ist er nicht mehr der Liebling seiner Freunde und der Grazien, der die Freude bey den Fittichen zu hal¬ ten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie seg¬ nen. Keine seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.
Nun ging ich vergnügt und froh die schöne ma¬ gische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter wo der Nachricht zufolge ehemahls Ciceros Formiä stand, bis an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mich däuchte ich sähe die Schatten des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus, und liess sich von dem Hauptmann, dem er das Leben gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philip¬ piken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in Ciceros Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich ganz rein als selbständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht dabey: als er gegen Katilina donnerte, stand seine Exi¬ stenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich Hass und Partheysucht. Im Glück prahlte er, im Un¬ glück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben aus¬ gesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt, deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht,
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ist er nicht mehr der Liebling seiner Freunde und der Grazien, der die Freude bey den Fittichen zu hal¬ ten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie seg¬ nen. Keine seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.
Nun ging ich vergnügt und froh die schöne ma¬ gische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter wo der Nachricht zufolge ehemahls Ciceros Formiä stand, bis an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mich däuchte ich sähe die Schatten des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus, und lieſs sich von dem Hauptmann, dem er das Leben gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philip¬ piken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in Ciceros Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich ganz rein als selbständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht dabey: als er gegen Katilina donnerte, stand seine Exi¬ stenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich Haſs und Partheysucht. Im Glück prahlte er, im Un¬ glück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben aus¬ gesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt, deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht,
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ist er nicht mehr der Liebling seiner Freunde und
der Grazien, der die Freude bey den Fittichen zu hal¬
ten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine
Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie seg¬
nen. Keine seiner Schwachheiten werde gedacht; er
machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.
Nun ging ich vergnügt und froh die schöne ma¬
gische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter wo der
Nachricht zufolge ehemahls Ciceros Formiä stand, bis
an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mich
däuchte ich sähe die Schatten des Redners und des
Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen.
Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus,
und lieſs sich von dem Hauptmann, dem er das Leben
gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philip¬
piken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in
Ciceros Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich
ganz rein als selbständiger Mann gehandelt hat. Als
er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht
von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht
dabey: als er gegen Katilina donnerte, stand seine Exi¬
stenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl
als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er
gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich
Haſs und Partheysucht. Im Glück prahlte er, im Un¬
glück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben
oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im
Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod
hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben aus¬
gesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt,
deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht,
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/203>, abgerufen am 27.12.2024.
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