pse_661.001 erhalten, andererseits wie sich oft bestimmte Bilder in ihrem pse_661.002 Symbolwert ändern. Die Wandlungen des Weltbildes und pse_661.003 der Menschenauffassung in der Goethezeit gegenüber der pse_661.004 Aufklärung böten Beispiele. Man kann sich ohne weiteres pse_661.005 denken, wie Bilder vom Gold, vom Schaffen und Zeugen pse_661.006 mit wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen pse_661.007 ihren Stimmungsgehalt ändern können, damit auch pse_661.008 als Symbole in der Dichtung sich verschieben. Hier spielt pse_661.009 nun auch das Problem der Tradition eine Rolle; denn auch pse_661.010 in dieser Hinsicht sind die Zeiten und Gruppen verschieden. pse_661.011 Man kann mit einiger Vorsicht sagen, daß in Österreich die pse_661.012 Tradition eine größere Rolle spielt als etwa in der norddeutschen pse_661.013 Großstadtdichtung; das erkennt man schon daran, daß pse_661.014 die literarischen Moden um die Wende zum 20. Jahrhundert pse_661.015 in Wien nie diese Ausschließlichkeit zeigten wie anderswo. pse_661.016 Aristokraten sind traditionsgebundener als Arbeiter. Und pse_661.017 wenn man heute beobachtet, daß die menschliche Gesellschaft pse_661.018 die abendländische Tradition vielfach aufgibt, so wirkt pse_661.019 sich das auf die Umgestaltung der Kunstform aus. Aber freilich pse_661.020 ist dabei im Hinblick auf die Dichtung etwas sehr Wichtiges pse_661.021 zu beachten. Dichtung ist Kunst in der Sprache. Nun ist pse_661.022 aber gerade die Sprache ein ganz bedeutender Traditionsträger. pse_661.023 Dadurch, daß Wortbedeutungen und Satzformen usw. von pse_661.024 Generation zu Generation fortbestehen, sich nur wenig und pse_661.025 allmählich ändern, ist eine Kontinuität des Weltbildes, der pse_661.026 Denkweise gegeben. Man kann mit der Sprache als einer pse_661.027 Sinngestaltung nicht beliebig umgehen wie mit toter Materie. pse_661.028 In der Sprachgebundenheit ist der Dichtung Traditionsgebundenheit pse_661.029 mitgegeben. Versuche, aus dieser Richtung auszubrechen, pse_661.030 bedeuten immer zugleich: gewaltsame Änderung pse_661.031 der Sprachstruktur bis zur Umbiegung ins Sinnentleerte, pse_661.032 daher besondere Radikalität und damit Gefahr der Entgleisung pse_661.033 ins Außerkünstlerische. Gelingen aber solche Umbildungen, pse_661.034 wie teilweise im Sturm und Drang, im Naturalismus, pse_661.035 auch im Expressionismus und im Surrealismus bis zu pse_661.036 einem gewissen Grade, so bedeutet das Bereicherung und pse_661.037 Neugewinn.
pse_661.038 Die Bindung der Dichter und der Dichtungen an die gesellschaftlichen
pse_661.001 erhalten, andererseits wie sich oft bestimmte Bilder in ihrem pse_661.002 Symbolwert ändern. Die Wandlungen des Weltbildes und pse_661.003 der Menschenauffassung in der Goethezeit gegenüber der pse_661.004 Aufklärung böten Beispiele. Man kann sich ohne weiteres pse_661.005 denken, wie Bilder vom Gold, vom Schaffen und Zeugen pse_661.006 mit wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen pse_661.007 ihren Stimmungsgehalt ändern können, damit auch pse_661.008 als Symbole in der Dichtung sich verschieben. Hier spielt pse_661.009 nun auch das Problem der Tradition eine Rolle; denn auch pse_661.010 in dieser Hinsicht sind die Zeiten und Gruppen verschieden. pse_661.011 Man kann mit einiger Vorsicht sagen, daß in Österreich die pse_661.012 Tradition eine größere Rolle spielt als etwa in der norddeutschen pse_661.013 Großstadtdichtung; das erkennt man schon daran, daß pse_661.014 die literarischen Moden um die Wende zum 20. Jahrhundert pse_661.015 in Wien nie diese Ausschließlichkeit zeigten wie anderswo. pse_661.016 Aristokraten sind traditionsgebundener als Arbeiter. Und pse_661.017 wenn man heute beobachtet, daß die menschliche Gesellschaft pse_661.018 die abendländische Tradition vielfach aufgibt, so wirkt pse_661.019 sich das auf die Umgestaltung der Kunstform aus. Aber freilich pse_661.020 ist dabei im Hinblick auf die Dichtung etwas sehr Wichtiges pse_661.021 zu beachten. Dichtung ist Kunst in der Sprache. Nun ist pse_661.022 aber gerade die Sprache ein ganz bedeutender Traditionsträger. pse_661.023 Dadurch, daß Wortbedeutungen und Satzformen usw. von pse_661.024 Generation zu Generation fortbestehen, sich nur wenig und pse_661.025 allmählich ändern, ist eine Kontinuität des Weltbildes, der pse_661.026 Denkweise gegeben. Man kann mit der Sprache als einer pse_661.027 Sinngestaltung nicht beliebig umgehen wie mit toter Materie. pse_661.028 In der Sprachgebundenheit ist der Dichtung Traditionsgebundenheit pse_661.029 mitgegeben. Versuche, aus dieser Richtung auszubrechen, pse_661.030 bedeuten immer zugleich: gewaltsame Änderung pse_661.031 der Sprachstruktur bis zur Umbiegung ins Sinnentleerte, pse_661.032 daher besondere Radikalität und damit Gefahr der Entgleisung pse_661.033 ins Außerkünstlerische. Gelingen aber solche Umbildungen, pse_661.034 wie teilweise im Sturm und Drang, im Naturalismus, pse_661.035 auch im Expressionismus und im Surrealismus bis zu pse_661.036 einem gewissen Grade, so bedeutet das Bereicherung und pse_661.037 Neugewinn.
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mit wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen pse_661.007
ihren Stimmungsgehalt ändern können, damit auch pse_661.008
als Symbole in der Dichtung sich verschieben. Hier spielt pse_661.009
nun auch das Problem der Tradition eine Rolle; denn auch pse_661.010
in dieser Hinsicht sind die Zeiten und Gruppen verschieden. pse_661.011
Man kann mit einiger Vorsicht sagen, daß in Österreich die pse_661.012
Tradition eine größere Rolle spielt als etwa in der norddeutschen pse_661.013
Großstadtdichtung; das erkennt man schon daran, daß pse_661.014
die literarischen Moden um die Wende zum 20. Jahrhundert pse_661.015
in Wien nie diese Ausschließlichkeit zeigten wie anderswo. pse_661.016
Aristokraten sind traditionsgebundener als Arbeiter. Und pse_661.017
wenn man heute beobachtet, daß die menschliche Gesellschaft pse_661.018
die abendländische Tradition vielfach aufgibt, so wirkt pse_661.019
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ist dabei im Hinblick auf die Dichtung etwas sehr Wichtiges pse_661.021
zu beachten. Dichtung ist Kunst in der Sprache. Nun ist pse_661.022
aber gerade die Sprache ein ganz bedeutender Traditionsträger. pse_661.023
Dadurch, daß Wortbedeutungen und Satzformen usw. von pse_661.024
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In der Sprachgebundenheit ist der Dichtung Traditionsgebundenheit pse_661.029
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/677>, abgerufen am 24.11.2024.
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