sehr in der
Entwicklung zurückgeblieben, dass sie nur mit grösster Mühe aufzufinden
und oft genug gänzlich übersehen worden sind; solche Individuen sind als-
dann für gänzlich geschlechtslos gehalten worden.

Schon Aristoteles hatte von diesen sterilen Karpfen Kenntniss und sagte
in seiner Naturgeschichte der Thiere1) von ihnen: "So giebt es auch noch
Fische, man nennt sie Epitragien, dergleichen sich unter den Flussfischen,
unter den Karpfen und Balagren2) finden; diese haben niemals weder Rogen
noch Milch, sind aber dabei fest und fett, haben ein kurzes Gedärm und wer-
den für die Besten gehalten".

Unter den Fischern sind die sterilen Karpfen immer ein wohlbekannter
Gegenstand gewesen, der mit den verschiedensten Namen belegt worden ist.
In Süddeutschland werden sterile Karpfen allgemein mit dem Namen "Laimer"
von den Fischern und Fischhändlern bezeichnet, in Norddeutschland haben
sie den Namen "gelte" oder "güste" Karpfen erhalten3). Diese sterilen Kar-
pfen werden in Deutschland noch heute wie zu den Zeiten des Aristotelfs
wegen ihres zarten Fleisches sehr hoch geschätzt4). Auch in Südfrankreich
hat der sterile Karpfe bei Gutschmeckern seinen alten Ruf bewahrt. Er führt
dort den Namen "Carpeau" oder "Carpe brehaigne", und wurde von älteren
französischen Schriftstellern öfters besprochen5). De Latourette, welcher

1) Vergl. Aristotelis de animalibus historiae libri X. Edit. Schneider. Lib. IV. Cap.
XI. 4, übersetzt von Strack, pag. 203.
2) Welchen Fisch Aristoteles unter "Balagrus" verstanden wissen wollte, hat bis jetzt
nicht entschieden werden können.
3) Vergl. Löwe und Riem: Physikalisch-ökonomische Zeitung, Jahrg. 1785. Breslau.
pag. 3. 81. 300. 448. In dieser Zeitung hat man zugleich versucht, die Ursachen der Un-
fruchtbarkeit solcher gelte Karpfen zu erklären, wobei man aber auch junge, noch nicht
geschlechtsreife Individuen, welche in guten Streck-Teichen bei reichlicher Nahrung sehr
stark ausgewachsen waren, für gelte Karpfen genommen zu haben scheint.
4) Schon Baldner (a. a. O. pag. 149) sagt in seiner Beschreibung des Rheinkarpfen:
"es gibt auch deren, so kein Milch oder Rogen haben, die heisset man "müsiggänger", die
werden vor allen gelobt".
5) Ueber den sterilen Karpfen der Rhone spricht sich Dulac (in seinen Memoires pour
servir a l'histoire naturelle des Provinces de Lyonnois, Forez et Beaujolois, Tom. I. Lyon,
1765. pag. 122) in folgender Weise aus: "Le carpeau, que l'on trouve dans le Rhone et dans
la Saone, et qui, au jugement de tous les connoisseurs, est peut-etre le poisson le plus
delicat qui soit en France, n'est pas encore connu. Le genre de ce poisson est un mystere
de la nature ou la sagacite de l'homme n'a pu encore penetrer. Doit-on le ranger dans la
classe des carpes? En est-il le male? ou bien forme-t-il une espece particuliere? C' est ce
qu'on ignore. Cet etrange poisson offre un vaste champ aux recherches des Naturalistes".

