pse_682.001 Einzelerlebnis. Die Wirkung innerhalb einer Gemeinschaft pse_682.002 kann das Erleben unter Umständen erhöhen. Es kommt auf pse_682.003 die Gemeinschaft, ihre Art und Größe, aber auch auf die pse_682.004 Dichtung an. Nicht alle epischen und lyrischen Gedichte eignen pse_682.005 sich zu einem Vortrag vor vielen, wenn das Letzte in pse_682.006 ihnen lebendig werden soll. Auch sind nicht alle Dramen in pse_682.007 Hinsicht auf Gemeinschaftswirkung gleich angelegt. Ein pse_682.008 "Tasso" wird seine ganzen Schönheiten und Werte vor allem pse_682.009 einer kleinen, ausgesuchten Gemeinde wertvoller Menschen pse_682.010 enthüllen, ein "Tell", ein "Götz", ein "Wallenstein", der "Jedermann" pse_682.011 können eine große Menge durch die Entfaltung ihrer pse_682.012 dichterischen Werte zu einer geschlossenen Gemeinschaft pse_682.013 emporheben.
pse_682.014 Nicht alle Dichtungen erschließen sich sofort allen Menschen, pse_682.015 nicht alle Menschen sind von vornherein für Dichtung pse_682.016 empfänglich. Hier setzen Hilfen ein. Das sind zunächst Bildungseinrichtungen pse_682.017 im weitesten Sinn, vor allem die planmäßige pse_682.018 Erziehungsarbeit der Schule und auch der Hochschule. pse_682.019 Über Möglichkeiten und Schwierigkeiten ist bei der pse_682.020 Betrachtung der Dichtung als Lehrgut gesprochen worden. pse_682.021 Die Hinführung der Menschen zur Dichtung muß zunächst pse_682.022 Hemmnisse beseitigen; solche bestehen im persönlichen pse_682.023 Temperament eines Lesers, etwa eines Sanguinikers gegenüber pse_682.024 Stifter, in augenblicklichen Stimmungen, in mangelnden pse_682.025 Kenntnissen. Das ist die negative Vorbereitungsarbeit, im pse_682.026 allgemeinen durch eine Auflockerung des Gemüts, im Einzelfall pse_682.027 durch möglichst gute Einstimmung. Die positive Hinführung pse_682.028 besteht im vorsichtigen und feinfühligen Erschließen pse_682.029 der dichterischen Werte. Gelegentliche Einführung kann pse_682.030 durch verschiedene Einrichtungen (Lesekreise, einführende pse_682.031 Vorträge usw.) die planmäßige Erziehungsarbeit fortsetzen. pse_682.032 Eine weitere, sehr wichtige Hilfe ist die sogenannte Kritik. pse_682.033 Darunter meinen wir alle Einrichtungen, wodurch in Presse pse_682.034 und Rundfunk das Publikum auf neue Dichtungen, auf Neuauflagen pse_682.035 alter Dichtungen, auf Theateraufführungen und pse_682.036 andere dichterische Darbietungen hingewiesen wird. Ganz pse_682.037 einfach sagt einmal T. S. Eliot: Der Sinn der Kritik besteht pse_682.038 darin, "das Verständnis und die Freude an der Literatur zu
pse_682.001 Einzelerlebnis. Die Wirkung innerhalb einer Gemeinschaft pse_682.002 kann das Erleben unter Umständen erhöhen. Es kommt auf pse_682.003 die Gemeinschaft, ihre Art und Größe, aber auch auf die pse_682.004 Dichtung an. Nicht alle epischen und lyrischen Gedichte eignen pse_682.005 sich zu einem Vortrag vor vielen, wenn das Letzte in pse_682.006 ihnen lebendig werden soll. Auch sind nicht alle Dramen in pse_682.007 Hinsicht auf Gemeinschaftswirkung gleich angelegt. Ein pse_682.008 »Tasso« wird seine ganzen Schönheiten und Werte vor allem pse_682.009 einer kleinen, ausgesuchten Gemeinde wertvoller Menschen pse_682.010 enthüllen, ein »Tell«, ein »Götz«, ein »Wallenstein«, der »Jedermann« pse_682.011 können eine große Menge durch die Entfaltung ihrer pse_682.012 dichterischen Werte zu einer geschlossenen Gemeinschaft pse_682.013 emporheben.
