pse_573.001 zeigt sich wieder, daß die künstlerische Anlage den inneren pse_573.002 Gesetzlichkeiten und Möglichkeiten entspricht, die für die pse_573.003 Ganzheit und Einheit jeder Dichtung gelten, daß aber zugleich pse_573.004 besondere technische Mittel gekonnt sein müssen, um pse_573.005 ein wirkungsvolles Drama zu bauen. Diese Mittel sind entweder pse_573.006 aus der Überlieferung übernommen oder im Kampf pse_573.007 gegen sie neu errungen worden. Die neu errungenen werden pse_573.008 dann wieder weiter überliefert. Wir schneiden zuerst aus dem pse_573.009 Ganzen eines Dramas gewisse Schichten heraus, die sich bieten, pse_573.010 wenn man das Werk von bestimmten Standpunkten aus betrachtet: pse_573.011 Vorgang, Handlung, Raum und Zeit, Personen. pse_573.012 Dann betrachten wir die einzelnen künstlerischen Gestaltungskräfte, pse_573.013 und endlich schauen wir auf das Ganze als eine wirkende pse_573.014 Gestalt.
pse_573.015 Schichten des Dramas
pse_573.016 Für den Ansatzpunkt des dramatischen Vorgangs sind drei pse_573.017 Begriffe wichtig: die Situation, der Konflikt und das Schicksal. pse_573.018 Jedes Drama ist die letzte Folgerung aus einer bestimmten pse_573.019 Lage. Man denke an die Spannung und Stimmung am Anfang pse_573.020 des "Ödipus": die Pest ist ausgebrochen, und man erfährt, pse_573.021 sie werde dauern, bis ein Verbrecher, den die Stadt pse_573.022 berge, aus ihr vertrieben sei. Der König setzt sich nun mit pse_573.023 voller Kraft für die Aufdeckung ein. Diese Ausgangslage ist pse_573.024 durch den Konflikt gekennzeichnet. In ihm verwirklicht sich pse_573.025 die Urgespaltenheit der Welt in einer ganz bestimmten Weise. pse_573.026 So weist jeder Konflikt auf diese Urgespaltenheit hin. Wenn pse_573.027 er ganz klar umgrenzt wird, wirkt er also symbolisch für diese pse_573.028 Weltstruktur. Der Konflikt selbst entfaltet sich im Vorgang. pse_573.029 Gemäß dem dramatischen Weltbild vollzieht er sich anders pse_573.030 als der epische. Er ist eher heftig, überhöht, und weist deutliche pse_573.031 Umschläge auf. In solchem Vorgang stößt dem Menschen pse_573.032 Glück oder Unglück zu, er steht unter ihrer Macht. pse_573.033 Da das Drama verwesentlicht, erfahren wir in solchem Glück pse_573.034 und Unglück das, was einem Menschen überhaupt grundsätzlich pse_573.035 zugeteilt werden kann. Aber dieses Glück und Unglück pse_573.036 ist meist nichts Kleinliches, sondern etwas Großes, Unerwartetes, pse_573.037 Unheimliches, in dem sich die Welt-Widersprüchlichkeit
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pse_573.015 Schichten des Dramas
pse_573.016 Für den Ansatzpunkt des dramatischen Vorgangs sind drei pse_573.017 Begriffe wichtig: die Situation, der Konflikt und das Schicksal. pse_573.018 Jedes Drama ist die letzte Folgerung aus einer bestimmten pse_573.019 Lage. Man denke an die Spannung und Stimmung am Anfang pse_573.020 des »Ödipus«: die Pest ist ausgebrochen, und man erfährt, pse_573.021 sie werde dauern, bis ein Verbrecher, den die Stadt pse_573.022 berge, aus ihr vertrieben sei. Der König setzt sich nun mit pse_573.023 voller Kraft für die Aufdeckung ein. Diese Ausgangslage ist pse_573.024 durch den Konflikt gekennzeichnet. In ihm verwirklicht sich pse_573.025 die Urgespaltenheit der Welt in einer ganz bestimmten Weise. pse_573.026 So weist jeder Konflikt auf diese Urgespaltenheit hin. Wenn pse_573.027 er ganz klar umgrenzt wird, wirkt er also symbolisch für diese pse_573.028 Weltstruktur. Der Konflikt selbst entfaltet sich im Vorgang. pse_573.029 Gemäß dem dramatischen Weltbild vollzieht er sich anders pse_573.030 als der epische. Er ist eher heftig, überhöht, und weist deutliche pse_573.031 Umschläge auf. In solchem Vorgang stößt dem Menschen pse_573.032 Glück oder Unglück zu, er steht unter ihrer Macht. pse_573.033 Da das Drama verwesentlicht, erfahren wir in solchem Glück pse_573.034 und Unglück das, was einem Menschen überhaupt grundsätzlich pse_573.035 zugeteilt werden kann. Aber dieses Glück und Unglück pse_573.036 ist meist nichts Kleinliches, sondern etwas Großes, Unerwartetes, pse_573.037 Unheimliches, in dem sich die Welt-Widersprüchlichkeit
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zeigt sich wieder, daß die künstlerische Anlage den inneren pse_573.002
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Ganzheit und Einheit jeder Dichtung gelten, daß aber zugleich pse_573.004
besondere technische Mittel gekonnt sein müssen, um pse_573.005
ein wirkungsvolles Drama zu bauen. Diese Mittel sind entweder pse_573.006
aus der Überlieferung übernommen oder im Kampf pse_573.007
gegen sie neu errungen worden. Die neu errungenen werden pse_573.008
dann wieder weiter überliefert. Wir schneiden zuerst aus dem pse_573.009
Ganzen eines Dramas gewisse Schichten heraus, die sich bieten, pse_573.010
wenn man das Werk von bestimmten Standpunkten aus betrachtet: pse_573.011
Vorgang, Handlung, Raum und Zeit, Personen. pse_573.012
Dann betrachten wir die einzelnen künstlerischen Gestaltungskräfte, pse_573.013
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des »Ödipus«: die Pest ist ausgebrochen, und man erfährt, pse_573.021
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er ganz klar umgrenzt wird, wirkt er also symbolisch für diese pse_573.028
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Gemäß dem dramatischen Weltbild vollzieht er sich anders pse_573.030
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Glück oder Unglück zu, er steht unter ihrer Macht. pse_573.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/589>, abgerufen am 22.11.2024.
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