Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

bringen. Den andern Morgen war er wieder sehr
früh da und holte mich ab. Nun lebten wir leidlich
ordentlich einige Tage, das Vorgefallene wurde be¬
dauert und meine Ketzerey weiter nicht mehr als nur
im Allgemeinen in Anspruch genommen. Aber wenn
wir zuweilen zusammen ausgingen, welches der Herr
sehr gut zu veranstalten wusste, hatte er immer etwas
zu kaufen und kein Geld bey sich: ich war also ziem¬
lich stark in Auslage und bezahlte jede Mahlzeit da¬
durch sehr theuer. Ich musste Geld haben von dem
Kaufmann, und er erbot sich sogar meine Geschäfte
bey ihm zu machen, da ich doch der Sprache nicht
recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bey aller
meiner indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu
sehr gewitziget, dankte und verbat seine Mühwaltung,
und holte meine Barschaft nicht eher als bis ich ab¬
reisen wollte. Er half mir zuletzt noch manches be¬
sorgen, und da er sich meinetwegen bey Nacht etwas
enrhümiert hatte, musste ich bey dem schlechten Wet¬
ter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen. Hier
erzählte mir der Mann sehr naiv etwas näher seine
Amtsbeschäftigungen. Wir müssen, sagte er, in der
Insel herum reisen, die rückständigen Steuern einzu¬
treiben, und im Namen des Königes den Leuten Klei¬
der, Betten und das übrige Hausgeräthe wegzunehmen,
wenn sie nicht zahlen können. Es packte mich bey
diesen trockenen Worten eine Kälte, dass ich im Wa¬
gen meine Reisejacke dichter anzog und unwillkühr¬
lich nach meinem Halstuche griff. Die zwey Unzen
wurden vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie
gleich nun lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte,

bringen. Den andern Morgen war er wieder sehr
früh da und holte mich ab. Nun lebten wir leidlich
ordentlich einige Tage, das Vorgefallene wurde be¬
dauert und meine Ketzerey weiter nicht mehr als nur
im Allgemeinen in Anspruch genommen. Aber wenn
wir zuweilen zusammen ausgingen, welches der Herr
sehr gut zu veranstalten wuſste, hatte er immer etwas
zu kaufen und kein Geld bey sich: ich war also ziem¬
lich stark in Auslage und bezahlte jede Mahlzeit da¬
durch sehr theuer. Ich muſste Geld haben von dem
Kaufmann, und er erbot sich sogar meine Geschäfte
bey ihm zu machen, da ich doch der Sprache nicht
recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bey aller
meiner indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu
sehr gewitziget, dankte und verbat seine Mühwaltung,
und holte meine Barschaft nicht eher als bis ich ab¬
reisen wollte. Er half mir zuletzt noch manches be¬
sorgen, und da er sich meinetwegen bey Nacht etwas
enrhümiert hatte, muſste ich bey dem schlechten Wet¬
ter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen. Hier
erzählte mir der Mann sehr naiv etwas näher seine
Amtsbeschäftigungen. Wir müssen, sagte er, in der
Insel herum reisen, die rückständigen Steuern einzu¬
treiben, und im Namen des Königes den Leuten Klei¬
der, Betten und das übrige Hausgeräthe wegzunehmen,
wenn sie nicht zahlen können. Es packte mich bey
diesen trockenen Worten eine Kälte, daſs ich im Wa¬
gen meine Reisejacke dichter anzog und unwillkühr¬
lich nach meinem Halstuche griff. Die zwey Unzen
wurden vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie
gleich nun lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0349" n="323"/>
bringen. Den andern Morgen war er wieder sehr<lb/>
früh da und holte mich ab. Nun lebten wir leidlich<lb/>
ordentlich einige Tage, das Vorgefallene wurde be¬<lb/>
dauert und meine Ketzerey weiter nicht mehr als nur<lb/>
im Allgemeinen in Anspruch genommen. Aber wenn<lb/>
wir zuweilen zusammen ausgingen, welches der Herr<lb/>
sehr gut zu veranstalten wu&#x017F;ste, hatte er immer etwas<lb/>
zu kaufen und kein Geld bey sich: ich war also ziem¬<lb/>
lich stark in Auslage und bezahlte jede Mahlzeit da¬<lb/>
durch sehr theuer. Ich mu&#x017F;ste Geld haben von dem<lb/>
Kaufmann, und er erbot sich sogar meine Geschäfte<lb/>
bey ihm zu machen, da ich doch der Sprache nicht<lb/>
recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bey aller<lb/>
meiner indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu<lb/>
sehr gewitziget, dankte und verbat seine Mühwaltung,<lb/>
und holte meine Barschaft nicht eher als bis ich ab¬<lb/>
reisen wollte. Er half mir zuletzt noch manches be¬<lb/>
sorgen, und da er sich meinetwegen bey Nacht etwas<lb/>
enrhümiert hatte, mu&#x017F;ste ich bey dem schlechten Wet¬<lb/>
ter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen. Hier<lb/>
erzählte mir der Mann sehr naiv etwas näher seine<lb/>
Amtsbeschäftigungen. Wir müssen, sagte er, in der<lb/>
Insel herum reisen, die rückständigen Steuern einzu¬<lb/>
treiben, und im Namen des Königes den Leuten Klei¬<lb/>
der, Betten und das übrige Hausgeräthe wegzunehmen,<lb/>
wenn sie nicht zahlen können. Es packte mich bey<lb/>
diesen trockenen Worten eine Kälte, da&#x017F;s ich im Wa¬<lb/>
gen meine Reisejacke dichter anzog und unwillkühr¬<lb/>
lich nach meinem Halstuche griff. Die zwey Unzen<lb/>
wurden vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie<lb/>
gleich nun lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0349] bringen. Den andern Morgen war er wieder sehr früh da und holte mich ab. Nun lebten wir leidlich ordentlich einige Tage, das Vorgefallene wurde be¬ dauert und meine Ketzerey weiter nicht mehr als nur im Allgemeinen in Anspruch genommen. Aber wenn wir zuweilen zusammen ausgingen, welches der Herr sehr gut zu veranstalten wuſste, hatte er immer etwas zu kaufen und kein Geld bey sich: ich war also ziem¬ lich stark in Auslage und bezahlte jede Mahlzeit da¬ durch sehr theuer. Ich muſste Geld haben von dem Kaufmann, und er erbot sich sogar meine Geschäfte bey ihm zu machen, da ich doch der Sprache nicht recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bey aller meiner indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu sehr gewitziget, dankte und verbat seine Mühwaltung, und holte meine Barschaft nicht eher als bis ich ab¬ reisen wollte. Er half mir zuletzt noch manches be¬ sorgen, und da er sich meinetwegen bey Nacht etwas enrhümiert hatte, muſste ich bey dem schlechten Wet¬ ter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen. Hier erzählte mir der Mann sehr naiv etwas näher seine Amtsbeschäftigungen. Wir müssen, sagte er, in der Insel herum reisen, die rückständigen Steuern einzu¬ treiben, und im Namen des Königes den Leuten Klei¬ der, Betten und das übrige Hausgeräthe wegzunehmen, wenn sie nicht zahlen können. Es packte mich bey diesen trockenen Worten eine Kälte, daſs ich im Wa¬ gen meine Reisejacke dichter anzog und unwillkühr¬ lich nach meinem Halstuche griff. Die zwey Unzen wurden vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie gleich nun lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/349
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/349>, abgerufen am 22.11.2024.