zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. "Was will der Herr?" fragte mich ein ziemlich dicker handfester Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬ ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien, so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt. Du weisst, dass sehr oft ein Minister das Talent hat, durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die ganze Provinz zu verbreiten. "Was will der Herr?" Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken und schlafen. "Das erste kann er, das zweyte nicht." Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? "Nicht für Ihn." Für wen denn sonst? "Für andere ehrli¬ che Leute." Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬ cher Mann. "Geht mich nichts an." Aber es ist Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬ der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬ stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. "Mach der Herr nur kein Federlesens, und pack' Er sich; oder ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald zu Ende seyn." Er deutete grimmig auf die Thür, und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬ aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬ wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung
zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. „Was will der Herr?“ fragte mich ein ziemlich dicker handfester Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬ ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien, so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt. Du weiſst, daſs sehr oft ein Minister das Talent hat, durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die ganze Provinz zu verbreiten. „Was will der Herr?“ Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken und schlafen. „Das erste kann er, das zweyte nicht.“ Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? „Nicht für Ihn.“ Für wen denn sonst? „Für andere ehrli¬ che Leute.“ Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬ cher Mann. „Geht mich nichts an.“ Aber es ist Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬ der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬ stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. „Mach der Herr nur kein Federlesens, und pack' Er sich; oder ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald zu Ende seyn.“ Er deutete grimmig auf die Thür, und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬ aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬ wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0090"n="64"/>
zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich<lb/>
trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war<lb/>
Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. „Was will der<lb/>
Herr?“ fragte mich ein ziemlich dicker handfester<lb/>
Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬<lb/>
ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien,<lb/>
so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt.<lb/>
Du weiſst, daſs sehr oft ein Minister das Talent hat,<lb/>
durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die<lb/>
ganze Provinz zu verbreiten. „Was will der Herr?“<lb/>
Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken<lb/>
und schlafen. „Das erste kann er, das zweyte nicht.“<lb/>
Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? „Nicht<lb/>
für Ihn.“ Für wen denn sonst? „Für andere ehrli¬<lb/>
che Leute.“ Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬<lb/>
cher Mann. „Geht mich nichts an.“ Aber es ist<lb/>
Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl<lb/>
hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier<lb/>
gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden<lb/>
Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬<lb/>
der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬<lb/>
stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. „Mach der<lb/>
Herr nur kein Federlesens, und pack' Er sich; oder<lb/>
ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald<lb/>
zu Ende seyn.“ Er deutete grimmig auf die Thür,<lb/>
und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬<lb/>
aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn<lb/>
vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft<lb/>
um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬<lb/>
wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht<lb/>
trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung<lb/></p></div></body></text></TEI>
[64/0090]
zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich
trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war
Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. „Was will der
Herr?“ fragte mich ein ziemlich dicker handfester
Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬
ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien,
so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt.
Du weiſst, daſs sehr oft ein Minister das Talent hat,
durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die
ganze Provinz zu verbreiten. „Was will der Herr?“
Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken
und schlafen. „Das erste kann er, das zweyte nicht.“
Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? „Nicht
für Ihn.“ Für wen denn sonst? „Für andere ehrli¬
che Leute.“ Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬
cher Mann. „Geht mich nichts an.“ Aber es ist
Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl
hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier
gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden
Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬
der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬
stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. „Mach der
Herr nur kein Federlesens, und pack' Er sich; oder
ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald
zu Ende seyn.“ Er deutete grimmig auf die Thür,
und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬
aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn
vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft
um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬
wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht
trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/90>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.