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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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gend um ihre Wiederentlassung baten, welche auf die zweite
Abtheilung zur Aufnahme gehen wollten, und wegen Un-
kenntniss des Locals auf die erste Abtheilung geriethen, wel-
ches ihnen die Anwesenheit vieler Männer klar machte. Wöch-
nerinnen mit unzählbaren Pulsschlägen, meteoristisch aufge-
triebenem Bauche, trockener Zunge, d. h. am Puerperalfieber
schwer erkrankte, betheuerten wenige Stunden vor dem Tode,
vollkommen gesund zu sein, um nur nicht ärztlich behandelt
zu werden, weil sie wussten, dass ärztliche Behandlung der
Vorläufer des Todes sei. Trotz dem konnte ich mich nicht
überzeugen, dass die Furcht die Ursache der grösseren Sterb-
lichkeit an der ersten Abtheilung sei, weil ich als Arzt nicht
einsah, wie die Furcht, ein psychischer Zustand, solch mate-
rielle Veränderungen hervorbringen könne, wie das Kindbett-
fieber ist. Nebst dem musste ja nothwendiger Weise eine län-
gere Zeit, eine grössere Sterblichkeit vorausgegangen sein,
bevor es unter Leuten, denen die Gebärhausrapporte nicht
zur Disposition stehen, bekannt wurde, dass an einer Abthei-
lung mehr als an der andern sterben. Durch die Furcht wird
der Beginn der Sterblichkeit nicht erklärt.

Selbst die religiösen Gebräuche sind einer Beschuldigung
nicht entgangen. Die Capelle des Krankenhauses hatte eine
derartige Lage, dass der von dort kommende, die Sterbesa-
cramente spendende Priester in das Krankenzimmer der zwei-
ten geburtshilflichen Klinik gelangen konnte, ohne die übri-
gen Wöchnerinnenzimmer zu berühren, während er an der
ersten geburtshilflichen Klinik fünf Zimmer passiren musste,
weil das Krankenzimmer der ersten Abtheilung in der Rich-
tung zur Capelle das sechste war. Die Priester pflegten im
Ornate unter Glockengeläute eines vorausgehenden Kirchen-
dieners, wie der katholische Ritus es mit sich bringt, sich zu
den Kranken zu begeben, um sie mit den heiligen Sterbe-
sacramenten zu versehen. Man trachtete zwar, dass diess
durch 24 Stunden nur einmal geschehe, aber 24 Stunden sind
für das Kindbettfieber eine sehr lange Zeit, und manche, die

Semmelweis, Kindbettfieber. 3

gend um ihre Wiederentlassung baten, welche auf die zweite
Abtheilung zur Aufnahme gehen wollten, und wegen Un-
kenntniss des Locals auf die erste Abtheilung geriethen, wel-
ches ihnen die Anwesenheit vieler Männer klar machte. Wöch-
nerinnen mit unzählbaren Pulsschlägen, meteoristisch aufge-
triebenem Bauche, trockener Zunge, d. h. am Puerperalfieber
schwer erkrankte, betheuerten wenige Stunden vor dem Tode,
vollkommen gesund zu sein, um nur nicht ärztlich behandelt
zu werden, weil sie wussten, dass ärztliche Behandlung der
Vorläufer des Todes sei. Trotz dem konnte ich mich nicht
überzeugen, dass die Furcht die Ursache der grösseren Sterb-
lichkeit an der ersten Abtheilung sei, weil ich als Arzt nicht
einsah, wie die Furcht, ein psychischer Zustand, solch mate-
rielle Veränderungen hervorbringen könne, wie das Kindbett-
fieber ist. Nebst dem musste ja nothwendiger Weise eine län-
gere Zeit, eine grössere Sterblichkeit vorausgegangen sein,
bevor es unter Leuten, denen die Gebärhausrapporte nicht
zur Disposition stehen, bekannt wurde, dass an einer Abthei-
lung mehr als an der andern sterben. Durch die Furcht wird
der Beginn der Sterblichkeit nicht erklärt.

Selbst die religiösen Gebräuche sind einer Beschuldigung
nicht entgangen. Die Capelle des Krankenhauses hatte eine
derartige Lage, dass der von dort kommende, die Sterbesa-
cramente spendende Priester in das Krankenzimmer der zwei-
ten geburtshilflichen Klinik gelangen konnte, ohne die übri-
gen Wöchnerinnenzimmer zu berühren, während er an der
ersten geburtshilflichen Klinik fünf Zimmer passiren musste,
weil das Krankenzimmer der ersten Abtheilung in der Rich-
tung zur Capelle das sechste war. Die Priester pflegten im
Ornate unter Glockengeläute eines vorausgehenden Kirchen-
dieners, wie der katholische Ritus es mit sich bringt, sich zu
den Kranken zu begeben, um sie mit den heiligen Sterbe-
sacramenten zu versehen. Man trachtete zwar, dass diess
durch 24 Stunden nur einmal geschehe, aber 24 Stunden sind
für das Kindbettfieber eine sehr lange Zeit, und manche, die

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[33/0045] gend um ihre Wiederentlassung baten, welche auf die zweite Abtheilung zur Aufnahme gehen wollten, und wegen Un- kenntniss des Locals auf die erste Abtheilung geriethen, wel- ches ihnen die Anwesenheit vieler Männer klar machte. Wöch- nerinnen mit unzählbaren Pulsschlägen, meteoristisch aufge- triebenem Bauche, trockener Zunge, d. h. am Puerperalfieber schwer erkrankte, betheuerten wenige Stunden vor dem Tode, vollkommen gesund zu sein, um nur nicht ärztlich behandelt zu werden, weil sie wussten, dass ärztliche Behandlung der Vorläufer des Todes sei. Trotz dem konnte ich mich nicht überzeugen, dass die Furcht die Ursache der grösseren Sterb- lichkeit an der ersten Abtheilung sei, weil ich als Arzt nicht einsah, wie die Furcht, ein psychischer Zustand, solch mate- rielle Veränderungen hervorbringen könne, wie das Kindbett- fieber ist. Nebst dem musste ja nothwendiger Weise eine län- gere Zeit, eine grössere Sterblichkeit vorausgegangen sein, bevor es unter Leuten, denen die Gebärhausrapporte nicht zur Disposition stehen, bekannt wurde, dass an einer Abthei- lung mehr als an der andern sterben. Durch die Furcht wird der Beginn der Sterblichkeit nicht erklärt. Selbst die religiösen Gebräuche sind einer Beschuldigung nicht entgangen. Die Capelle des Krankenhauses hatte eine derartige Lage, dass der von dort kommende, die Sterbesa- cramente spendende Priester in das Krankenzimmer der zwei- ten geburtshilflichen Klinik gelangen konnte, ohne die übri- gen Wöchnerinnenzimmer zu berühren, während er an der ersten geburtshilflichen Klinik fünf Zimmer passiren musste, weil das Krankenzimmer der ersten Abtheilung in der Rich- tung zur Capelle das sechste war. Die Priester pflegten im Ornate unter Glockengeläute eines vorausgehenden Kirchen- dieners, wie der katholische Ritus es mit sich bringt, sich zu den Kranken zu begeben, um sie mit den heiligen Sterbe- sacramenten zu versehen. Man trachtete zwar, dass diess durch 24 Stunden nur einmal geschehe, aber 24 Stunden sind für das Kindbettfieber eine sehr lange Zeit, und manche, die Semmelweis, Kindbettfieber. 3

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/45>, abgerufen am 24.11.2024.