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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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abginge, liess ich mir die Sache gefallen: denn ich
wollte noch gern diesen Abend in Mestre seyn, um
den folgenden Morgen zeitig nach Venedig überzuse¬
tzen. Sechs Liren war mir ein unbegreiflich niedri¬
ger Preis für einen vollen Wagen mit zwey guten
Pferden, den er mir von dem Wirthshause als mein
Fuhrwerk zeigte; so dass ich nicht wusste was ich den¬
ken sollte. Aber vor der Stadt hielt er an und packte
noch einen venetianischen Kaufmann und eine Tyro¬
lerin ein, die als Kammerjungfer ihrer Gräfin nach¬
reiste; und nun begriff ich freilich. Von Conegliano
aus ist der Weg schon sehr frequent und die Land¬
häuser werden häufiger und schöner; und von Treviso
ist es fast lauter schöner mit Villen besetzter Garten.
Die Tyrolerin sentimentalisierte darüber ununterbro¬
chen deutsch und italiänisch; der Italiäner war ein gar
artiger Kerl, und da kamen denn die Leutchen bald
in einen Ton allerliebster Zweydeutigkeiten, zu dem
die deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar
nicht geeignet ist: und doch kann man nicht sagen,
dass sie geradezu in Unanständigkeit ausgeartet wären.
Bloss der unreine Nasenton der Tyrolerin missfiel mir;
und da ich bey der zufälligen Lüftung des Halstuches
in der untern Gegend des Kinnbackens einige be¬
trächtliche Narben erblickte, war ich sehr froh, dass
ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die Ehren¬
stelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich er¬
hielt meinen Theil Witz von den Leutchen für meine
überstoische Laune und Taciturnität, und rettete mich
von dem Prädikat eines Gimpels vermuthlich nur
durch meine Unkunde in der italiänischen Sprache

abginge, lieſs ich mir die Sache gefallen: denn ich
wollte noch gern diesen Abend in Mestre seyn, um
den folgenden Morgen zeitig nach Venedig überzuse¬
tzen. Sechs Liren war mir ein unbegreiflich niedri¬
ger Preis für einen vollen Wagen mit zwey guten
Pferden, den er mir von dem Wirthshause als mein
Fuhrwerk zeigte; so daſs ich nicht wuſste was ich den¬
ken sollte. Aber vor der Stadt hielt er an und packte
noch einen venetianischen Kaufmann und eine Tyro¬
lerin ein, die als Kammerjungfer ihrer Gräfin nach¬
reiste; und nun begriff ich freilich. Von Conegliano
aus ist der Weg schon sehr frequent und die Land¬
häuser werden häufiger und schöner; und von Treviso
ist es fast lauter schöner mit Villen besetzter Garten.
Die Tyrolerin sentimentalisierte darüber ununterbro¬
chen deutsch und italiänisch; der Italiäner war ein gar
artiger Kerl, und da kamen denn die Leutchen bald
in einen Ton allerliebster Zweydeutigkeiten, zu dem
die deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar
nicht geeignet ist: und doch kann man nicht sagen,
daſs sie geradezu in Unanständigkeit ausgeartet wären.
Bloſs der unreine Nasenton der Tyrolerin miſsfiel mir;
und da ich bey der zufälligen Lüftung des Halstuches
in der untern Gegend des Kinnbackens einige be¬
trächtliche Narben erblickte, war ich sehr froh, daſs
ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die Ehren¬
stelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich er¬
hielt meinen Theil Witz von den Leutchen für meine
überstoische Laune und Taciturnität, und rettete mich
von dem Prädikat eines Gimpels vermuthlich nur
durch meine Unkunde in der italiänischen Sprache

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[93/0119] abginge, lieſs ich mir die Sache gefallen: denn ich wollte noch gern diesen Abend in Mestre seyn, um den folgenden Morgen zeitig nach Venedig überzuse¬ tzen. Sechs Liren war mir ein unbegreiflich niedri¬ ger Preis für einen vollen Wagen mit zwey guten Pferden, den er mir von dem Wirthshause als mein Fuhrwerk zeigte; so daſs ich nicht wuſste was ich den¬ ken sollte. Aber vor der Stadt hielt er an und packte noch einen venetianischen Kaufmann und eine Tyro¬ lerin ein, die als Kammerjungfer ihrer Gräfin nach¬ reiste; und nun begriff ich freilich. Von Conegliano aus ist der Weg schon sehr frequent und die Land¬ häuser werden häufiger und schöner; und von Treviso ist es fast lauter schöner mit Villen besetzter Garten. Die Tyrolerin sentimentalisierte darüber ununterbro¬ chen deutsch und italiänisch; der Italiäner war ein gar artiger Kerl, und da kamen denn die Leutchen bald in einen Ton allerliebster Zweydeutigkeiten, zu dem die deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar nicht geeignet ist: und doch kann man nicht sagen, daſs sie geradezu in Unanständigkeit ausgeartet wären. Bloſs der unreine Nasenton der Tyrolerin miſsfiel mir; und da ich bey der zufälligen Lüftung des Halstuches in der untern Gegend des Kinnbackens einige be¬ trächtliche Narben erblickte, war ich sehr froh, daſs ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die Ehren¬ stelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich er¬ hielt meinen Theil Witz von den Leutchen für meine überstoische Laune und Taciturnität, und rettete mich von dem Prädikat eines Gimpels vermuthlich nur durch meine Unkunde in der italiänischen Sprache

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/119>, abgerufen am 26.11.2024.