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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Seele spiegeln. In ihrer Entfaltung, in ihrem Schicksal, die pse_551.002
Kern der ganzen Darstellung sind, wird die Welt um sie pse_551.003
herum greifbar. Man kann das Figurenroman nennen. Zum pse_551.004
erstenmal erscheint diese Art in besonderer Deutlichkeit im pse_551.005
"Werther". Man kann hier herein den Bildungsroman stellen, pse_551.006
auch den Schelmenroman, in dem sich Abenteuer an Abenteuer pse_551.007
reiht. Wenn man aber die "Lehrjahre" hier ausschaltet, pse_551.008
zeigt sich, daß auch diese Typologie keine eindeutige Zuordnung pse_551.009
und Aufteilung gestattet, sondern eben nur Gesichtspunkte, pse_551.010
nach denen der Gehalt und vor allem der künstlerische pse_551.011
Bau betrachtet werden können.

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Eine andere Sicht ergibt sich, wenn man fragt, wie sich das pse_551.013
Verhältnis des Menscheninneren zur Welt im Roman entfaltet pse_551.014
(Lukacs). Meist wird sich dabei zeigen, daß Seele und pse_551.015
Welt einander unangemessen sind, daß Spannungen zwischen pse_551.016
ihnen bestehen, deren Beschaffenheit Einteilungsmöglichkeiten pse_551.017
ergibt. Ist die Seele schmäler als die ihr zugeordnete pse_551.018
Welt, so lebt sie an ihr vorbei, will ein Ideal verwirklichen, pse_551.019
dem die Welt nicht genügt; die Seele entzaubert also die pse_551.020
Welt von ihrem Standpunkt aus. Das Innere des Menschen pse_551.021
bleibt hier unverändert, es ist reine Aktivität, aber nicht im pse_551.022
Kampf gegen die Welt, sondern im Vorbeigehen an ihr. In pse_551.023
reiner Form kann man diesen abstrakten Idealismus im "Don pse_551.024
Quijote" sehen. Man fragt sich allerdings, ob da überhaupt pse_551.025
ein Verhältnis zwischen beiden vorhanden ist und nicht bloß pse_551.026
ein reines Nebeneinander. Die Seele kann aber auch breiter pse_551.027
angelegt sein als das Schicksal, das ihr die Welt zu bieten vermag. pse_551.028
Hier wird eine reiche, in sich vollendete innere Wirklichkeit pse_551.029
aufgebaut. Die innere Fülle und Selbstsicherheit führt pse_551.030
zum Ausweichen vor der Welt, zu einer gewissen Passivität. pse_551.031
Desillusion der Welt, Maßlosigkeit und Einsamkeit sind die pse_551.032
Folge. Sicherlich gehen nicht alle Romane in diesen beiden pse_551.033
Formen auf, weil ja einleuchtenderweise das nicht die einzigen pse_551.034
Möglichkeiten sind, wie sich Seele und Welt begegnen. pse_551.035
Man hat daher behauptet, daß der "Wilhelm Meister" eine pse_551.036
Vereinigung beider Typen sei.

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Die immer größer werdende Weltfülle und die innere pse_551.038
Widersprüchlichkeit dieser Fülle stellen an den Roman, wenn

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Seele spiegeln. In ihrer Entfaltung, in ihrem Schicksal, die pse_551.002
Kern der ganzen Darstellung sind, wird die Welt um sie pse_551.003
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»Werther«. Man kann hier herein den Bildungsroman stellen, pse_551.006
auch den Schelmenroman, in dem sich Abenteuer an Abenteuer pse_551.007
reiht. Wenn man aber die »Lehrjahre« hier ausschaltet, pse_551.008
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und Aufteilung gestattet, sondern eben nur Gesichtspunkte, pse_551.010
nach denen der Gehalt und vor allem der künstlerische pse_551.011
Bau betrachtet werden können.

