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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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die Brust; die beyden übrigen blieben dispositions¬
mässig in einer kleinen Entfernung mit aufgezogenen
Karabinern. In der Bestürzung sagte ich halb unwill¬
kührlich auf Deutsch zu ihnen: Ey so nehmt denn
ins Teufels Namen alles was ich habe! Da machte ei¬
ner eine doppelt grässliche Pantomime mit Gesicht
und Dolch, um mir zu verstehen zu geben, man
würde stossen und schiessen, sobald ich noch eine
Sylbe spräche. Ich schwieg also. In Eile nahmen sie
mir nun die Börse und etwas kleines Geld aus den
Westentaschen, welches beydes zusammen sich viel¬
leicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich
mit der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche,
und die Karabiner suchten mir durch richtige Schwen¬
kung Willigkeit einzuflössen. Ich machte mich bloss
so schwer als möglich, da weiter thätiger Widerstand
zu thun der gewisse Tod gewesen wäre: man zerriss
mir in der Anstrengung Weste und Hemd. Vermuth¬
lich wollte man mich dort im Busche gemächlich
durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun,
was man für gut finden würde. Sind die Herren
sicher, so lassen sie das Opfer laufen; sind sie das
nicht, so geben sie einen Schuss oder Stich, und die
Todten sprechen nicht. In diesem kritischen Momente,
denn das Ganze dauerte vielleicht kaum eine Minute,
hörte man den Wagen von oben herabrollen und auch
Stimmen von unten: sie liessen mich also los und nah¬
men die Flucht in den Wald. Ich ging etwas verblüfft
meinen Weg fort, ohne jemand zu erwarten. Die Uhr
sass, wie in Sicilien, tief, und das Taschentuch stak
unter dem Arme in einem Rocksacke: beydes wurde

die Brust; die beyden übrigen blieben dispositions¬
mäſsig in einer kleinen Entfernung mit aufgezogenen
Karabinern. In der Bestürzung sagte ich halb unwill¬
kührlich auf Deutsch zu ihnen: Ey so nehmt denn
ins Teufels Namen alles was ich habe! Da machte ei¬
ner eine doppelt gräſsliche Pantomime mit Gesicht
und Dolch, um mir zu verstehen zu geben, man
würde stoſsen und schieſsen, sobald ich noch eine
Sylbe spräche. Ich schwieg also. In Eile nahmen sie
mir nun die Börse und etwas kleines Geld aus den
Westentaschen, welches beydes zusammen sich viel¬
leicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich
mit der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche,
und die Karabiner suchten mir durch richtige Schwen¬
kung Willigkeit einzuflöſsen. Ich machte mich bloſs
so schwer als möglich, da weiter thätiger Widerstand
zu thun der gewisse Tod gewesen wäre: man zerriſs
mir in der Anstrengung Weste und Hemd. Vermuth¬
lich wollte man mich dort im Busche gemächlich
durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun,
was man für gut finden würde. Sind die Herren
sicher, so lassen sie das Opfer laufen; sind sie das
nicht, so geben sie einen Schuſs oder Stich, und die
Todten sprechen nicht. In diesem kritischen Momente,
denn das Ganze dauerte vielleicht kaum eine Minute,
hörte man den Wagen von oben herabrollen und auch
Stimmen von unten: sie lieſsen mich also los und nah¬
men die Flucht in den Wald. Ich ging etwas verblüfft
meinen Weg fort, ohne jemand zu erwarten. Die Uhr
saſs, wie in Sicilien, tief, und das Taschentuch stak
unter dem Arme in einem Rocksacke: beydes wurde

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[362 /0390] die Brust; die beyden übrigen blieben dispositions¬ mäſsig in einer kleinen Entfernung mit aufgezogenen Karabinern. In der Bestürzung sagte ich halb unwill¬ kührlich auf Deutsch zu ihnen: Ey so nehmt denn ins Teufels Namen alles was ich habe! Da machte ei¬ ner eine doppelt gräſsliche Pantomime mit Gesicht und Dolch, um mir zu verstehen zu geben, man würde stoſsen und schieſsen, sobald ich noch eine Sylbe spräche. Ich schwieg also. In Eile nahmen sie mir nun die Börse und etwas kleines Geld aus den Westentaschen, welches beydes zusammen sich viel¬ leicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich mit der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche, und die Karabiner suchten mir durch richtige Schwen¬ kung Willigkeit einzuflöſsen. Ich machte mich bloſs so schwer als möglich, da weiter thätiger Widerstand zu thun der gewisse Tod gewesen wäre: man zerriſs mir in der Anstrengung Weste und Hemd. Vermuth¬ lich wollte man mich dort im Busche gemächlich durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun, was man für gut finden würde. Sind die Herren sicher, so lassen sie das Opfer laufen; sind sie das nicht, so geben sie einen Schuſs oder Stich, und die Todten sprechen nicht. In diesem kritischen Momente, denn das Ganze dauerte vielleicht kaum eine Minute, hörte man den Wagen von oben herabrollen und auch Stimmen von unten: sie lieſsen mich also los und nah¬ men die Flucht in den Wald. Ich ging etwas verblüfft meinen Weg fort, ohne jemand zu erwarten. Die Uhr saſs, wie in Sicilien, tief, und das Taschentuch stak unter dem Arme in einem Rocksacke: beydes wurde

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 362 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/390>, abgerufen am 29.03.2024.