pse_682.014 Nicht alle Dichtungen erschließen sich sofort allen Menschen, pse_682.015 nicht alle Menschen sind von vornherein für Dichtung pse_682.016 empfänglich. Hier setzen Hilfen ein. Das sind zunächst Bildungseinrichtungen pse_682.017 im weitesten Sinn, vor allem die planmäßige pse_682.018 Erziehungsarbeit der Schule und auch der Hochschule. pse_682.019 Über Möglichkeiten und Schwierigkeiten ist bei der pse_682.020 Betrachtung der Dichtung als Lehrgut gesprochen worden. pse_682.021 Die Hinführung der Menschen zur Dichtung muß zunächst pse_682.022 Hemmnisse beseitigen; solche bestehen im persönlichen pse_682.023 Temperament eines Lesers, etwa eines Sanguinikers gegenüber pse_682.024 Stifter, in augenblicklichen Stimmungen, in mangelnden pse_682.025 Kenntnissen. Das ist die negative Vorbereitungsarbeit, im pse_682.026 allgemeinen durch eine Auflockerung des Gemüts, im Einzelfall pse_682.027 durch möglichst gute Einstimmung. Die positive Hinführung pse_682.028 besteht im vorsichtigen und feinfühligen Erschließen pse_682.029 der dichterischen Werte. Gelegentliche Einführung kann pse_682.030 durch verschiedene Einrichtungen (Lesekreise, einführende pse_682.031 Vorträge usw.) die planmäßige Erziehungsarbeit fortsetzen. pse_682.032 Eine weitere, sehr wichtige Hilfe ist die sogenannte Kritik. pse_682.033 Darunter meinen wir alle Einrichtungen, wodurch in Presse pse_682.034 und Rundfunk das Publikum auf neue Dichtungen, auf Neuauflagen pse_682.035 alter Dichtungen, auf Theateraufführungen und pse_682.036 andere dichterische Darbietungen hingewiesen wird. Ganz pse_682.037 einfach sagt einmal T. S. Eliot: Der Sinn der Kritik besteht pse_682.038 darin, »das Verständnis und die Freude an der Literatur zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0698"n="682"/><lbn="pse_682.001"/>
Einzelerlebnis. Die Wirkung innerhalb einer Gemeinschaft <lbn="pse_682.002"/>
kann das Erleben unter Umständen erhöhen. Es kommt auf <lbn="pse_682.003"/>
die Gemeinschaft, ihre Art und Größe, aber auch auf die <lbn="pse_682.004"/>
Dichtung an. Nicht alle epischen und lyrischen Gedichte eignen <lbn="pse_682.005"/>
sich zu einem Vortrag vor vielen, wenn das Letzte in <lbn="pse_682.006"/>
ihnen lebendig werden soll. Auch sind nicht alle Dramen in <lbn="pse_682.007"/>
Hinsicht auf Gemeinschaftswirkung gleich angelegt. Ein <lbn="pse_682.008"/>
»Tasso« wird seine ganzen Schönheiten und Werte vor allem <lbn="pse_682.009"/>
einer kleinen, ausgesuchten Gemeinde wertvoller Menschen <lbn="pse_682.010"/>
enthüllen, ein »Tell«, ein »Götz«, ein »Wallenstein«, der »Jedermann« <lbn="pse_682.011"/>
können eine große Menge durch die Entfaltung ihrer <lbn="pse_682.012"/>
dichterischen Werte zu einer geschlossenen Gemeinschaft <lbn="pse_682.013"/>
emporheben.</p><p><lbn="pse_682.014"/>
Nicht alle Dichtungen erschließen sich sofort allen Menschen, <lbn="pse_682.015"/>
nicht alle Menschen sind von vornherein für Dichtung <lbn="pse_682.016"/>
empfänglich. Hier setzen Hilfen ein. Das sind zunächst Bildungseinrichtungen <lbn="pse_682.017"/>
im weitesten Sinn, vor allem die planmäßige <lbn="pse_682.018"/>
Erziehungsarbeit der Schule und auch der Hochschule. <lbn="pse_682.019"/>
Über Möglichkeiten und Schwierigkeiten ist bei der <lbn="pse_682.020"/>
Betrachtung der Dichtung als Lehrgut gesprochen worden. <lbn="pse_682.021"/>
Die Hinführung der Menschen zur Dichtung muß zunächst <lbn="pse_682.022"/>
Hemmnisse beseitigen; solche bestehen im persönlichen <lbn="pse_682.023"/>
Temperament eines Lesers, etwa eines Sanguinikers gegenüber <lbn="pse_682.024"/>
Stifter, in augenblicklichen Stimmungen, in mangelnden <lbn="pse_682.025"/>
Kenntnissen. Das ist die negative Vorbereitungsarbeit, im <lbn="pse_682.026"/>
allgemeinen durch eine Auflockerung des Gemüts, im Einzelfall <lbn="pse_682.027"/>
