die Antiphrase des Sinnes zu seyn, und Hof heisst oft nur ein Ort, wo man keine Höflichkeit mehr findet; so wie Gesetz oft der Gegensatz von Gerechtigkeit ist. Wehe dem Menschen, der zur Antichamber verdammt ist; es ist ein grosses Glück, wenn sein Geist nicht knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem ge¬ hörigen Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.
Eben komme ich aus dem Theater, wo man Grossmanns alte sechs Schüsseln gab. Du kennst die Gesellschaft. Sie arbeitete im Ganzen gar nicht übel. Das Stück selbst war beschnitten worden, und ich er¬ wartete nach der Gewohnheit eine förmliche Komba¬ busierung, fand aber bey genauer Vergleichung, dass man dem Verfasser eine Menge Leerheiten und Platt¬ heiten ausgemärzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn war. Verschiedene zu grelle Züge, die bey der ersten Erscheinung vor etwa fünf und zwanzig Jahren es viel¬ leicht noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es war auch mit der gewöhnlichen Dresdner Engbrüstig¬ keit manches weggelassen worden, was zur Ehre der liberalen Duldung besser geblieben wäre. Ich sehe nicht ein, warum man den Fürsten in einen König verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die eigen¬ mächtige Krönung eine so steife Gezwungenheit, dass es bey verschiedenen Scenen sehr auffallend war. Wenn man in Königsstädten die Könige zu Fürsten machen wollte, würde dadurch etwas gebessert? Sind nicht beyde Fehlern unterworfen? Fürchtete man hier zu treffen? Die Furcht war sehr unnöthig; und der Charakter des wirklich vortrefflichen Churfürsten
die Antiphrase des Sinnes zu seyn, und Hof heiſst oft nur ein Ort, wo man keine Höflichkeit mehr findet; so wie Gesetz oft der Gegensatz von Gerechtigkeit ist. Wehe dem Menschen, der zur Antichamber verdammt ist; es ist ein groſses Glück, wenn sein Geist nicht knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem ge¬ hörigen Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.
Eben komme ich aus dem Theater, wo man Groſsmanns alte sechs Schüsseln gab. Du kennst die Gesellschaft. Sie arbeitete im Ganzen gar nicht übel. Das Stück selbst war beschnitten worden, und ich er¬ wartete nach der Gewohnheit eine förmliche Komba¬ busierung, fand aber bey genauer Vergleichung, daſs man dem Verfasser eine Menge Leerheiten und Platt¬ heiten ausgemärzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn war. Verschiedene zu grelle Züge, die bey der ersten Erscheinung vor etwa fünf und zwanzig Jahren es viel¬ leicht noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es war auch mit der gewöhnlichen Dresdner Engbrüstig¬ keit manches weggelassen worden, was zur Ehre der liberalen Duldung besser geblieben wäre. Ich sehe nicht ein, warum man den Fürsten in einen König verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die eigen¬ mächtige Krönung eine so steife Gezwungenheit, daſs es bey verschiedenen Scenen sehr auffallend war. Wenn man in Königsstädten die Könige zu Fürsten machen wollte, würde dadurch etwas gebessert? Sind nicht beyde Fehlern unterworfen? Fürchtete man hier zu treffen? Die Furcht war sehr unnöthig; und der Charakter des wirklich vortrefflichen Churfürsten
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die Antiphrase des Sinnes zu seyn, und Hof heiſst oft
nur ein Ort, wo man keine Höflichkeit mehr findet;
so wie Gesetz oft der Gegensatz von Gerechtigkeit ist.
Wehe dem Menschen, der zur Antichamber verdammt
ist; es ist ein groſses Glück, wenn sein Geist nicht
knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr
als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem ge¬
hörigen Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.
Eben komme ich aus dem Theater, wo man
Groſsmanns alte sechs Schüsseln gab. Du kennst die
Gesellschaft. Sie arbeitete im Ganzen gar nicht übel.
Das Stück selbst war beschnitten worden, und ich er¬
wartete nach der Gewohnheit eine förmliche Komba¬
busierung, fand aber bey genauer Vergleichung, daſs
man dem Verfasser eine Menge Leerheiten und Platt¬
heiten ausgemärzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn
war. Verschiedene zu grelle Züge, die bey der ersten
Erscheinung vor etwa fünf und zwanzig Jahren es viel¬
leicht noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es
war auch mit der gewöhnlichen Dresdner Engbrüstig¬
keit manches weggelassen worden, was zur Ehre der
liberalen Duldung besser geblieben wäre. Ich sehe
nicht ein, warum man den Fürsten in einen König
verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die eigen¬
mächtige Krönung eine so steife Gezwungenheit, daſs
es bey verschiedenen Scenen sehr auffallend war.
Wenn man in Königsstädten die Könige zu Fürsten
machen wollte, würde dadurch etwas gebessert? Sind
nicht beyde Fehlern unterworfen? Fürchtete man
hier zu treffen? Die Furcht war sehr unnöthig; und
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/30>, abgerufen am 23.11.2024.
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