Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

thut mir in seine und jedes guten Franzosen Seele
leid, dass die Kunst hier so sehr merkantilisch ist.
Ueber das Stück selbst schweige ich, da ich im Gan¬
zen der Meinung der andern deutschen Beurthei¬
ler bin.

In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um
mich um zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit
Landsleuten, als die Wasser sprangen. In Paris sah
man alles unentgeltlich und überall war zuvorkom¬
mende Gefälligkeit: in Versailles war durchaus eine
Begehrlichkeit, die gegen die Pariser Humanität sehr
unangenehm abstach. Ich zahlte einem Lohnlakey für
zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber murrte
er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den
ehemaligen Zimmern des Königs dreyssig Sols; dafür
war er nicht höflich. Alles war theuer und schlechter,
und alle Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir
die Beschreibung der Herrlichkeiten erlassen. Unten
das Naturalienkabinett ist sehr artig und enthält meh¬
rere Kuriositäten, muss aber freylich viel verlieren,
wenn man einige Tage vorher den botanischen Garten
in Paris gesehen hat. Eine eigene Erscheinung ist in
dem hintersten Zimmer eine Zusammenhäufung der
Idole der verschiedenen Kulten des Erdbodens. Dar¬
unter stand auch noch das Kreuz, und mich wundert,
dass man es nach Abschliessung des Konkordats noch
nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch
sonst durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die
Gemälde auf den Sälen oben sind alle aus der fran¬
zösischen Schule, und es sind viele Stücke darunter,
die durch Kunst und noch mehr durch Geschichtsbe¬

thut mir in seine und jedes guten Franzosen Seele
leid, daſs die Kunst hier so sehr merkantilisch ist.
Ueber das Stück selbst schweige ich, da ich im Gan¬
zen der Meinung der andern deutschen Beurthei¬
ler bin.

In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um
mich um zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit
Landsleuten, als die Wasser sprangen. In Paris sah
man alles unentgeltlich und überall war zuvorkom¬
mende Gefälligkeit: in Versailles war durchaus eine
Begehrlichkeit, die gegen die Pariser Humanität sehr
unangenehm abstach. Ich zahlte einem Lohnlakey für
zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber murrte
er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den
ehemaligen Zimmern des Königs dreyſsig Sols; dafür
war er nicht höflich. Alles war theuer und schlechter,
und alle Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir
die Beschreibung der Herrlichkeiten erlassen. Unten
das Naturalienkabinett ist sehr artig und enthält meh¬
rere Kuriositäten, muſs aber freylich viel verlieren,
wenn man einige Tage vorher den botanischen Garten
in Paris gesehen hat. Eine eigene Erscheinung ist in
dem hintersten Zimmer eine Zusammenhäufung der
Idole der verschiedenen Kulten des Erdbodens. Dar¬
unter stand auch noch das Kreuz, und mich wundert,
daſs man es nach Abschlieſsung des Konkordats noch
nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch
sonst durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die
Gemälde auf den Sälen oben sind alle aus der fran¬
zösischen Schule, und es sind viele Stücke darunter,
die durch Kunst und noch mehr durch Geschichtsbe¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0481" n="453 "/>
thut mir in seine und jedes guten Franzosen Seele<lb/>
leid, da&#x017F;s die Kunst hier so sehr merkantilisch ist.<lb/>
Ueber das Stück selbst schweige ich, da ich im Gan¬<lb/>
zen der Meinung der andern deutschen Beurthei¬<lb/>
ler bin.</p><lb/>
        <p>In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um<lb/>
mich um zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit<lb/>
Landsleuten, als die Wasser sprangen. In Paris sah<lb/>
man alles unentgeltlich und überall war zuvorkom¬<lb/>
mende Gefälligkeit: in Versailles war durchaus eine<lb/>
Begehrlichkeit, die gegen die Pariser Humanität sehr<lb/>
unangenehm abstach. Ich zahlte einem Lohnlakey für<lb/>
zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber murrte<lb/>
er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den<lb/>
ehemaligen Zimmern des Königs drey&#x017F;sig Sols; dafür<lb/>
war er nicht höflich. Alles war theuer und schlechter,<lb/>
und alle Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir<lb/>
die Beschreibung der Herrlichkeiten erlassen. Unten<lb/>
das Naturalienkabinett ist sehr artig und enthält meh¬<lb/>
rere Kuriositäten, mu&#x017F;s aber freylich viel verlieren,<lb/>
wenn man einige Tage vorher den botanischen Garten<lb/>
in Paris gesehen hat. Eine eigene Erscheinung ist in<lb/>
dem hintersten Zimmer eine Zusammenhäufung der<lb/>
Idole der verschiedenen Kulten des Erdbodens. Dar¬<lb/>
unter stand auch noch das Kreuz, und mich wundert,<lb/>
da&#x017F;s man es nach Abschlie&#x017F;sung des Konkordats noch<lb/>
nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch<lb/>
sonst durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die<lb/>
Gemälde auf den Sälen oben sind alle aus der fran¬<lb/>
zösischen Schule, und es sind viele Stücke darunter,<lb/>
die durch Kunst und noch mehr durch Geschichtsbe¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453 /0481] thut mir in seine und jedes guten Franzosen Seele leid, daſs die Kunst hier so sehr merkantilisch ist. Ueber das Stück selbst schweige ich, da ich im Gan¬ zen der Meinung der andern deutschen Beurthei¬ ler bin. In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um mich um zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit Landsleuten, als die Wasser sprangen. In Paris sah man alles unentgeltlich und überall war zuvorkom¬ mende Gefälligkeit: in Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen die Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem Lohnlakey für zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber murrte er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den ehemaligen Zimmern des Königs dreyſsig Sols; dafür war er nicht höflich. Alles war theuer und schlechter, und alle Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir die Beschreibung der Herrlichkeiten erlassen. Unten das Naturalienkabinett ist sehr artig und enthält meh¬ rere Kuriositäten, muſs aber freylich viel verlieren, wenn man einige Tage vorher den botanischen Garten in Paris gesehen hat. Eine eigene Erscheinung ist in dem hintersten Zimmer eine Zusammenhäufung der Idole der verschiedenen Kulten des Erdbodens. Dar¬ unter stand auch noch das Kreuz, und mich wundert, daſs man es nach Abschlieſsung des Konkordats noch nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch sonst durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die Gemälde auf den Sälen oben sind alle aus der fran¬ zösischen Schule, und es sind viele Stücke darunter, die durch Kunst und noch mehr durch Geschichtsbe¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/481
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 453 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/481>, abgerufen am 29.03.2024.