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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Ort, welcher ehemahls unten lag und nun auf einem
hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste
Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten
Theater, einem der kühnsten Werke der Alten.
Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabel¬
hafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit
weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst
wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat
es nach der Zerstörung durch die Saracenen, so gut
als möglich wieder zusammen gesetzt, scheint aber da¬
bey nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren
zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten,
und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das
neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch
hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten
von den Barbaren gelitten. Das alte Schloss, welches
noch höher als die Stadt liegt, muss schwer zu neh¬
men seyn. Die heilige Mutter vom Felsen könnte es
also ziemlich gut vertheidigen, wenn ihre Kinder ver¬
ständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina
hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kom¬
mandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht
honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus
unten am Fusse des Berges, welches aber eine starke
Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Maulesel¬
treiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirths¬
haus finden können, so wäre ich dem Herrn gar
nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern
sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und
ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich
schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wan¬

Ort, welcher ehemahls unten lag und nun auf einem
hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste
Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten
Theater, einem der kühnsten Werke der Alten.
Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabel¬
hafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit
weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst
wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat
es nach der Zerstörung durch die Saracenen, so gut
als möglich wieder zusammen gesetzt, scheint aber da¬
bey nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren
zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten,
und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das
neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch
hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten
von den Barbaren gelitten. Das alte Schloſs, welches
noch höher als die Stadt liegt, muſs schwer zu neh¬
men seyn. Die heilige Mutter vom Felsen könnte es
also ziemlich gut vertheidigen, wenn ihre Kinder ver¬
ständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina
hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kom¬
mandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht
honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus
unten am Fuſse des Berges, welches aber eine starke
Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Maulesel¬
treiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirths¬
haus finden können, so wäre ich dem Herrn gar
nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern
sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und
ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich
schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wan¬

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[296/0322] Ort, welcher ehemahls unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabel¬ hafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung durch die Saracenen, so gut als möglich wieder zusammen gesetzt, scheint aber da¬ bey nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten, und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten von den Barbaren gelitten. Das alte Schloſs, welches noch höher als die Stadt liegt, muſs schwer zu neh¬ men seyn. Die heilige Mutter vom Felsen könnte es also ziemlich gut vertheidigen, wenn ihre Kinder ver¬ ständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kom¬ mandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus unten am Fuſse des Berges, welches aber eine starke Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Maulesel¬ treiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirths¬ haus finden können, so wäre ich dem Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wan¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/322>, abgerufen am 19.04.2024.