durch möglichst gute Einstimmung. Die positive Hinführung <lbn="pse_682.028"/>
besteht im vorsichtigen und feinfühligen Erschließen <lbn="pse_682.029"/>
der dichterischen Werte. Gelegentliche Einführung kann <lbn="pse_682.030"/>
durch verschiedene Einrichtungen (Lesekreise, einführende <lbn="pse_682.031"/>
Vorträge usw.) die planmäßige Erziehungsarbeit fortsetzen. <lbn="pse_682.032"/>
Eine weitere, sehr wichtige Hilfe ist die sogenannte Kritik. <lbn="pse_682.033"/>
Darunter meinen wir alle Einrichtungen, wodurch in Presse <lbn="pse_682.034"/>
und Rundfunk das Publikum auf neue Dichtungen, auf Neuauflagen <lbn="pse_682.035"/>
alter Dichtungen, auf Theateraufführungen und <lbn="pse_682.036"/>
andere dichterische Darbietungen hingewiesen wird. Ganz <lbn="pse_682.037"/>
einfach sagt einmal T. S. Eliot: Der Sinn der Kritik besteht <lbn="pse_682.038"/>
darin, »das Verständnis und die Freude an der Literatur zu
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[682/0698]
pse_682.001
Einzelerlebnis. Die Wirkung innerhalb einer Gemeinschaft pse_682.002
kann das Erleben unter Umständen erhöhen. Es kommt auf pse_682.003
die Gemeinschaft, ihre Art und Größe, aber auch auf die pse_682.004
Dichtung an. Nicht alle epischen und lyrischen Gedichte eignen pse_682.005
sich zu einem Vortrag vor vielen, wenn das Letzte in pse_682.006
ihnen lebendig werden soll. Auch sind nicht alle Dramen in pse_682.007
Hinsicht auf Gemeinschaftswirkung gleich angelegt. Ein pse_682.008
»Tasso« wird seine ganzen Schönheiten und Werte vor allem pse_682.009
einer kleinen, ausgesuchten Gemeinde wertvoller Menschen pse_682.010
enthüllen, ein »Tell«, ein »Götz«, ein »Wallenstein«, der »Jedermann« pse_682.011
können eine große Menge durch die Entfaltung ihrer pse_682.012
dichterischen Werte zu einer geschlossenen Gemeinschaft pse_682.013
emporheben.
pse_682.014
Nicht alle Dichtungen erschließen sich sofort allen Menschen, pse_682.015
nicht alle Menschen sind von vornherein für Dichtung pse_682.016
empfänglich. Hier setzen Hilfen ein. Das sind zunächst Bildungseinrichtungen pse_682.017
im weitesten Sinn, vor allem die planmäßige pse_682.018
Erziehungsarbeit der Schule und auch der Hochschule. pse_682.019
Über Möglichkeiten und Schwierigkeiten ist bei der pse_682.020
Betrachtung der Dichtung als Lehrgut gesprochen worden. pse_682.021
Die Hinführung der Menschen zur Dichtung muß zunächst pse_682.022
Hemmnisse beseitigen; solche bestehen im persönlichen pse_682.023
Temperament eines Lesers, etwa eines Sanguinikers gegenüber pse_682.024
Stifter, in augenblicklichen Stimmungen, in mangelnden pse_682.025
Kenntnissen. Das ist die negative Vorbereitungsarbeit, im pse_682.026
allgemeinen durch eine Auflockerung des Gemüts, im Einzelfall pse_682.027
durch möglichst gute Einstimmung. Die positive Hinführung pse_682.028
besteht im vorsichtigen und feinfühligen Erschließen pse_682.029
der dichterischen Werte. Gelegentliche Einführung kann pse_682.030
durch verschiedene Einrichtungen (Lesekreise, einführende pse_682.031
Vorträge usw.) die planmäßige Erziehungsarbeit fortsetzen. pse_682.032
Eine weitere, sehr wichtige Hilfe ist die sogenannte Kritik. pse_682.033
Darunter meinen wir alle Einrichtungen, wodurch in Presse pse_682.034
und Rundfunk das Publikum auf neue Dichtungen, auf Neuauflagen pse_682.035
alter Dichtungen, auf Theateraufführungen und pse_682.036
andere dichterische Darbietungen hingewiesen wird. Ganz pse_682.037
einfach sagt einmal T. S. Eliot: Der Sinn der Kritik besteht pse_682.038
darin, »das Verständnis und die Freude an der Literatur zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 682. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/698>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.