ersten geburtshilflichen Klinik zu Wien nur durch den Umstand bedingt sei, dass die daselbst prakticirenden Aerzte sich kurz vor den Untersuchungen der Schwangeren und Kreissenden in der Leichenkammer aufhalten, und so zur Uebertragung verschiedener, ihren Händen anklebender deletaerer Stoffe in die Genitalien der Untersuchten Veranlassung geben. Wir waren der Erste, der die Richtigkeit dieser Behauptung in Zweifel zog, uns schlossen sich später, wenigstens in den wesentlichsten Punkten, Seyfert, Kiwisch, Lumpe und Zipfl an, und auch in Paris fand die von Arneth in der Akademie publicirte Entdeckung von Semmelweis keinen Beifall. Es würde uns zu weit führen, hier alle Gründe geltend zu machen, welche der Ansicht des letztgenannten Arztes entgegentreten, und wir begnügen uns daher, mit Hinweisung auf die betref- fende Literatur blos zu bemerken, dass wir die Möglichkeit einer derartigen Infection für einzelne Fälle nicht in Abrede stellen wollen, dass man aber jedenfalls zu weit gegangen ist, wenn man die Häufigkeit und Bösartigkeit der puerperalen Erkrankungen in Gebäranstalten einzig und allein auf diesem Wege erklären zu können glaubte."
Wahrlich, es erregt mein ganzes Mitleid, wenn ich sehe, wie Scanzoni in seiner selbstverschuldeten Unwissenheit sich ganz naiv noch im Jahre 1853 auf eine Schrift beruft, in welcher er gegen meine Lehre über die Entstehung und Verhütung des Kindbettfiebers ankämpft, in der er aber die Gebärhäuser nur deshalb von dem Vorwurfe, dass sämmtliche Gebärhäuser wahre, vom Staate unterhaltene Mörderhöhlen seien, freispricht, weil es ihm mehr als wahrscheinlich ist, dass die Sterblichkeit durch kosmische und tellurische Verhältnisse bedingt wird. Wir haben aber schon im Jahre 1847 bewiesen, dass alle Fälle von Puerperalfieber durch Infection entstehen, dass demnach das Puerperalfieber eine verhütbare Krankheit sei. Um diese Wahrheit zur allgemeinen zu machen, veröffentlichen wir gegenwärtige Schrift, und wenn Scanzoni dieser Lehre noch im Jahre 1853 Opposition macht, so stellt er sich selbst in die
ersten geburtshilflichen Klinik zu Wien nur durch den Umstand bedingt sei, dass die daselbst prakticirenden Aerzte sich kurz vor den Untersuchungen der Schwangeren und Kreissenden in der Leichenkammer aufhalten, und so zur Uebertragung verschiedener, ihren Händen anklebender deletaerer Stoffe in die Genitalien der Untersuchten Veranlassung geben. Wir waren der Erste, der die Richtigkeit dieser Behauptung in Zweifel zog, uns schlossen sich später, wenigstens in den wesentlichsten Punkten, Seyfert, Kiwisch, Lumpe und Zipfl an, und auch in Paris fand die von Arneth in der Akademie publicirte Entdeckung von Semmelweis keinen Beifall. Es würde uns zu weit führen, hier alle Gründe geltend zu machen, welche der Ansicht des letztgenannten Arztes entgegentreten, und wir begnügen uns daher, mit Hinweisung auf die betref- fende Literatur blos zu bemerken, dass wir die Möglichkeit einer derartigen Infection für einzelne Fälle nicht in Abrede stellen wollen, dass man aber jedenfalls zu weit gegangen ist, wenn man die Häufigkeit und Bösartigkeit der puerperalen Erkrankungen in Gebäranstalten einzig und allein auf diesem Wege erklären zu können glaubte.«
Wahrlich, es erregt mein ganzes Mitleid, wenn ich sehe, wie Scanzoni in seiner selbstverschuldeten Unwissenheit sich ganz naiv noch im Jahre 1853 auf eine Schrift beruft, in welcher er gegen meine Lehre über die Entstehung und Verhütung des Kindbettfiebers ankämpft, in der er aber die Gebärhäuser nur deshalb von dem Vorwurfe, dass sämmtliche Gebärhäuser wahre, vom Staate unterhaltene Mörderhöhlen seien, freispricht, weil es ihm mehr als wahrscheinlich ist, dass die Sterblichkeit durch kosmische und tellurische Verhältnisse bedingt wird. Wir haben aber schon im Jahre 1847 bewiesen, dass alle Fälle von Puerperalfieber durch Infection entstehen, dass demnach das Puerperalfieber eine verhütbare Krankheit sei. Um diese Wahrheit zur allgemeinen zu machen, veröffentlichen wir gegenwärtige Schrift, und wenn Scanzoni dieser Lehre noch im Jahre 1853 Opposition macht, so stellt er sich selbst in die
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ersten geburtshilflichen Klinik zu Wien nur durch den Umstand
bedingt sei, dass die daselbst prakticirenden Aerzte sich kurz
vor den Untersuchungen der Schwangeren und Kreissenden
in der Leichenkammer aufhalten, und so zur Uebertragung
verschiedener, ihren Händen anklebender deletaerer Stoffe in
die Genitalien der Untersuchten Veranlassung geben. Wir
waren der Erste, der die Richtigkeit dieser Behauptung in
Zweifel zog, uns schlossen sich später, wenigstens in den
wesentlichsten Punkten, Seyfert, Kiwisch, Lumpe und Zipfl
an, und auch in Paris fand die von Arneth in der Akademie
publicirte Entdeckung von Semmelweis keinen Beifall. Es
würde uns zu weit führen, hier alle Gründe geltend zu machen,
welche der Ansicht des letztgenannten Arztes entgegentreten,
und wir begnügen uns daher, mit Hinweisung auf die betref-
fende Literatur blos zu bemerken, dass wir die Möglichkeit
einer derartigen Infection für einzelne Fälle nicht in Abrede
stellen wollen, dass man aber jedenfalls zu weit gegangen ist,
wenn man die Häufigkeit und Bösartigkeit der puerperalen
Erkrankungen in Gebäranstalten einzig und allein auf diesem
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Wahrlich, es erregt mein ganzes Mitleid, wenn ich sehe,
wie Scanzoni in seiner selbstverschuldeten Unwissenheit sich
ganz naiv noch im Jahre 1853 auf eine Schrift beruft, in welcher
er gegen meine Lehre über die Entstehung und Verhütung des
Kindbettfiebers ankämpft, in der er aber die Gebärhäuser
nur deshalb von dem Vorwurfe, dass sämmtliche Gebärhäuser
wahre, vom Staate unterhaltene Mörderhöhlen seien, freispricht,
weil es ihm mehr als wahrscheinlich ist, dass die Sterblichkeit
durch kosmische und tellurische Verhältnisse bedingt wird.
Wir haben aber schon im Jahre 1847 bewiesen, dass alle Fälle
von Puerperalfieber durch Infection entstehen, dass demnach
das Puerperalfieber eine verhütbare Krankheit sei. Um diese
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/408>, abgerufen am 24.11.2024.
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