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Eine andere Sicht ergibt sich, wenn man fragt, wie sich das pse_551.013
Verhältnis des Menscheninneren zur Welt im Roman entfaltet pse_551.014
(Lukàcs). Meist wird sich dabei zeigen, daß Seele und pse_551.015
Welt einander unangemessen sind, daß Spannungen zwischen pse_551.016
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Welt, so lebt sie an ihr vorbei, will ein Ideal verwirklichen, pse_551.019
dem die Welt nicht genügt; die Seele entzaubert also die pse_551.020
Welt von ihrem Standpunkt aus. Das Innere des Menschen pse_551.021
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Kampf gegen die Welt, sondern im Vorbeigehen an ihr. In pse_551.023
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Quijote« sehen. Man fragt sich allerdings, ob da überhaupt pse_551.025
ein Verhältnis zwischen beiden vorhanden ist und nicht bloß pse_551.026
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angelegt sein als das Schicksal, das ihr die Welt zu bieten vermag. pse_551.028
Hier wird eine reiche, in sich vollendete innere Wirklichkeit pse_551.029
aufgebaut. Die innere Fülle und Selbstsicherheit führt pse_551.030
zum Ausweichen vor der Welt, zu einer gewissen Passivität. pse_551.031
Desillusion der Welt, Maßlosigkeit und Einsamkeit sind die pse_551.032
Folge. Sicherlich gehen nicht alle Romane in diesen beiden pse_551.033
Formen auf, weil ja einleuchtenderweise das nicht die einzigen pse_551.034
Möglichkeiten sind, wie sich Seele und Welt begegnen. pse_551.035
Man hat daher behauptet, daß der »Wilhelm Meister« eine pse_551.036
Vereinigung beider Typen sei.

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Die immer größer werdende Weltfülle und die innere pse_551.038
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[551/0567] pse_551.001 Seele spiegeln. In ihrer Entfaltung, in ihrem Schicksal, die pse_551.002 Kern der ganzen Darstellung sind, wird die Welt um sie pse_551.003 herum greifbar. Man kann das Figurenroman nennen. Zum pse_551.004 erstenmal erscheint diese Art in besonderer Deutlichkeit im pse_551.005 »Werther«. Man kann hier herein den Bildungsroman stellen, pse_551.006 auch den Schelmenroman, in dem sich Abenteuer an Abenteuer pse_551.007 reiht. Wenn man aber die »Lehrjahre« hier ausschaltet, pse_551.008 zeigt sich, daß auch diese Typologie keine eindeutige Zuordnung pse_551.009 und Aufteilung gestattet, sondern eben nur Gesichtspunkte, pse_551.010 nach denen der Gehalt und vor allem der künstlerische pse_551.011 Bau betrachtet werden können. pse_551.012 Eine andere Sicht ergibt sich, wenn man fragt, wie sich das pse_551.013 Verhältnis des Menscheninneren zur Welt im Roman entfaltet pse_551.014 (Lukàcs). Meist wird sich dabei zeigen, daß Seele und pse_551.015 Welt einander unangemessen sind, daß Spannungen zwischen pse_551.016 ihnen bestehen, deren Beschaffenheit Einteilungsmöglichkeiten pse_551.017 ergibt. Ist die Seele schmäler als die ihr zugeordnete pse_551.018 Welt, so lebt sie an ihr vorbei, will ein Ideal verwirklichen, pse_551.019 dem die Welt nicht genügt; die Seele entzaubert also die pse_551.020 Welt von ihrem Standpunkt aus. Das Innere des Menschen pse_551.021 bleibt hier unverändert, es ist reine Aktivität, aber nicht im pse_551.022 Kampf gegen die Welt, sondern im Vorbeigehen an ihr. In pse_551.023 reiner Form kann man diesen abstrakten Idealismus im »Don pse_551.024 Quijote« sehen. Man fragt sich allerdings, ob da überhaupt pse_551.025 ein Verhältnis zwischen beiden vorhanden ist und nicht bloß pse_551.026 ein reines Nebeneinander. Die Seele kann aber auch breiter pse_551.027 angelegt sein als das Schicksal, das ihr die Welt zu bieten vermag. pse_551.028 Hier wird eine reiche, in sich vollendete innere Wirklichkeit pse_551.029 aufgebaut. Die innere Fülle und Selbstsicherheit führt pse_551.030 zum Ausweichen vor der Welt, zu einer gewissen Passivität. pse_551.031 Desillusion der Welt, Maßlosigkeit und Einsamkeit sind die pse_551.032 Folge. Sicherlich gehen nicht alle Romane in diesen beiden pse_551.033 Formen auf, weil ja einleuchtenderweise das nicht die einzigen pse_551.034 Möglichkeiten sind, wie sich Seele und Welt begegnen. pse_551.035 Man hat daher behauptet, daß der »Wilhelm Meister« eine pse_551.036 Vereinigung beider Typen sei. pse_551.037 Die immer größer werdende Weltfülle und die innere pse_551.038 Widersprüchlichkeit dieser Fülle stellen an den Roman, wenn

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/567>, abgerufen am 25.11.2024.