war er nicht zu Hause, sondern in der Stadt nach Le¬ bensmitteln. Als wir umkehrten, begegneten wir ihm in den Feigengärten, und gingen wieder mit ihm zu¬ rück nach Sankt Johannis. Er machte für einen Reli¬ giosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug. Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nö¬ thig um seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also, da sie allein nicht gehen wollte, mit dem jungen Esel von drey und zwanzig Stunden zu¬ sammen. Der kleine Novize des Lebens konnte na¬ türlich die grosse Tour nicht aushalten. Der Mönch mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster aus Syrakus, der drey Söhne erzogen und zur Armee und auf die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht recht mehr gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; vielleicht das gescheidteste, was seit langer Zeit ein Bischof von Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und schauerlich genug. Von den Gemälden in den ver¬ schiedenen Abtheilungen der Katakomben lässt sich wohl nicht viel sagen ; denn sie sind wahrscheinlich meistens neu. Aus einer griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können: das ist indessen kein Beweis, dass es andere nicht besser verstehen. Die Leute fabeln hier, dass diese Katakomhen bis nach Ka¬
war er nicht zu Hause, sondern in der Stadt nach Le¬ bensmitteln. Als wir umkehrten, begegneten wir ihm in den Feigengärten, und gingen wieder mit ihm zu¬ rück nach Sankt Johannis. Er machte für einen Reli¬ giosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug. Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nö¬ thig um seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also, da sie allein nicht gehen wollte, mit dem jungen Esel von drey und zwanzig Stunden zu¬ sammen. Der kleine Novize des Lebens konnte na¬ türlich die groſse Tour nicht aushalten. Der Mönch mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster aus Syrakus, der drey Söhne erzogen und zur Armee und auf die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht recht mehr gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; vielleicht das gescheidteste, was seit langer Zeit ein Bischof von Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und schauerlich genug. Von den Gemälden in den ver¬ schiedenen Abtheilungen der Katakomben läſst sich wohl nicht viel sagen ; denn sie sind wahrscheinlich meistens neu. Aus einer griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können: das ist indessen kein Beweis, daſs es andere nicht besser verstehen. Die Leute fabeln hier, daſs diese Katakomhen bis nach Ka¬
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[262/0288]
war er nicht zu Hause, sondern in der Stadt nach Le¬
bensmitteln. Als wir umkehrten, begegneten wir ihm
in den Feigengärten, und gingen wieder mit ihm zu¬
rück nach Sankt Johannis. Er machte für einen Reli¬
giosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug.
Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nö¬
thig um seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er
nahm sie also, da sie allein nicht gehen wollte, mit
dem jungen Esel von drey und zwanzig Stunden zu¬
sammen. Der kleine Novize des Lebens konnte na¬
türlich die groſse Tour nicht aushalten. Der Mönch
mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die
Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in
angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben.
So fanden wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein
ehrlicher Schuster aus Syrakus, der drey Söhne erzogen
und zur Armee und auf die See geschickt hat. Nach
dem Tode seiner Frau, da seine abnehmenden Augen
dem Ort und dem Draht nicht recht mehr gebieten
wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; vielleicht
das gescheidteste, was seit langer Zeit ein Bischof von
Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo noch
Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und
schauerlich genug. Von den Gemälden in den ver¬
schiedenen Abtheilungen der Katakomben läſst sich
wohl nicht viel sagen ; denn sie sind wahrscheinlich
meistens neu. Aus einer griechischen Inschrift habe
ich auch nichts machen können: das ist indessen kein
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/288>, abgerufen am 22.11.2024.
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