Familie: Cyprinoidei.
noch Eierstöcke zur gehörigen Ausbildung und Reife, es bleiben in denselben,
obgleich sie nach Alter und Grösse längst fortpflanzungsfähig sein sollten,
die Geschlechtswerkzeuge in ihrer Entwicklung so weit zurück wie in ganz
jugendlichen Individuen, wodurch sie zur Laichzeit der Karpfen neben gleich-
alterigen und gleichgrossen brünstigen Individuen ganz besonders auffallen.
In manchem sterilen Karpfen sind die Geschlechtswerkzeuge so sehr in der
Entwicklung zurückgeblieben, dass sie nur mit grösster Mühe aufzufinden
und oft genug gänzlich übersehen worden sind; solche Individuen sind als-
dann für gänzlich geschlechtslos gehalten worden.

Schon Aristoteles hatte von diesen sterilen Karpfen Kenntniss und sagte
in seiner Naturgeschichte der Thiere1) von ihnen: »So giebt es auch noch
Fische, man nennt sie Epitragien, dergleichen sich unter den Flussfischen,
unter den Karpfen und Balagren2) finden; diese haben niemals weder Rogen
noch Milch, sind aber dabei fest und fett, haben ein kurzes Gedärm und wer-
den für die Besten gehalten«.

Unter den Fischern sind die sterilen Karpfen immer ein wohlbekannter
Gegenstand gewesen, der mit den verschiedensten Namen belegt worden ist.
In Süddeutschland werden sterile Karpfen allgemein mit dem Namen »Laimer«
von den Fischern und Fischhändlern bezeichnet, in Norddeutschland haben
sie den Namen »gelte« oder »güste« Karpfen erhalten3). Diese sterilen Kar-
pfen werden in Deutschland noch heute wie zu den Zeiten des Aristotelfs
wegen ihres zarten Fleisches sehr hoch geschätzt4). Auch in Südfrankreich
hat der sterile Karpfe bei Gutschmeckern seinen alten Ruf bewahrt. Er führt
dort den Namen »Carpeau« oder »Carpe bréhaigne«, und wurde von älteren
französischen Schriftstellern öfters besprochen5). De Latourette, welcher

