entlarvt worden wäre, falls ich zur Verminderung der Todes- fälle an der I. Gebärklinik die kranken Wöchnerinnen fort- geschickt hätte, und wenn ich dann die verminderten Todes- fälle den Chlorwaschungen zugeschrieben hätte.
Um den Leser einen Massstab an die Hand zu geben, zur Beurtheilung der von Scanzoni veröffentlichten Rapporte, wollen wir einiges Hiehergehörige recapituliren.
Der Leser erinnert sich, dass wir die Frage, wenn durch getroffene Massregeln alle Fälle von Infection von aussen ver- hütet werden, wie viele Wöchnerinnen werden immer noch in Folge von unverhütbarer Selbstinfection sterben? dahin be- antworteten, dass uns in diesem Punkte unsere eigenen Erfah- rungen keinen sicheren Ausspruch gestatten, dass wir aber glauben, die Rapporte des Wiener Gebärhauses aus der Zeit, wo die Medicin in Wien noch der anatomischen Grundlage entbehrte, seien geeignet, über diesen Punkt Aufschluss zu ertheilen. In diesen 39 Jahren kommen 25 Jahre vor, während welchen nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen starb. (Siehe Tabelle Nr. XVII, S. 62 u. Tabelle Nr. XXIV, S. 142.)
Es starb nämlich während 2 Jahren eine von 400 Wöch- nerinnen, während 2 Jahren starb eine von 300 Wöchnerinnen, während 8 Jahren starb eine von 200 Wöchnerinnen und wäh- rend 13 Jahren starb nicht eine von 100 Wöchnerinnen.
Wir stellen daher keine strenge Anforderung an ein Ge- bärhaus, wenn wir von selbem fordern, dass von den in dem- selben verpflegten Wöchnerinnen nicht eine von 100 sterbe.
Wenn nun aus den durch Scanzoni veröffentlichten Rap- porten hervorgeht, dass im Prager Gebärhause während der angeführten 15 Monate 3, 1 % Wöchnerinnen am Kindbett- fieber starben, so ist dadurch bewiesen, dass im Prager Gebär- hause Infectionsfälle von aussen vorgekommen sind, und wenn Scanzoni sagt, dass zur selben Zeit in Wien trotz den Chlor- waschungen eine ähnliche Sterblichkeit vorkam, so müssen wir den Leser daran erinnern, dass wir damals allerdings trotz
Semmelweis, Kindbettfieber. 21
entlarvt worden wäre, falls ich zur Verminderung der Todes- fälle an der I. Gebärklinik die kranken Wöchnerinnen fort- geschickt hätte, und wenn ich dann die verminderten Todes- fälle den Chlorwaschungen zugeschrieben hätte.
Um den Leser einen Massstab an die Hand zu geben, zur Beurtheilung der von Scanzoni veröffentlichten Rapporte, wollen wir einiges Hiehergehörige recapituliren.
Der Leser erinnert sich, dass wir die Frage, wenn durch getroffene Massregeln alle Fälle von Infection von aussen ver- hütet werden, wie viele Wöchnerinnen werden immer noch in Folge von unverhütbarer Selbstinfection sterben? dahin be- antworteten, dass uns in diesem Punkte unsere eigenen Erfah- rungen keinen sicheren Ausspruch gestatten, dass wir aber glauben, die Rapporte des Wiener Gebärhauses aus der Zeit, wo die Medicin in Wien noch der anatomischen Grundlage entbehrte, seien geeignet, über diesen Punkt Aufschluss zu ertheilen. In diesen 39 Jahren kommen 25 Jahre vor, während welchen nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen starb. (Siehe Tabelle Nr. XVII, S. 62 u. Tabelle Nr. XXIV, S. 142.)
Es starb nämlich während 2 Jahren eine von 400 Wöch- nerinnen, während 2 Jahren starb eine von 300 Wöchnerinnen, während 8 Jahren starb eine von 200 Wöchnerinnen und wäh- rend 13 Jahren starb nicht eine von 100 Wöchnerinnen.
Wir stellen daher keine strenge Anforderung an ein Ge- bärhaus, wenn wir von selbem fordern, dass von den in dem- selben verpflegten Wöchnerinnen nicht eine von 100 sterbe.
