pse_542.001 der Menschen und der Welt, die der Romandichter pse_542.002 zu bewältigen hat, leichter in dieser ungeordneten Vielgestalt pse_542.003 formen kann. Aber man spricht vielleicht mit Recht von ritterlichen pse_542.004 Versromanen wie dem "Iwein" und dem "Tristan", pse_542.005 weil hier die Welt doch schon sehr von einem ganz persönlichen pse_542.006 Schicksal eines Einzelwesens gesehen wird und es auf pse_542.007 diesen Einzelmenschen ankommt. Und man hat ebenso mit pse_542.008 Recht von manchen neueren Werken gsagt, sie seien eine Art pse_542.009 Prosa-Epos. Am meisten wohl gilt das für Stifters "Witiko". pse_542.010 Die Sprachgestaltung ist trotz der Prosa rhythmisch ganz pse_542.011 eigenartig und unverkennbar durchgebildet, die Bilder und pse_542.012 die Formeln arbeiten auf das Dauernde und Gegründete hin.
pse_542.013 Da die künstlerische Gestaltung des Romans so eng mit der pse_542.014 Art des Weltergreifens zusammenhängt, ergibt sich, daß mit pse_542.015 der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Welt auch neue pse_542.016 Formmöglichkeiten im Roman ausgebildet werden. Besonders pse_542.017 heute sucht man im Roman immer neue Formen der pse_542.018 künstlerischen Darstellung, Einbau verschiedenster Sprachdarstellungen pse_542.019 und neue rhythmisch-klangliche Gebilde. Auch pse_542.020 die Tatsache, daß heute der Autor dem Leser nur mehr über pse_542.021 das bedruckte Papier begegnet, ist formal nicht ohne Bedeutung. pse_542.022 So herrscht vielfach ein kühnes Experimentieren, und pse_542.023 die Rationalisierung macht sich auch hier schon bemerkbar. pse_542.024 Freilich ist es falsch, wenn man bewußtes und durch Denken pse_542.025 geleitetes künstlerisches Schaffen nur der heutigen Zeit zubilligt pse_542.026 und meint, früher habe man "unbewußt" geschaffen. pse_542.027 Auch Dichter früherer Zeiten haben denkend gebaut, aber pse_542.028 es sind dann trotzdem geschlossene Kunstwerke entstanden. pse_542.029 Heute besteht die Gefahr bloßer Konstruktion im Romanschaffen.
pse_542.030
pse_542.031 Für die Gestaltungsmöglichkeiten des Romans als einer pse_542.032 großepischen Art ist natürlich der Ausgangspunkt, daß auch pse_542.033 er eine erzählte Geschichte ist. In ihm wird ein freilich oft sehr pse_542.034 ausgedehnter und reich entfalteter Vorgang von einem pse_542.035 Menschen erzählt. Dazu gehört vor allem ein innerer Zusammenhang pse_542.036 des Erzählten. Der Vorgang muß im großen pse_542.037 gesehen eine höhere Einheit bilden, er muß durch Einmaligkeit pse_542.038 gekennzeichnet sein. Der Positivismus des 19. Jahrhunderts,
pse_542.001 der Menschen und der Welt, die der Romandichter pse_542.002 zu bewältigen hat, leichter in dieser ungeordneten Vielgestalt pse_542.003 formen kann. Aber man spricht vielleicht mit Recht von ritterlichen pse_542.004 Versromanen wie dem »Iwein« und dem »Tristan«, pse_542.005 weil hier die Welt doch schon sehr von einem ganz persönlichen pse_542.006 Schicksal eines Einzelwesens gesehen wird und es auf pse_542.007 diesen Einzelmenschen ankommt. Und man hat ebenso mit pse_542.008 Recht von manchen neueren Werken gsagt, sie seien eine Art pse_542.009 Prosa-Epos. Am meisten wohl gilt das für Stifters »Witiko«. pse_542.010 Die Sprachgestaltung ist trotz der Prosa rhythmisch ganz pse_542.011 eigenartig und unverkennbar durchgebildet, die Bilder und pse_542.012 die Formeln arbeiten auf das Dauernde und Gegründete hin.
