entbehrenden, auf Vermuthungen basirten Hypothese der ca- daverösen Infection flüchten zu müssen.
Wir können daher keine zur Begründung der Hypothese der cadaverösen Infection vorgebrachte These nach den im Wiener Gebärhause gemachten Beobachtungen in ihrem gan- zen Umfange bestätigen, wir können die Beschäftigungen am Cadaver durchaus nicht als eine vorzügliche Ursache von Puerperalfieber-Epidemien in Gebärhäusern beschuldigen; wir würden es aber für die grösste Vermessenheit halten, mit Händen, die selbst nur nach der emsigsten Reinigung einen Leichengeruch bemerken lassen, eine Untersuchung oder Ope- ration bei einer Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin zu erlauben oder selbst vorzunehmen.
Hierauf haben wir Folgendes zu erwiedern: Um aus un- serm Thema: "muthmasslich kommen in allen Gebärhäusern, in welchen Hebammen unterrichtet werden, und wo eine ca- daveröse Infection nicht leicht möglich ist, weniger Sterbe- fälle vor als in jenen, in welchen Aerzte unterrichtet werden." die Frage heraus zu lesen: ob denn wirklich die ausgedehn- teste Gebäranstalt der Welt an einer ganz ungewöhnlichen Sterblichkeit leide? Dazu gehört ein Scharfsinn, wie er nur Carl Braun eigen zu sein scheint. Wenn Carl Braun dafür in die Schranken trat, dass das Wiener Gebärhaus an keiner ganz ungewöhnlichen Sterblichkeit leide, so hat er an mir einen Kampfgenossen, wir selbst haben mit Entrüstung die Virchow-Veit'sche Beschuldigung einer erschreckenden Sterblichkeit des Wiener Gebärhauses zurückgewiesen; die Sterblichkeit des Wiener Gebärhauses ist nicht grösser als in allen Gebärhäusern, in welchen ähnliche Verhältnisse herr- schen, und wenn in Gebärhäusern, in welchen ähnliche Ver- hältnisse herrschen, weniger Wöchnerinnen sterben als im Wiener Gebärhause, so liegt der Grund darin, dass solche Gebärhäuser wegen grosser Sterblichkeit oft Monate lang ge- schlossen sind, was in Wien nie geschah, und darin, dass jede Wöchnerin, sobald sie verdächtig wird, in ein Krankenhaus
entbehrenden, auf Vermuthungen basirten Hypothese der ca- daverösen Infection flüchten zu müssen.
Wir können daher keine zur Begründung der Hypothese der cadaverösen Infection vorgebrachte These nach den im Wiener Gebärhause gemachten Beobachtungen in ihrem gan- zen Umfange bestätigen, wir können die Beschäftigungen am Cadaver durchaus nicht als eine vorzügliche Ursache von Puerperalfieber-Epidemien in Gebärhäusern beschuldigen; wir würden es aber für die grösste Vermessenheit halten, mit Händen, die selbst nur nach der emsigsten Reinigung einen Leichengeruch bemerken lassen, eine Untersuchung oder Ope- ration bei einer Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin zu erlauben oder selbst vorzunehmen.
Hierauf haben wir Folgendes zu erwiedern: Um aus un- serm Thema: »muthmasslich kommen in allen Gebärhäusern, in welchen Hebammen unterrichtet werden, und wo eine ca- daveröse Infection nicht leicht möglich ist, weniger Sterbe- fälle vor als in jenen, in welchen Aerzte unterrichtet werden.« die Frage heraus zu lesen: ob denn wirklich die ausgedehn- teste Gebäranstalt der Welt an einer ganz ungewöhnlichen Sterblichkeit leide? Dazu gehört ein Scharfsinn, wie er nur Carl Braun eigen zu sein scheint. Wenn Carl Braun dafür in die Schranken trat, dass das Wiener Gebärhaus an keiner ganz ungewöhnlichen Sterblichkeit leide, so hat er an mir einen Kampfgenossen, wir selbst haben mit Entrüstung die Virchow-Veit’sche Beschuldigung einer erschreckenden Sterblichkeit des Wiener Gebärhauses zurückgewiesen; die Sterblichkeit des Wiener Gebärhauses ist nicht grösser als in allen Gebärhäusern, in welchen ähnliche Verhältnisse herr- schen, und wenn in Gebärhäusern, in welchen ähnliche Ver- hältnisse herrschen, weniger Wöchnerinnen sterben als im Wiener Gebärhause, so liegt der Grund darin, dass solche Gebärhäuser wegen grosser Sterblichkeit oft Monate lang ge- schlossen sind, was in Wien nie geschah, und darin, dass jede Wöchnerin, sobald sie verdächtig wird, in ein Krankenhaus
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[506/0518]
entbehrenden, auf Vermuthungen basirten Hypothese der ca-
daverösen Infection flüchten zu müssen.
Wir können daher keine zur Begründung der Hypothese
der cadaverösen Infection vorgebrachte These nach den im
Wiener Gebärhause gemachten Beobachtungen in ihrem gan-
zen Umfange bestätigen, wir können die Beschäftigungen am
Cadaver durchaus nicht als eine vorzügliche Ursache von
Puerperalfieber-Epidemien in Gebärhäusern beschuldigen; wir
würden es aber für die grösste Vermessenheit halten, mit
Händen, die selbst nur nach der emsigsten Reinigung einen
Leichengeruch bemerken lassen, eine Untersuchung oder Ope-
ration bei einer Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin
zu erlauben oder selbst vorzunehmen.
Hierauf haben wir Folgendes zu erwiedern: Um aus un-
serm Thema: »muthmasslich kommen in allen Gebärhäusern,
in welchen Hebammen unterrichtet werden, und wo eine ca-
daveröse Infection nicht leicht möglich ist, weniger Sterbe-
fälle vor als in jenen, in welchen Aerzte unterrichtet werden.«
die Frage heraus zu lesen: ob denn wirklich die ausgedehn-
teste Gebäranstalt der Welt an einer ganz ungewöhnlichen
Sterblichkeit leide? Dazu gehört ein Scharfsinn, wie er nur
Carl Braun eigen zu sein scheint. Wenn Carl Braun dafür in
die Schranken trat, dass das Wiener Gebärhaus an keiner
ganz ungewöhnlichen Sterblichkeit leide, so hat er an mir
einen Kampfgenossen, wir selbst haben mit Entrüstung die
Virchow-Veit’sche Beschuldigung einer erschreckenden
Sterblichkeit des Wiener Gebärhauses zurückgewiesen; die
Sterblichkeit des Wiener Gebärhauses ist nicht grösser als
in allen Gebärhäusern, in welchen ähnliche Verhältnisse herr-
schen, und wenn in Gebärhäusern, in welchen ähnliche Ver-
hältnisse herrschen, weniger Wöchnerinnen sterben als im
Wiener Gebärhause, so liegt der Grund darin, dass solche
Gebärhäuser wegen grosser Sterblichkeit oft Monate lang ge-
schlossen sind, was in Wien nie geschah, und darin, dass jede
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/518>, abgerufen am 22.11.2024.
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