nen der beiden Abtheilungen hätte herrschen müssen, oder wenn die Schädlichkeiten ungleich sind, so sind selbe in grösserem Masse an der zweiten geburtshilflichen Klinik vor- handen; es müsste daher die grössere Sterblichkeit an der zweiten geburtshilflichen Klinik herrschen, in der Wirklich- keit herrschte aber auch unter den Neugebornen die grössere Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik.
Abgesehen davon, dass viele aetiologische Momente, welche bei der Mutter als Kindbettfieber erzeugend angeführt werden, bei den Neugebornen unmöglich Geltung haben können. Die Neugebornen haben sich wahrscheinlich vor der ersten geburtshilflichen Klinik nicht gefürchtet, weil ihnen der üble Ruf derselben unbekannt war, auch das verletzte Schamgefühl, dass sie in Gegenwart der Männer geboren wurden, dürfte bei den Neugebornen weniger geschadet ha- ben, etc. etc.
Man definirte das Kindbettfieber als eine den Wöchnerin- nen eigenthümlich und ausschliesslich zukommende Krank- heit, zu deren Entstehung zwei Dinge erfordert werden, näm- lich das Puerperium und ein Kindbettfieber erzeugendes Mo- ment, so zwar dass dieselbe Ursache auf im Wochenbette be- findliche Individuen einwirkend, das Kindbettfieber hervor- rufe, dieselbe Ursache aber andere, nicht im Puerperalzustande befindliche Individuen treffend, kein Puerperalfieber, sondern eine andere Krankheit erzeuge. Wir wollen durch Beispiele die Sache klarer machen. Man glaubte, dass die Wöchnerin- nen an der ersten geburtshilflichen Klinik, weil sie wussten, welch zahlreiches Contingent an Todten die Anstalt alljährlich liefere, aus Todesfurcht das Kindbettfieber bekommen, das disponirende Moment bei ihnen war das Wochenbett, und das Kindbettfieber erzeugende Moment war die Todesfurcht. Es ist anzunehmen, dass schon mancher Soldat in einer mörderi- schen Schlacht von Todesfurcht gequält wurde, allein Solda- ten bekommen aus Todesfurcht kein Kindbettfieber, sondern
nen der beiden Abtheilungen hätte herrschen müssen, oder wenn die Schädlichkeiten ungleich sind, so sind selbe in grösserem Masse an der zweiten geburtshilflichen Klinik vor- handen; es müsste daher die grössere Sterblichkeit an der zweiten geburtshilflichen Klinik herrschen, in der Wirklich- keit herrschte aber auch unter den Neugebornen die grössere Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik.
Abgesehen davon, dass viele aetiologische Momente, welche bei der Mutter als Kindbettfieber erzeugend angeführt werden, bei den Neugebornen unmöglich Geltung haben können. Die Neugebornen haben sich wahrscheinlich vor der ersten geburtshilflichen Klinik nicht gefürchtet, weil ihnen der üble Ruf derselben unbekannt war, auch das verletzte Schamgefühl, dass sie in Gegenwart der Männer geboren wurden, dürfte bei den Neugebornen weniger geschadet ha- ben, etc. etc.
Man definirte das Kindbettfieber als eine den Wöchnerin- nen eigenthümlich und ausschliesslich zukommende Krank- heit, zu deren Entstehung zwei Dinge erfordert werden, näm- lich das Puerperium und ein Kindbettfieber erzeugendes Mo- ment, so zwar dass dieselbe Ursache auf im Wochenbette be- findliche Individuen einwirkend, das Kindbettfieber hervor- rufe, dieselbe Ursache aber andere, nicht im Puerperalzustande befindliche Individuen treffend, kein Puerperalfieber, sondern eine andere Krankheit erzeuge. Wir wollen durch Beispiele die Sache klarer machen. Man glaubte, dass die Wöchnerin- nen an der ersten geburtshilflichen Klinik, weil sie wussten, welch zahlreiches Contingent an Todten die Anstalt alljährlich liefere, aus Todesfurcht das Kindbettfieber bekommen, das disponirende Moment bei ihnen war das Wochenbett, und das Kindbettfieber erzeugende Moment war die Todesfurcht. Es ist anzunehmen, dass schon mancher Soldat in einer mörderi- schen Schlacht von Todesfurcht gequält wurde, allein Solda- ten bekommen aus Todesfurcht kein Kindbettfieber, sondern
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nen der beiden Abtheilungen hätte herrschen müssen, oder
wenn die Schädlichkeiten ungleich sind, so sind selbe in
grösserem Masse an der zweiten geburtshilflichen Klinik vor-
handen; es müsste daher die grössere Sterblichkeit an der
zweiten geburtshilflichen Klinik herrschen, in der Wirklich-
keit herrschte aber auch unter den Neugebornen die grössere
Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik.
Abgesehen davon, dass viele aetiologische Momente,
welche bei der Mutter als Kindbettfieber erzeugend angeführt
werden, bei den Neugebornen unmöglich Geltung haben
können. Die Neugebornen haben sich wahrscheinlich vor der
ersten geburtshilflichen Klinik nicht gefürchtet, weil ihnen
der üble Ruf derselben unbekannt war, auch das verletzte
Schamgefühl, dass sie in Gegenwart der Männer geboren
wurden, dürfte bei den Neugebornen weniger geschadet ha-
ben, etc. etc.
Man definirte das Kindbettfieber als eine den Wöchnerin-
nen eigenthümlich und ausschliesslich zukommende Krank-
heit, zu deren Entstehung zwei Dinge erfordert werden, näm-
lich das Puerperium und ein Kindbettfieber erzeugendes Mo-
ment, so zwar dass dieselbe Ursache auf im Wochenbette be-
findliche Individuen einwirkend, das Kindbettfieber hervor-
rufe, dieselbe Ursache aber andere, nicht im Puerperalzustande
befindliche Individuen treffend, kein Puerperalfieber, sondern
eine andere Krankheit erzeuge. Wir wollen durch Beispiele
die Sache klarer machen. Man glaubte, dass die Wöchnerin-
nen an der ersten geburtshilflichen Klinik, weil sie wussten,
welch zahlreiches Contingent an Todten die Anstalt alljährlich
liefere, aus Todesfurcht das Kindbettfieber bekommen, das
disponirende Moment bei ihnen war das Wochenbett, und das
Kindbettfieber erzeugende Moment war die Todesfurcht. Es
ist anzunehmen, dass schon mancher Soldat in einer mörderi-
schen Schlacht von Todesfurcht gequält wurde, allein Solda-
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/54>, abgerufen am 22.11.2024.
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