1) Vergl. Aristotelis de animalibus historiae libri X. Edit. Schneider. Lib. IV. Cap.
XI. 4, übersetzt von Strack, pag. 203.
2) Welchen Fisch Aristoteles unter »Balagrus« verstanden wissen wollte, hat bis jetzt
nicht entschieden werden können.
3) Vergl. Löwe und Riem: Physikalisch-ökonomische Zeitung, Jahrg. 1785. Breslau.
pag. 3. 81. 300. 448. In dieser Zeitung hat man zugleich versucht, die Ursachen der Un-
fruchtbarkeit solcher gelte Karpfen zu erklären, wobei man aber auch junge, noch nicht
geschlechtsreife Individuen, welche in guten Streck-Teichen bei reichlicher Nahrung sehr
stark ausgewachsen waren, für gelte Karpfen genommen zu haben scheint.
4) Schon Baldner (a. a. O. pag. 149) sagt in seiner Beschreibung des Rheinkarpfen:
»es gibt auch deren, so kein Milch oder Rogen haben, die heisset man »müsiggänger«, die
werden vor allen gelobt«.
5) Ueber den sterilen Karpfen der Rhone spricht sich Dulac (in seinen Mémoires pour
servir à l’histoire naturelle des Provinces de Lyonnois, Forez et Beaujolois, Tom. I. Lyon,
1765. pag. 122) in folgender Weise aus: »Le carpeau, que l’on trouve dans le Rhône et dans
la Saône, et qui, au jugement de tous les connoisseurs, est peut-être le poisson le plus
délicat qui soit en France, n’est pas encore connu. Le genre de ce poisson est un mystere
de la nature où la sagacité de l’homme n’a pu encore pénétrer. Doit-on le ranger dans la
classe des carpes? En est-il le mâle? ou bien forme-t-il une espece particuliere? C’ est ce
qu’on ignore. Cet étrange poisson offre un vaste champ aux recherches des Naturalistes«.
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[90/0103] Familie: Cyprinoidei. noch Eierstöcke zur gehörigen Ausbildung und Reife, es bleiben in denselben, obgleich sie nach Alter und Grösse längst fortpflanzungsfähig sein sollten, die Geschlechtswerkzeuge in ihrer Entwicklung so weit zurück wie in ganz jugendlichen Individuen, wodurch sie zur Laichzeit der Karpfen neben gleich- alterigen und gleichgrossen brünstigen Individuen ganz besonders auffallen. In manchem sterilen Karpfen sind die Geschlechtswerkzeuge so sehr in der Entwicklung zurückgeblieben, dass sie nur mit grösster Mühe aufzufinden und oft genug gänzlich übersehen worden sind; solche Individuen sind als- dann für gänzlich geschlechtslos gehalten worden. Schon Aristoteles hatte von diesen sterilen Karpfen Kenntniss und sagte in seiner Naturgeschichte der Thiere 1) von ihnen: »So giebt es auch noch Fische, man nennt sie Epitragien, dergleichen sich unter den Flussfischen, unter den Karpfen und Balagren 2) finden; diese haben niemals weder Rogen noch Milch, sind aber dabei fest und fett, haben ein kurzes Gedärm und wer- den für die Besten gehalten«. Unter den Fischern sind die sterilen Karpfen immer ein wohlbekannter Gegenstand gewesen, der mit den verschiedensten Namen belegt worden ist. In Süddeutschland werden sterile Karpfen allgemein mit dem Namen »Laimer« von den Fischern und Fischhändlern bezeichnet, in Norddeutschland haben sie den Namen »gelte« oder »güste« Karpfen erhalten 3). Diese sterilen Kar- pfen werden in Deutschland noch heute wie zu den Zeiten des Aristotelfs wegen ihres zarten Fleisches sehr hoch geschätzt 4). Auch in Südfrankreich hat der sterile Karpfe bei Gutschmeckern seinen alten Ruf bewahrt. Er führt dort den Namen »Carpeau« oder »Carpe bréhaigne«, und wurde von älteren französischen Schriftstellern öfters besprochen 5). De Latourette, welcher 1) Vergl. Aristotelis de animalibus historiae libri X. Edit. Schneider. Lib. IV. Cap. XI. 4, übersetzt von Strack, pag. 203. 2) Welchen Fisch Aristoteles unter »Balagrus« verstanden wissen wollte, hat bis jetzt nicht entschieden werden können. 3) Vergl. Löwe und Riem: Physikalisch-ökonomische Zeitung, Jahrg. 1785. Breslau. pag. 3. 81. 300. 448. In dieser Zeitung hat man zugleich versucht, die Ursachen der Un- fruchtbarkeit solcher gelte Karpfen zu erklären, wobei man aber auch junge, noch nicht geschlechtsreife Individuen, welche in guten Streck-Teichen bei reichlicher Nahrung sehr stark ausgewachsen waren, für gelte Karpfen genommen zu haben scheint. 4) Schon Baldner (a. a. O. pag. 149) sagt in seiner Beschreibung des Rheinkarpfen: »es gibt auch deren, so kein Milch oder Rogen haben, die heisset man »müsiggänger«, die werden vor allen gelobt«. 5) Ueber den sterilen Karpfen der Rhone spricht sich Dulac (in seinen Mémoires pour servir à l’histoire naturelle des Provinces de Lyonnois, Forez et Beaujolois, Tom. I. Lyon, 1765. pag. 122) in folgender Weise aus: »Le carpeau, que l’on trouve dans le Rhône et dans la Saône, et qui, au jugement de tous les connoisseurs, est peut-être le poisson le plus délicat qui soit en France, n’est pas encore connu. Le genre de ce poisson est un mystere de la nature où la sagacité de l’homme n’a pu encore pénétrer. Doit-on le ranger dans la classe des carpes? En est-il le mâle? ou bien forme-t-il une espece particuliere? C’ est ce qu’on ignore. Cet étrange poisson offre un vaste champ aux recherches des Naturalistes«.

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/103>, abgerufen am 23.11.2024.