Es dürfte wenige Räume geben, in welchen mehr Wöchnerinnen gestorben sind, als im Krankenzimmer der ersten Gebärklinik, und doch wurde dieses Zimmer, nachdem in Folge der Chlorwaschungen von Zeit zu Zeit das Kranken- zimmer überflüssig wurde, als Wochenzimmer benützt, ohne dass der Stubenboden wäre aufgerissen worden, ohne dass die Wände wären abgekratzt worden, nur die Betten wurden ge- wechselt, und doch blieben die in diesem Zimmer Verpflegten gesund.
Eine Localität könnte nur dann das Kindbettfieber her- vorbringen, wenn selbe in dem Grade mit zersetzten Stoffen verunreinigt wäre, dass die Exhalationen der zersetzten Stoffe mit der atmosphärischen Luft vermengt in die Genitalien der Individuen dringen würden; ein in dem Grade verunreinigtes Gebärhauslocal dürfte aber nicht vorkommen. Zu solchen Localitäten gehören die Sectionssäle.
Die Furcht ist kein ätiologischer Moment des Kindbett- fiebers, weil die Furcht den Individuen weder von aussen einen zersetzten Stoff einbringt, noch in Folge der Furcht ein zer- setzter Stoff in den Individuen entsteht. Wir haben schon frü- her erwähnt, dass die Furcht den Beginn der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik nicht erklärt, weil ja die Furcht die Folge der schon herrschenden Sterblichkeit war; ebenso wenig waren wir in der Lage den Individuen vor ihrer Aufnahme die Furcht zu benehmen, zur Zeit, als der Gesundheitszustand der ersten Gebärklinik sich besserte. Sie kamen mit dersel- ben Furcht, und doch kam das Kindbettfieber nicht so zahl- reich vor. Wenn die Furcht ein ätiologischer Moment des Kindbettfiebers wäre, so müsste ja das Kindbettfieber ausser- halb der Gebärhäuser ebenso zahlreich vorkommen, wie in- nerhalb der Gebärhäuser; denn von Furcht sind ja nicht blos diejenigen, welche im Gebärhause gebären, sondern auch die- jenigen, welche ausserhalb des Gebärhauses entbinden, geplagt.
Jeder beschäftigte Geburtshelfer macht täglich die Er- fahrung, dass nicht blos Erst-, sondern auch Oftgeschwängerte
Es dürfte wenige Räume geben, in welchen mehr Wöchnerinnen gestorben sind, als im Krankenzimmer der ersten Gebärklinik, und doch wurde dieses Zimmer, nachdem in Folge der Chlorwaschungen von Zeit zu Zeit das Kranken- zimmer überflüssig wurde, als Wochenzimmer benützt, ohne dass der Stubenboden wäre aufgerissen worden, ohne dass die Wände wären abgekratzt worden, nur die Betten wurden ge- wechselt, und doch blieben die in diesem Zimmer Verpflegten gesund.
Eine Localität könnte nur dann das Kindbettfieber her- vorbringen, wenn selbe in dem Grade mit zersetzten Stoffen verunreinigt wäre, dass die Exhalationen der zersetzten Stoffe mit der atmosphärischen Luft vermengt in die Genitalien der Individuen dringen würden; ein in dem Grade verunreinigtes Gebärhauslocal dürfte aber nicht vorkommen. Zu solchen Localitäten gehören die Sectionssäle.
Die Furcht ist kein ätiologischer Moment des Kindbett- fiebers, weil die Furcht den Individuen weder von aussen einen zersetzten Stoff einbringt, noch in Folge der Furcht ein zer- setzter Stoff in den Individuen entsteht. Wir haben schon frü- her erwähnt, dass die Furcht den Beginn der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik nicht erklärt, weil ja die Furcht die Folge der schon herrschenden Sterblichkeit war; ebenso wenig waren wir in der Lage den Individuen vor ihrer Aufnahme die Furcht zu benehmen, zur Zeit, als der Gesundheitszustand der ersten Gebärklinik sich besserte. Sie kamen mit dersel- ben Furcht, und doch kam das Kindbettfieber nicht so zahl- reich vor. Wenn die Furcht ein ätiologischer Moment des Kindbettfiebers wäre, so müsste ja das Kindbettfieber ausser- halb der Gebärhäuser ebenso zahlreich vorkommen, wie in- nerhalb der Gebärhäuser; denn von Furcht sind ja nicht blos diejenigen, welche im Gebärhause gebären, sondern auch die- jenigen, welche ausserhalb des Gebärhauses entbinden, geplagt.
Jeder beschäftigte Geburtshelfer macht täglich die Er- fahrung, dass nicht blos Erst-, sondern auch Oftgeschwängerte
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Es dürfte wenige Räume geben, in welchen mehr
Wöchnerinnen gestorben sind, als im Krankenzimmer der
ersten Gebärklinik, und doch wurde dieses Zimmer, nachdem
in Folge der Chlorwaschungen von Zeit zu Zeit das Kranken-
zimmer überflüssig wurde, als Wochenzimmer benützt, ohne
dass der Stubenboden wäre aufgerissen worden, ohne dass die
Wände wären abgekratzt worden, nur die Betten wurden ge-
wechselt, und doch blieben die in diesem Zimmer Verpflegten
gesund.
Eine Localität könnte nur dann das Kindbettfieber her-
vorbringen, wenn selbe in dem Grade mit zersetzten Stoffen
verunreinigt wäre, dass die Exhalationen der zersetzten Stoffe
mit der atmosphärischen Luft vermengt in die Genitalien der
Individuen dringen würden; ein in dem Grade verunreinigtes
Gebärhauslocal dürfte aber nicht vorkommen. Zu solchen
Localitäten gehören die Sectionssäle.
Die Furcht ist kein ätiologischer Moment des Kindbett-
fiebers, weil die Furcht den Individuen weder von aussen einen
zersetzten Stoff einbringt, noch in Folge der Furcht ein zer-
setzter Stoff in den Individuen entsteht. Wir haben schon frü-
her erwähnt, dass die Furcht den Beginn der Sterblichkeit an
der ersten Gebärklinik nicht erklärt, weil ja die Furcht die
Folge der schon herrschenden Sterblichkeit war; ebenso wenig
waren wir in der Lage den Individuen vor ihrer Aufnahme die
Furcht zu benehmen, zur Zeit, als der Gesundheitszustand
der ersten Gebärklinik sich besserte. Sie kamen mit dersel-
ben Furcht, und doch kam das Kindbettfieber nicht so zahl-
reich vor. Wenn die Furcht ein ätiologischer Moment des
Kindbettfiebers wäre, so müsste ja das Kindbettfieber ausser-
halb der Gebärhäuser ebenso zahlreich vorkommen, wie in-
nerhalb der Gebärhäuser; denn von Furcht sind ja nicht blos
diejenigen, welche im Gebärhause gebären, sondern auch die-
jenigen, welche ausserhalb des Gebärhauses entbinden, geplagt.
Jeder beschäftigte Geburtshelfer macht täglich die Er-
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/272>, abgerufen am 23.11.2024.
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