Wenn nun aus den durch Scanzoni veröffentlichten Rap- porten hervorgeht, dass im Prager Gebärhause während der angeführten 15 Monate 3, 1 % Wöchnerinnen am Kindbett- fieber starben, so ist dadurch bewiesen, dass im Prager Gebär- hause Infectionsfälle von aussen vorgekommen sind, und wenn Scanzoni sagt, dass zur selben Zeit in Wien trotz den Chlor- waschungen eine ähnliche Sterblichkeit vorkam, so müssen wir den Leser daran erinnern, dass wir damals allerdings trotz
Semmelweis, Kindbettfieber. 21
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0333"n="321"/>
entlarvt worden wäre, falls ich zur Verminderung der Todes-<lb/>
fälle an der I. Gebärklinik die kranken Wöchnerinnen fort-<lb/>
geschickt hätte, und wenn ich dann die verminderten Todes-<lb/>
fälle den Chlorwaschungen zugeschrieben hätte.</p><lb/><p>Um den Leser einen Massstab an die Hand zu geben, zur<lb/>
Beurtheilung der von Scanzoni veröffentlichten Rapporte,<lb/>
wollen wir einiges Hiehergehörige recapituliren.</p><lb/><p>Der Leser erinnert sich, dass wir die Frage, wenn durch<lb/>
getroffene Massregeln alle Fälle von Infection von aussen ver-<lb/>
hütet werden, wie viele Wöchnerinnen werden immer noch<lb/>
in Folge von unverhütbarer Selbstinfection sterben? dahin be-<lb/>
antworteten, dass uns in diesem Punkte unsere eigenen Erfah-<lb/>
rungen keinen sicheren Ausspruch gestatten, dass wir aber<lb/>
glauben, die Rapporte des Wiener Gebärhauses aus der Zeit,<lb/>
wo die Medicin in Wien noch der anatomischen Grundlage<lb/>
entbehrte, seien geeignet, über diesen Punkt Aufschluss zu<lb/>
ertheilen. In diesen 39 Jahren kommen 25 Jahre vor, während<lb/>
welchen nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen starb.<lb/>
(Siehe Tabelle Nr. XVII, S. 62 u. Tabelle Nr. XXIV, S. 142.)</p><lb/><p>Es starb nämlich während 2 Jahren eine von 400 Wöch-<lb/>
nerinnen, während 2 Jahren starb eine von 300 Wöchnerinnen,<lb/>
während 8 Jahren starb eine von 200 Wöchnerinnen und wäh-<lb/>
rend 13 Jahren starb nicht eine von 100 Wöchnerinnen.</p><lb/><p>Wir stellen daher keine strenge Anforderung an ein Ge-<lb/>
bärhaus, wenn wir von selbem fordern, dass von den in dem-<lb/>
selben verpflegten Wöchnerinnen nicht eine von 100 sterbe.</p><lb/><p>Wenn nun aus den durch Scanzoni veröffentlichten Rap-<lb/>
porten hervorgeht, dass im Prager Gebärhause während der<lb/>
angeführten 15 Monate 3, <hirendition="#sub">1</hi> % Wöchnerinnen am Kindbett-<lb/>
fieber starben, so ist dadurch bewiesen, dass im Prager Gebär-<lb/>
hause Infectionsfälle von aussen vorgekommen sind, und wenn<lb/>
Scanzoni sagt, dass zur selben Zeit in Wien trotz den Chlor-<lb/>
waschungen eine ähnliche Sterblichkeit vorkam, so müssen<lb/>
wir den Leser daran erinnern, dass wir damals allerdings trotz<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Semmelweis</hi>, Kindbettfieber. 21</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[321/0333]
entlarvt worden wäre, falls ich zur Verminderung der Todes-
fälle an der I. Gebärklinik die kranken Wöchnerinnen fort-
geschickt hätte, und wenn ich dann die verminderten Todes-
fälle den Chlorwaschungen zugeschrieben hätte.
Um den Leser einen Massstab an die Hand zu geben, zur
Beurtheilung der von Scanzoni veröffentlichten Rapporte,
wollen wir einiges Hiehergehörige recapituliren.
Der Leser erinnert sich, dass wir die Frage, wenn durch
getroffene Massregeln alle Fälle von Infection von aussen ver-
hütet werden, wie viele Wöchnerinnen werden immer noch
in Folge von unverhütbarer Selbstinfection sterben? dahin be-
antworteten, dass uns in diesem Punkte unsere eigenen Erfah-
rungen keinen sicheren Ausspruch gestatten, dass wir aber
glauben, die Rapporte des Wiener Gebärhauses aus der Zeit,
wo die Medicin in Wien noch der anatomischen Grundlage
entbehrte, seien geeignet, über diesen Punkt Aufschluss zu
ertheilen. In diesen 39 Jahren kommen 25 Jahre vor, während
welchen nicht eine Wöchnerin von 100 Wöchnerinnen starb.
(Siehe Tabelle Nr. XVII, S. 62 u. Tabelle Nr. XXIV, S. 142.)
Es starb nämlich während 2 Jahren eine von 400 Wöch-
nerinnen, während 2 Jahren starb eine von 300 Wöchnerinnen,
während 8 Jahren starb eine von 200 Wöchnerinnen und wäh-
rend 13 Jahren starb nicht eine von 100 Wöchnerinnen.
Wir stellen daher keine strenge Anforderung an ein Ge-
bärhaus, wenn wir von selbem fordern, dass von den in dem-
selben verpflegten Wöchnerinnen nicht eine von 100 sterbe.
Wenn nun aus den durch Scanzoni veröffentlichten Rap-
porten hervorgeht, dass im Prager Gebärhause während der
angeführten 15 Monate 3, 1 % Wöchnerinnen am Kindbett-
fieber starben, so ist dadurch bewiesen, dass im Prager Gebär-
hause Infectionsfälle von aussen vorgekommen sind, und wenn
Scanzoni sagt, dass zur selben Zeit in Wien trotz den Chlor-
waschungen eine ähnliche Sterblichkeit vorkam, so müssen
wir den Leser daran erinnern, dass wir damals allerdings trotz
Semmelweis, Kindbettfieber. 21
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/333>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.