während der Anwesenheit des Priesters noch ziemlich wohl war, und desshalb mit den heiligen Sterbesacramenten nicht versehen wurde, war nach Verlauf von einigen Stunden schon so übel, dass der Priester neuerdings geholt werden musste. Man kann sich denken, welchen Eindruck das öfters im Tage hörbare verhängnissvolle Glöckchen des Priesters auf die an- wesenden Wöchnerinnen hervorbrachte. Mir selbst war es unheimlich zu Muthe, wenn ich das Glöckchen an meiner Thüre vorübereilen hörte; ein Seufzer entwand sich meiner Brust für das Opfer, welches schon wieder einer unbekannten Ursache fällt. Dieses Glöckchen war eine peinliche Mahnung, dieser unbekannten Ursache nach allen Kräften nachzuspüren. Auch in diesem Unterschiede der Verhältnisse der beiden Ab- theilungen fand man die Erklärung der Mortalitätsverschie- denheit.
Ich appellirte während meiner ersten Dienstzeit an das Humanitätsgefühl der Diener Gottes und erreichte es ohne Anstand, dass die Priester künftighin auf einem Umwege, ohne Glockengeläute, ohne ein anderes Zimmer zu berühren, sich unmittelbar in das Krankenzimmer begaben, so dass ausser den Anwesenden des Krankenzimmers Niemand die Gegen- wart des Priesters inne wurde. Die Verhältnisse der beiden Abtheilungen waren dadurch in diesem Punkte zwar gleich gemacht, aber die Mortalitätsdifferenz blieb.
Man glaubte den Grund der grossen Sterblichkeit darin zu finden, dass es lauter ledige, der trostlosesten Bevölke- rung entnommene Mädchen seien, welche während ihrer Schwangerschaft durch schwere Arbeit ihr Brot verdienen, dem Elende und Noth preisgegeben und unter dem Einflusse deprimirender Gemüthsaffecte leben, vielleicht Abortivmittel gebraucht haben, etc. etc. Wenn das die Ursache wäre, so müsste die Sterblichkeit an der zweiten Abtheilung eben so gross sein, indem dort gleichartige Individuen aufgenommen werden.
Man hat den Unterschied der grösseren Sterblichkeit an
während der Anwesenheit des Priesters noch ziemlich wohl war, und desshalb mit den heiligen Sterbesacramenten nicht versehen wurde, war nach Verlauf von einigen Stunden schon so übel, dass der Priester neuerdings geholt werden musste. Man kann sich denken, welchen Eindruck das öfters im Tage hörbare verhängnissvolle Glöckchen des Priesters auf die an- wesenden Wöchnerinnen hervorbrachte. Mir selbst war es unheimlich zu Muthe, wenn ich das Glöckchen an meiner Thüre vorübereilen hörte; ein Seufzer entwand sich meiner Brust für das Opfer, welches schon wieder einer unbekannten Ursache fällt. Dieses Glöckchen war eine peinliche Mahnung, dieser unbekannten Ursache nach allen Kräften nachzuspüren. Auch in diesem Unterschiede der Verhältnisse der beiden Ab- theilungen fand man die Erklärung der Mortalitätsverschie- denheit.
Ich appellirte während meiner ersten Dienstzeit an das Humanitätsgefühl der Diener Gottes und erreichte es ohne Anstand, dass die Priester künftighin auf einem Umwege, ohne Glockengeläute, ohne ein anderes Zimmer zu berühren, sich unmittelbar in das Krankenzimmer begaben, so dass ausser den Anwesenden des Krankenzimmers Niemand die Gegen- wart des Priesters inne wurde. Die Verhältnisse der beiden Abtheilungen waren dadurch in diesem Punkte zwar gleich gemacht, aber die Mortalitätsdifferenz blieb.
Man glaubte den Grund der grossen Sterblichkeit darin zu finden, dass es lauter ledige, der trostlosesten Bevölke- rung entnommene Mädchen seien, welche während ihrer Schwangerschaft durch schwere Arbeit ihr Brot verdienen, dem Elende und Noth preisgegeben und unter dem Einflusse deprimirender Gemüthsaffecte leben, vielleicht Abortivmittel gebraucht haben, etc. etc. Wenn das die Ursache wäre, so müsste die Sterblichkeit an der zweiten Abtheilung eben so gross sein, indem dort gleichartige Individuen aufgenommen werden.
Man hat den Unterschied der grösseren Sterblichkeit an
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während der Anwesenheit des Priesters noch ziemlich wohl
war, und desshalb mit den heiligen Sterbesacramenten nicht
versehen wurde, war nach Verlauf von einigen Stunden schon
so übel, dass der Priester neuerdings geholt werden musste.
Man kann sich denken, welchen Eindruck das öfters im Tage
hörbare verhängnissvolle Glöckchen des Priesters auf die an-
wesenden Wöchnerinnen hervorbrachte. Mir selbst war es
unheimlich zu Muthe, wenn ich das Glöckchen an meiner
Thüre vorübereilen hörte; ein Seufzer entwand sich meiner
Brust für das Opfer, welches schon wieder einer unbekannten
Ursache fällt. Dieses Glöckchen war eine peinliche Mahnung,
dieser unbekannten Ursache nach allen Kräften nachzuspüren.
Auch in diesem Unterschiede der Verhältnisse der beiden Ab-
theilungen fand man die Erklärung der Mortalitätsverschie-
denheit.
Ich appellirte während meiner ersten Dienstzeit an das
Humanitätsgefühl der Diener Gottes und erreichte es ohne
Anstand, dass die Priester künftighin auf einem Umwege, ohne
Glockengeläute, ohne ein anderes Zimmer zu berühren, sich
unmittelbar in das Krankenzimmer begaben, so dass ausser
den Anwesenden des Krankenzimmers Niemand die Gegen-
wart des Priesters inne wurde. Die Verhältnisse der beiden
Abtheilungen waren dadurch in diesem Punkte zwar gleich
gemacht, aber die Mortalitätsdifferenz blieb.
Man glaubte den Grund der grossen Sterblichkeit darin
zu finden, dass es lauter ledige, der trostlosesten Bevölke-
rung entnommene Mädchen seien, welche während ihrer
Schwangerschaft durch schwere Arbeit ihr Brot verdienen,
dem Elende und Noth preisgegeben und unter dem Einflusse
deprimirender Gemüthsaffecte leben, vielleicht Abortivmittel
gebraucht haben, etc. etc. Wenn das die Ursache wäre, so
müsste die Sterblichkeit an der zweiten Abtheilung eben so
gross sein, indem dort gleichartige Individuen aufgenommen
werden.
Man hat den Unterschied der grösseren Sterblichkeit an
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/46>, abgerufen am 24.11.2024.
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