pse_542.013 Da die künstlerische Gestaltung des Romans so eng mit der pse_542.014 Art des Weltergreifens zusammenhängt, ergibt sich, daß mit pse_542.015 der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Welt auch neue pse_542.016 Formmöglichkeiten im Roman ausgebildet werden. Besonders pse_542.017 heute sucht man im Roman immer neue Formen der pse_542.018 künstlerischen Darstellung, Einbau verschiedenster Sprachdarstellungen pse_542.019 und neue rhythmisch-klangliche Gebilde. Auch pse_542.020 die Tatsache, daß heute der Autor dem Leser nur mehr über pse_542.021 das bedruckte Papier begegnet, ist formal nicht ohne Bedeutung. pse_542.022 So herrscht vielfach ein kühnes Experimentieren, und pse_542.023 die Rationalisierung macht sich auch hier schon bemerkbar. pse_542.024 Freilich ist es falsch, wenn man bewußtes und durch Denken pse_542.025 geleitetes künstlerisches Schaffen nur der heutigen Zeit zubilligt pse_542.026 und meint, früher habe man »unbewußt« geschaffen. pse_542.027 Auch Dichter früherer Zeiten haben denkend gebaut, aber pse_542.028 es sind dann trotzdem geschlossene Kunstwerke entstanden. pse_542.029 Heute besteht die Gefahr bloßer Konstruktion im Romanschaffen.
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pse_542.031 Für die Gestaltungsmöglichkeiten des Romans als einer pse_542.032 großepischen Art ist natürlich der Ausgangspunkt, daß auch pse_542.033 er eine erzählte Geschichte ist. In ihm wird ein freilich oft sehr pse_542.034 ausgedehnter und reich entfalteter Vorgang von einem pse_542.035 Menschen erzählt. Dazu gehört vor allem ein innerer Zusammenhang pse_542.036 des Erzählten. Der Vorgang muß im großen pse_542.037 gesehen eine höhere Einheit bilden, er muß durch Einmaligkeit pse_542.038 gekennzeichnet sein. Der Positivismus des 19. Jahrhunderts,
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der Menschen und der Welt, die der Romandichter pse_542.002
zu bewältigen hat, leichter in dieser ungeordneten Vielgestalt pse_542.003
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Versromanen wie dem »Iwein« und dem »Tristan«, pse_542.005
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diesen Einzelmenschen ankommt. Und man hat ebenso mit pse_542.008
Recht von manchen neueren Werken gsagt, sie seien eine Art pse_542.009
Prosa-Epos. Am meisten wohl gilt das für Stifters »Witiko«. pse_542.010
Die Sprachgestaltung ist trotz der Prosa rhythmisch ganz pse_542.011
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die Formeln arbeiten auf das Dauernde und Gegründete hin.
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Da die künstlerische Gestaltung des Romans so eng mit der pse_542.014
Art des Weltergreifens zusammenhängt, ergibt sich, daß mit pse_542.015
der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Welt auch neue pse_542.016
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heute sucht man im Roman immer neue Formen der pse_542.018
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die Tatsache, daß heute der Autor dem Leser nur mehr über pse_542.021
das bedruckte Papier begegnet, ist formal nicht ohne Bedeutung. pse_542.022
So herrscht vielfach ein kühnes Experimentieren, und pse_542.023
die Rationalisierung macht sich auch hier schon bemerkbar. pse_542.024
Freilich ist es falsch, wenn man bewußtes und durch Denken pse_542.025
geleitetes künstlerisches Schaffen nur der heutigen Zeit zubilligt pse_542.026
und meint, früher habe man »unbewußt« geschaffen. pse_542.027
Auch Dichter früherer Zeiten haben denkend gebaut, aber pse_542.028
es sind dann trotzdem geschlossene Kunstwerke entstanden. pse_542.029
Heute besteht die Gefahr bloßer Konstruktion im Romanschaffen.
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pse_542.031
Für die Gestaltungsmöglichkeiten des Romans als einer pse_542.032
großepischen Art ist natürlich der Ausgangspunkt, daß auch pse_542.033
er eine erzählte Geschichte ist. In ihm wird ein freilich oft sehr pse_542.034
ausgedehnter und reich entfalteter Vorgang von einem pse_542.035
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/558>, abgerufen am 25.11.2024.
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