"Nachdem im Monate Januar und Februar längere Zeit keine erheblichen Erkrankungen mehr unter den Wöchnerin- nen der Gebäranstalt aufgetaucht, erkrankten plötzlich wieder an einem und demselben Tage zwei Wöchnerinnen unter den Erscheinungen des epidemischen Puerperalfiebers.
"Beide hatten an einem und demselben Tage und fast zur selben Stunde normal geboren; bei Beiden war eben so wenig wie im ganzen Hause irgend eine für die Erkrankung bekannte Ursache zu gewinnen.
"Bei dieser so auffallenden Erscheinung gelang es endlich durch fortgesetzte Nachforschung zu erfahren, dass ein Assi- stent ohne Wissen des Vorstandes der Anstalt die Oeffnung einer Kindesleiche, zwar im entfernten Leichenzimmer des Hauses, vorgenommen, auch sich hierauf nach Aussage, sorg- fältig und mit Chlorwasser gewaschen, unmittelbar nachher aber nur diese zwei Gebärenden allein explorirt habe.
"Da die beiden Erkrankungen ungewöhnlich schnell nach der Geburt, und von allen Wöchnerinnen des Hauses nur diese zwei erkrankt sind, gestand der Schuldige die Thatsache, zu- gleich mit dem Anhange, dass von ihm das Gleiche im Decem- ber, am Tage des ersten Erscheinens des Puerperalfiebers in der Gebäranstalt vollzogen worden sei. Auch damals sind nur die von ihm nach einer Leichenöffnung Explorirten allein zu- erst erkrankt.
"Den im December und Mitte Februar (durch eadaveröse Infection?) erzeugten Erkrankungen folgten jedesmal bald auch mehrere leichtere oder schwerere Puerperalfieberfälle. Sie verbreiteten sich schnell durch weitere Räume des Hauses. Es begleitete sie immer ein Kränkeln mehrerer Wöchnerinnen, und es bedurfte eines Zeitraumes von 16 bis 21 Tagen, bis endlich wieder glücklichere Verhältnisse zu sehen waren.
"Diesen Erlebnissen dürfte noch anzureihen sein, dass die geburtshilfliche Universitätsklinik der Gebäranstalt Münchens täglich Morgens von 10--11 Uhr gehalten wird; dass in diese eine grosse Anzahl von Practicirenden unmittelbar von den
»Nachdem im Monate Januar und Februar längere Zeit keine erheblichen Erkrankungen mehr unter den Wöchnerin- nen der Gebäranstalt aufgetaucht, erkrankten plötzlich wieder an einem und demselben Tage zwei Wöchnerinnen unter den Erscheinungen des epidemischen Puerperalfiebers.
»Beide hatten an einem und demselben Tage und fast zur selben Stunde normal geboren; bei Beiden war eben so wenig wie im ganzen Hause irgend eine für die Erkrankung bekannte Ursache zu gewinnen.
»Bei dieser so auffallenden Erscheinung gelang es endlich durch fortgesetzte Nachforschung zu erfahren, dass ein Assi- stent ohne Wissen des Vorstandes der Anstalt die Oeffnung einer Kindesleiche, zwar im entfernten Leichenzimmer des Hauses, vorgenommen, auch sich hierauf nach Aussage, sorg- fältig und mit Chlorwasser gewaschen, unmittelbar nachher aber nur diese zwei Gebärenden allein explorirt habe.
»Da die beiden Erkrankungen ungewöhnlich schnell nach der Geburt, und von allen Wöchnerinnen des Hauses nur diese zwei erkrankt sind, gestand der Schuldige die Thatsache, zu- gleich mit dem Anhange, dass von ihm das Gleiche im Decem- ber, am Tage des ersten Erscheinens des Puerperalfiebers in der Gebäranstalt vollzogen worden sei. Auch damals sind nur die von ihm nach einer Leichenöffnung Explorirten allein zu- erst erkrankt.
„Den im December und Mitte Februar (durch eadaveröse Infection?) erzeugten Erkrankungen folgten jedesmal bald auch mehrere leichtere oder schwerere Puerperalfieberfälle. Sie verbreiteten sich schnell durch weitere Räume des Hauses. Es begleitete sie immer ein Kränkeln mehrerer Wöchnerinnen, und es bedurfte eines Zeitraumes von 16 bis 21 Tagen, bis endlich wieder glücklichere Verhältnisse zu sehen waren.
»Diesen Erlebnissen dürfte noch anzureihen sein, dass die geburtshilfliche Universitätsklinik der Gebäranstalt Münchens täglich Morgens von 10—11 Uhr gehalten wird; dass in diese eine grosse Anzahl von Practicirenden unmittelbar von den
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»Nachdem im Monate Januar und Februar längere Zeit
keine erheblichen Erkrankungen mehr unter den Wöchnerin-
nen der Gebäranstalt aufgetaucht, erkrankten plötzlich wieder
an einem und demselben Tage zwei Wöchnerinnen unter den
Erscheinungen des epidemischen Puerperalfiebers.
»Beide hatten an einem und demselben Tage und fast zur
selben Stunde normal geboren; bei Beiden war eben so wenig
wie im ganzen Hause irgend eine für die Erkrankung bekannte
Ursache zu gewinnen.
»Bei dieser so auffallenden Erscheinung gelang es endlich
durch fortgesetzte Nachforschung zu erfahren, dass ein Assi-
stent ohne Wissen des Vorstandes der Anstalt die Oeffnung
einer Kindesleiche, zwar im entfernten Leichenzimmer des
Hauses, vorgenommen, auch sich hierauf nach Aussage, sorg-
fältig und mit Chlorwasser gewaschen, unmittelbar nachher
aber nur diese zwei Gebärenden allein explorirt habe.
»Da die beiden Erkrankungen ungewöhnlich schnell nach
der Geburt, und von allen Wöchnerinnen des Hauses nur diese
zwei erkrankt sind, gestand der Schuldige die Thatsache, zu-
gleich mit dem Anhange, dass von ihm das Gleiche im Decem-
ber, am Tage des ersten Erscheinens des Puerperalfiebers in
der Gebäranstalt vollzogen worden sei. Auch damals sind nur
die von ihm nach einer Leichenöffnung Explorirten allein zu-
erst erkrankt.
„Den im December und Mitte Februar (durch eadaveröse
Infection?) erzeugten Erkrankungen folgten jedesmal bald
auch mehrere leichtere oder schwerere Puerperalfieberfälle.
Sie verbreiteten sich schnell durch weitere Räume des Hauses.
Es begleitete sie immer ein Kränkeln mehrerer Wöchnerinnen,
und es bedurfte eines Zeitraumes von 16 bis 21 Tagen, bis
endlich wieder glücklichere Verhältnisse zu sehen waren.
»Diesen Erlebnissen dürfte noch anzureihen sein, dass die
geburtshilfliche Universitätsklinik der Gebäranstalt Münchens
täglich Morgens von 10—11 Uhr gehalten wird; dass in diese
eine grosse Anzahl von Practicirenden unmittelbar von den
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/494>, abgerufen am 22.11.2024.
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