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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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aus dem sodann die Flüsse nach mehrern Seiten hin¬
abrauschen. Es müsste das grösste Vergnügen seyn,
einige Jahre nach einander Alpenwanderungen machen
zu können. Welche Verschiedenheit der Gemälde hat
nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen um seine
Füsse, Heerden weiden um seine Knie, Wälder um¬
gürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluch¬
ten stürzt; Ungewitter stürmen um seine Schultern,
von denen die Flüsse nach allen Meeren herabrauschen,
und das Haupt des Adula schwimmt in Sonnenstrah¬
len. Das gestrige Gewitter mochte vielleicht Ursache
des heutigen schrecklichen Wetters seyn: doch war die
Veränderung so schnell, dass in einer Viertelstunde
manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber, Re¬
gen und Sonnenschein war und sich die Wolken schon
wieder durch die Schluchten drängten. Als ich oben
gefrühstückt hatte ging ich nun auf der deutschen Seite
über Sankt Ursel, durch das Ursler Loch und über die
Teufelsbrücken herab. Denke Dir das Teufelswetter
zu der Teufelsbrücke, wo ich links und rechts kaum
einige Klaftern an den Felsen in die Höhe sehen
konnte, und Du wirst finden, dass es eine Teufels¬
parthie war: ich möchte aber doch ihre Reminiscenz
nicht gern missen. Als wir weiter herab kamen ward
das Wetter heiter und freundlich, und nur einige
Schluchten in den furchtbaren Schwarzwäldern waren
noch hoch mit Schnee gefüllt, und die Spitzen der
Berge weiss. Mein Schneider von Konstanz erzählte
mir manches aus seinem Lebenslaufe, der nicht eben
der beste war, wovon aber der Mensch keine Ahn¬
dung zu haben schien. Sehr naiv machte er den An¬

aus dem sodann die Flüsse nach mehrern Seiten hin¬
abrauschen. Es müſste das gröſste Vergnügen seyn,
einige Jahre nach einander Alpenwanderungen machen
zu können. Welche Verschiedenheit der Gemälde hat
nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen um seine
Füſse, Heerden weiden um seine Knie, Wälder um¬
gürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluch¬
ten stürzt; Ungewitter stürmen um seine Schultern,
von denen die Flüsse nach allen Meeren herabrauschen,
und das Haupt des Adula schwimmt in Sonnenstrah¬
len. Das gestrige Gewitter mochte vielleicht Ursache
des heutigen schrecklichen Wetters seyn: doch war die
Veränderung so schnell, daſs in einer Viertelstunde
manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber, Re¬
gen und Sonnenschein war und sich die Wolken schon
wieder durch die Schluchten drängten. Als ich oben
gefrühstückt hatte ging ich nun auf der deutschen Seite
über Sankt Ursel, durch das Ursler Loch und über die
Teufelsbrücken herab. Denke Dir das Teufelswetter
zu der Teufelsbrücke, wo ich links und rechts kaum
einige Klaftern an den Felsen in die Höhe sehen
konnte, und Du wirst finden, daſs es eine Teufels¬
parthie war: ich möchte aber doch ihre Reminiscenz
nicht gern missen. Als wir weiter herab kamen ward
das Wetter heiter und freundlich, und nur einige
Schluchten in den furchtbaren Schwarzwäldern waren
noch hoch mit Schnee gefüllt, und die Spitzen der
Berge weiſs. Mein Schneider von Konstanz erzählte
mir manches aus seinem Lebenslaufe, der nicht eben
der beste war, wovon aber der Mensch keine Ahn¬
dung zu haben schien. Sehr naiv machte er den An¬

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[420 /0448] aus dem sodann die Flüsse nach mehrern Seiten hin¬ abrauschen. Es müſste das gröſste Vergnügen seyn, einige Jahre nach einander Alpenwanderungen machen zu können. Welche Verschiedenheit der Gemälde hat nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen um seine Füſse, Heerden weiden um seine Knie, Wälder um¬ gürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluch¬ ten stürzt; Ungewitter stürmen um seine Schultern, von denen die Flüsse nach allen Meeren herabrauschen, und das Haupt des Adula schwimmt in Sonnenstrah¬ len. Das gestrige Gewitter mochte vielleicht Ursache des heutigen schrecklichen Wetters seyn: doch war die Veränderung so schnell, daſs in einer Viertelstunde manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber, Re¬ gen und Sonnenschein war und sich die Wolken schon wieder durch die Schluchten drängten. Als ich oben gefrühstückt hatte ging ich nun auf der deutschen Seite über Sankt Ursel, durch das Ursler Loch und über die Teufelsbrücken herab. Denke Dir das Teufelswetter zu der Teufelsbrücke, wo ich links und rechts kaum einige Klaftern an den Felsen in die Höhe sehen konnte, und Du wirst finden, daſs es eine Teufels¬ parthie war: ich möchte aber doch ihre Reminiscenz nicht gern missen. Als wir weiter herab kamen ward das Wetter heiter und freundlich, und nur einige Schluchten in den furchtbaren Schwarzwäldern waren noch hoch mit Schnee gefüllt, und die Spitzen der Berge weiſs. Mein Schneider von Konstanz erzählte mir manches aus seinem Lebenslaufe, der nicht eben der beste war, wovon aber der Mensch keine Ahn¬ dung zu haben schien. Sehr naiv machte er den An¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 420 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/448>, abgerufen am 28.04.2024.