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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Ich hatte gewünscht David zu sehen, hörte aber
in Paris so viel problematisches über seinen Charakter,
dass mir die Lust verging. Ich sah ihn nur ein ein¬
ziges Mal in seinem kleinen Garten am Louver, und
sein Anblick lud mich nicht ein, Versuche zu machen
ihm näher zu kommen. Das that mir leid; denn ich
finde in dem Manne sonst vieles was mich hingezogen
hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was ich von
dem Manne fodere, den ich zu sehen wünschen soll.
Vielleicht thut man dem strengen etwas finstern Künst¬
ler auch etwas zu viel; desto besser für ihn und für
uns alle. Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das
Attelier seines Vaters zu führen, wo Brutus der Alte
steht, ein herrliches Trauerstück. Mann nennt es hier
nur die Reue des Brutus, und ich begreife nicht, wie
man zu dieser Idee gekommen ist. Die Leichen der
jungen Menschen werden eben vorbey getragen, der
weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht
des Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten.
Diese Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte
Patriot sitzt entfernt in der Tiefe seines Kummers;
er fühlt ganz die Verwaisung seines Hauses. Diess ist
nach meiner Meinung die ganze Deutung des Stücks.
Reue ist nicht auf seinem Gesichte und kann, so viel
ich weiss, nach der Geschichte nicht darauf seyn.
Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die Sabine¬
rinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36
Sols Entre gezeigt werden. Ich weiss nicht ob David
es nöthig hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die
Methode macht weder ihm noch der Nation Ehre. Ich
habe nichts gezahlt, weil mich sein Sohn führte. Es

Ich hatte gewünscht David zu sehen, hörte aber
in Paris so viel problematisches über seinen Charakter,
daſs mir die Lust verging. Ich sah ihn nur ein ein¬
ziges Mal in seinem kleinen Garten am Louver, und
sein Anblick lud mich nicht ein, Versuche zu machen
ihm näher zu kommen. Das that mir leid; denn ich
finde in dem Manne sonst vieles was mich hingezogen
hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was ich von
dem Manne fodere, den ich zu sehen wünschen soll.
Vielleicht thut man dem strengen etwas finstern Künst¬
ler auch etwas zu viel; desto besser für ihn und für
uns alle. Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das
Attelier seines Vaters zu führen, wo Brutus der Alte
steht, ein herrliches Trauerstück. Mann nennt es hier
nur die Reue des Brutus, und ich begreife nicht, wie
man zu dieser Idee gekommen ist. Die Leichen der
jungen Menschen werden eben vorbey getragen, der
weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht
des Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten.
Diese Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte
Patriot sitzt entfernt in der Tiefe seines Kummers;
er fühlt ganz die Verwaisung seines Hauses. Dieſs ist
nach meiner Meinung die ganze Deutung des Stücks.
Reue ist nicht auf seinem Gesichte und kann, so viel
ich weiſs, nach der Geschichte nicht darauf seyn.
Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die Sabine¬
rinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36
Sols Entre gezeigt werden. Ich weiſs nicht ob David
es nöthig hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die
Methode macht weder ihm noch der Nation Ehre. Ich
habe nichts gezahlt, weil mich sein Sohn führte. Es

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[452 /0480] Ich hatte gewünscht David zu sehen, hörte aber in Paris so viel problematisches über seinen Charakter, daſs mir die Lust verging. Ich sah ihn nur ein ein¬ ziges Mal in seinem kleinen Garten am Louver, und sein Anblick lud mich nicht ein, Versuche zu machen ihm näher zu kommen. Das that mir leid; denn ich finde in dem Manne sonst vieles was mich hingezogen hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was ich von dem Manne fodere, den ich zu sehen wünschen soll. Vielleicht thut man dem strengen etwas finstern Künst¬ ler auch etwas zu viel; desto besser für ihn und für uns alle. Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das Attelier seines Vaters zu führen, wo Brutus der Alte steht, ein herrliches Trauerstück. Mann nennt es hier nur die Reue des Brutus, und ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee gekommen ist. Die Leichen der jungen Menschen werden eben vorbey getragen, der weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht des Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt entfernt in der Tiefe seines Kummers; er fühlt ganz die Verwaisung seines Hauses. Dieſs ist nach meiner Meinung die ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf seinem Gesichte und kann, so viel ich weiſs, nach der Geschichte nicht darauf seyn. Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die Sabine¬ rinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols Entre gezeigt werden. Ich weiſs nicht ob David es nöthig hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die Methode macht weder ihm noch der Nation Ehre. Ich habe nichts gezahlt, weil mich sein Sohn führte. Es

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 452 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/480>, abgerufen am 22.11.2024.