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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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"Wu wüll Aehr weiter hünn?"

Vorzüglich nach Sicilien.

Er glotzte von neuem, und fragte:

"Wafs wüll Aehr da machchen?"

Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit ge¬
sagt, dass ich bloss spazieren gehen wollte, um mir das
Zwerchfell aus einander zu wandeln, das ich mir über
dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammen ge¬
sessen hatte, so hätte der Mann höchst wahrscheinlich
gar keinen Begriff davon gehabt und geglaubt, ich sey
irgend einem Bedlam entlaufen.

Ich will den Theokrit dort studieren; sagte ich.

Weiss der Himmel was er denken mochte; er sah
mich an und sah auf den Pass und sah mich wieder
an, und schrieb sodann etwas auf den Pass, welches,
wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung ei¬
nes andern war.

"Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uff¬
halten."

Ich bin es nicht Willens, antwortete ich mit dem
ganzen Murrsinn der düstern Laune, und bekomme
hier auch nicht Lust dazu. Er beglotzte mich noch
einmahl, gab mir den Pass, und ich ging.

Man hat mir den Namen des Mannes genannt
und gesagt, dass dieses durchaus sein Charakter sey,
und dass er bey dem Kaiser in gar grossem Vertrauen
und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den
Kaiser und für ihn und die Wiener und alle, die mit
ihm zu thun haben. Sein Gesicht hatte das Gepräge
seiner Seele, das konnte ich beym ersten Anblick se¬
hen, ohne jemahls eine Stunde bey Gall gehört zu

„Wu wüll Aehr weiter hünn?“

Vorzüglich nach Sicilien.

Er glotzte von neuem, und fragte:

„Wafs wüll Aehr da machchen?“

Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit ge¬
sagt, daſs ich bloſs spazieren gehen wollte, um mir das
Zwerchfell aus einander zu wandeln, das ich mir über
dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammen ge¬
sessen hatte, so hätte der Mann höchst wahrscheinlich
gar keinen Begriff davon gehabt und geglaubt, ich sey
irgend einem Bedlam entlaufen.

Ich will den Theokrit dort studieren; sagte ich.

Weiſs der Himmel was er denken mochte; er sah
mich an und sah auf den Paſs und sah mich wieder
an, und schrieb sodann etwas auf den Paſs, welches,
wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung ei¬
nes andern war.

„Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uff¬
halten.“

Ich bin es nicht Willens, antwortete ich mit dem
ganzen Murrsinn der düstern Laune, und bekomme
hier auch nicht Lust dazu. Er beglotzte mich noch
einmahl, gab mir den Paſs, und ich ging.

Man hat mir den Namen des Mannes genannt
und gesagt, daſs dieses durchaus sein Charakter sey,
und daſs er bey dem Kaiser in gar groſsem Vertrauen
und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den
Kaiser und für ihn und die Wiener und alle, die mit
ihm zu thun haben. Sein Gesicht hatte das Gepräge
seiner Seele, das konnte ich beym ersten Anblick se¬
hen, ohne jemahls eine Stunde bey Gall gehört zu

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[42/0068] „Wu wüll Aehr weiter hünn?“ Vorzüglich nach Sicilien. Er glotzte von neuem, und fragte: „Wafs wüll Aehr da machchen?“ Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit ge¬ sagt, daſs ich bloſs spazieren gehen wollte, um mir das Zwerchfell aus einander zu wandeln, das ich mir über dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammen ge¬ sessen hatte, so hätte der Mann höchst wahrscheinlich gar keinen Begriff davon gehabt und geglaubt, ich sey irgend einem Bedlam entlaufen. Ich will den Theokrit dort studieren; sagte ich. Weiſs der Himmel was er denken mochte; er sah mich an und sah auf den Paſs und sah mich wieder an, und schrieb sodann etwas auf den Paſs, welches, wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung ei¬ nes andern war. „Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uff¬ halten.“ Ich bin es nicht Willens, antwortete ich mit dem ganzen Murrsinn der düstern Laune, und bekomme hier auch nicht Lust dazu. Er beglotzte mich noch einmahl, gab mir den Paſs, und ich ging. Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, daſs dieses durchaus sein Charakter sey, und daſs er bey dem Kaiser in gar groſsem Vertrauen und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und die Wiener und alle, die mit ihm zu thun haben. Sein Gesicht hatte das Gepräge seiner Seele, das konnte ich beym ersten Anblick se¬ hen, ohne jemahls eine Stunde bey Gall gehört zu

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/68>, abgerufen am 25.11.2024.