Ort, welcher ehemahls unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabel¬ hafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung durch die Saracenen, so gut als möglich wieder zusammen gesetzt, scheint aber da¬ bey nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten, und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten von den Barbaren gelitten. Das alte Schloss, welches noch höher als die Stadt liegt, muss schwer zu neh¬ men seyn. Die heilige Mutter vom Felsen könnte es also ziemlich gut vertheidigen, wenn ihre Kinder ver¬ ständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kom¬ mandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus unten am Fusse des Berges, welches aber eine starke Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Maulesel¬ treiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirths¬ haus finden können, so wäre ich dem Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wan¬
Ort, welcher ehemahls unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabel¬ hafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung durch die Saracenen, so gut als möglich wieder zusammen gesetzt, scheint aber da¬ bey nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten, und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten von den Barbaren gelitten. Das alte Schloſs, welches noch höher als die Stadt liegt, muſs schwer zu neh¬ men seyn. Die heilige Mutter vom Felsen könnte es also ziemlich gut vertheidigen, wenn ihre Kinder ver¬ ständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kom¬ mandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus unten am Fuſse des Berges, welches aber eine starke Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Maulesel¬ treiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirths¬ haus finden können, so wäre ich dem Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wan¬
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0322"n="296"/>
Ort, welcher ehemahls unten lag und nun auf einem<lb/>
hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste<lb/>
Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten<lb/>
Theater, einem der kühnsten Werke der Alten.<lb/>
Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabel¬<lb/>
hafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit<lb/>
weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst<lb/>
wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat<lb/>
es nach der Zerstörung durch die Saracenen, so gut<lb/>
als möglich wieder zusammen gesetzt, scheint aber da¬<lb/>
bey nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren<lb/>
zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten,<lb/>
und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das<lb/>
neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch<lb/>
hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten<lb/>
von den Barbaren gelitten. Das alte Schloſs, welches<lb/>
noch höher als die Stadt liegt, muſs schwer zu neh¬<lb/>
men seyn. Die heilige Mutter vom Felsen könnte es<lb/>
also ziemlich gut vertheidigen, wenn ihre Kinder ver¬<lb/>
ständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina<lb/>
hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kom¬<lb/>
mandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht<lb/>
honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus<lb/>
unten am Fuſse des Berges, welches aber eine starke<lb/>
Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Maulesel¬<lb/>
treiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirths¬<lb/>
haus finden können, so wäre ich dem Herrn gar<lb/>
nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern<lb/>
sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und<lb/>
ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich<lb/>
schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wan¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[296/0322]
Ort, welcher ehemahls unten lag und nun auf einem
hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste
Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten
Theater, einem der kühnsten Werke der Alten.
Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabel¬
hafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit
weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst
wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat
es nach der Zerstörung durch die Saracenen, so gut
als möglich wieder zusammen gesetzt, scheint aber da¬
bey nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren
zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten,
und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das
neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch
hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten
von den Barbaren gelitten. Das alte Schloſs, welches
noch höher als die Stadt liegt, muſs schwer zu neh¬
men seyn. Die heilige Mutter vom Felsen könnte es
also ziemlich gut vertheidigen, wenn ihre Kinder ver¬
ständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina
hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kom¬
mandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht
honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus
unten am Fuſse des Berges, welches aber eine starke
Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Maulesel¬
treiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirths¬
haus finden können, so wäre ich dem Herrn gar
nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern
sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und
ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich
schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wan¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/322>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.