Eine halbe Stunde von Narni lässt man die Nera rechts und der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild genug, aber doch nicht mehr so graunvoll wie zwischen Spoleto und Terni. Das In¬ teramner Thal, das man hier bey Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf über¬ sieht, stand bey den Alten billig in grossem Ansehen, und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kul¬ tur ein sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In Otrikoli, einem alten schmu¬ tzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich ge¬ gen Abend ankam, lud man mich gleich vor dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich keine sonderlich gute Miene; aber ich hätte leicht Gefahr gelaufen, im Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden und den Weg zurück zu ma¬ chen, wo ich dann nicht so willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen theilnehmenden Erkundigungen Rede ab¬ zugewinnen suchte. Er war ein starker heisser Poli¬ tiker und, wie sehr natürlich, mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein Anse¬ hen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten Männer, die ich noch auf meiner Wanderung in Ita¬
Eine halbe Stunde von Narni läſst man die Nera rechts und der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild genug, aber doch nicht mehr so graunvoll wie zwischen Spoleto und Terni. Das In¬ teramner Thal, das man hier bey Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf über¬ sieht, stand bey den Alten billig in groſsem Ansehen, und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kul¬ tur ein sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In Otrikoli, einem alten schmu¬ tzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich ge¬ gen Abend ankam, lud man mich gleich vor dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich keine sonderlich gute Miene; aber ich hätte leicht Gefahr gelaufen, im Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden und den Weg zurück zu ma¬ chen, wo ich dann nicht so willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen theilnehmenden Erkundigungen Rede ab¬ zugewinnen suchte. Er war ein starker heiſser Poli¬ tiker und, wie sehr natürlich, mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein Anse¬ hen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten Männer, die ich noch auf meiner Wanderung in Ita¬
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Eine halbe Stunde von Narni läſst man die Nera
rechts und der Weg geht links auf der Anhöhe fort,
immer noch wild genug, aber doch nicht mehr so
graunvoll wie zwischen Spoleto und Terni. Das In¬
teramner Thal, das man hier bey Narni zuletzt in
seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf über¬
sieht, stand bey den Alten billig in groſsem Ansehen,
und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kul¬
tur ein sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus
und dem Apennin. In Otrikoli, einem alten schmu¬
tzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich ge¬
gen Abend ankam, lud man mich gleich vor dem
Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein
Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den
Leutchen an das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich
keine sonderlich gute Miene; aber ich hätte leicht
Gefahr gelaufen, im Städtchen selbst ein schlechteres
oder gar keins zu finden und den Weg zurück zu ma¬
chen, wo ich dann nicht so willkommen gewesen
wäre. Kaum hatte ich einige Minuten ziemlich
stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter
Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen
allgemeinen theilnehmenden Erkundigungen Rede ab¬
zugewinnen suchte. Er war ein starker heiſser Poli¬
tiker und, wie sehr natürlich, mit der Lage der Dinge
und vorzüglich mit den allerneuesten Veränderungen
nicht sonderlich zufrieden, und meinte weislich, die
Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein Anse¬
hen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und
doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten
Männer, die ich noch auf meiner Wanderung in Ita¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/178>, abgerufen am 29.11.2024.
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