pse_038.001 keine Dichtung sind. Das Kennzeichnende für ein Sprachkunstwerk pse_038.002 ist eben die Sprachstruktur. Sobald die Sprache pse_038.003 mehr ist als bloß Verständigungsmittel, mehr will als bloße pse_038.004 Mitteilung eines gedanklichen Zusammenhangs, sobald die pse_038.005 Sprache in ihrer Fülle wirkt und eine Welt in sich durch diese pse_038.006 Kräfte aufbaut, sobald dabei das Menschliche und Gemüthafte pse_038.007 wichtig wird, sprechen wir von Sprachkunstwerk. pse_038.008 Freilich gibt es Übergänge und Mischformen. Ein Geschichtswerk pse_038.009 (Thukydides, Tacitus) kann unter Umständen schon pse_038.010 ein Kunstwerk sein, ebenso eine geographische Landschaftsschilderung. pse_038.011 Die geschichtlichen Gestalten und Landschaftsformen pse_038.012 gewinnen da durch die Fülle und Kraft der Sprache pse_038.013 Eigenleben, man vergißt vielleicht schon beinahe die gemeinte pse_038.014 Wirklichkeit außerhalb der Sprache, man spürt das pse_038.015 Ergriffene und das Gemüt. Es ist aber auch möglich, daß pse_038.016 sprachkünstlerische Einsprengsel sich in Sachdarstellungen pse_038.017 finden. Einschübe von Sachdarstellung in Dichtung, also pse_038.018 das Umgekehrte, haben wir später zu prüfen. Aber gerade die pse_038.019 klare Erkenntnis der sprachlichen Eigentümlichkeiten der pse_038.020 Sachdarstellung und der Sprachkunst hilft uns, eben die pse_038.021 sprachliche Eigentümlichkeit solcher Grenzfälle oder Mischwerke pse_038.022 zu beurteilen und zu werten.
pse_038.023 Auch die Übergänge von Sprachkunst überhaupt zu Dichtung pse_038.024 im engeren Sinn sind nicht einfach festzustellen. Ganz pse_038.025 allgemein mag als Richtlinie gelten: sobald das sprachkünstlerische pse_038.026 Gebilde so wirkt, daß es nicht mehr auf Außersprachliches pse_038.027 hinweist, sobald man in der sprachlichen Welt eingeschlossen pse_038.028 bleibt, liegt schon Dichtung vor. Sicher sind die pse_038.029 Grenzen fließend. Zwei Beispiele. Wenn man im Briefwechsel pse_038.030 zwischen Goethe und Schiller liest, nimmt man die pse_038.031 sprachlichen Gebilde doch für eine Mitteilung von etwas pse_038.032 Außersprachlichem. Sie sind sicher keine Dichtung. Bei pse_038.033 manchen Briefen von Goethe an Frau von Stein, besonders pse_038.034 den ersten aus Italien, mag man schon zweifeln. Sie sind sicher pse_038.035 Sprachkunstwerke, aber manchmal vergißt man über der pse_038.036 künstlerischen Gestalt dieser Briefe schon den realen Bezug pse_038.037 zur Außenwelt. Die Briefe aber, die den "Werther" oder den pse_038.038 "Hyperion" bilden, sind Dichtung. Wir denken gar nicht
pse_038.001 keine Dichtung sind. Das Kennzeichnende für ein Sprachkunstwerk pse_038.002 ist eben die Sprachstruktur. Sobald die Sprache pse_038.003 mehr ist als bloß Verständigungsmittel, mehr will als bloße pse_038.004 Mitteilung eines gedanklichen Zusammenhangs, sobald die pse_038.005 Sprache in ihrer Fülle wirkt und eine Welt in sich durch diese pse_038.006 Kräfte aufbaut, sobald dabei das Menschliche und Gemüthafte pse_038.007 wichtig wird, sprechen wir von Sprachkunstwerk. pse_038.008 Freilich gibt es Übergänge und Mischformen. Ein Geschichtswerk pse_038.009 (Thukydides, Tacitus) kann unter Umständen schon pse_038.010 ein Kunstwerk sein, ebenso eine geographische Landschaftsschilderung. pse_038.011 Die geschichtlichen Gestalten und Landschaftsformen pse_038.012 gewinnen da durch die Fülle und Kraft der Sprache pse_038.013 Eigenleben, man vergißt vielleicht schon beinahe die gemeinte pse_038.014 Wirklichkeit außerhalb der Sprache, man spürt das pse_038.015 Ergriffene und das Gemüt. Es ist aber auch möglich, daß pse_038.016 sprachkünstlerische Einsprengsel sich in Sachdarstellungen pse_038.017 finden. Einschübe von Sachdarstellung in Dichtung, also pse_038.018 das Umgekehrte, haben wir später zu prüfen. Aber gerade die pse_038.019 klare Erkenntnis der sprachlichen Eigentümlichkeiten der pse_038.020 Sachdarstellung und der Sprachkunst hilft uns, eben die pse_038.021 sprachliche Eigentümlichkeit solcher Grenzfälle oder Mischwerke pse_038.022 zu beurteilen und zu werten.
pse_038.023 Auch die Übergänge von Sprachkunst überhaupt zu Dichtung pse_038.024 im engeren Sinn sind nicht einfach festzustellen. Ganz pse_038.025 allgemein mag als Richtlinie gelten: sobald das sprachkünstlerische pse_038.026 Gebilde so wirkt, daß es nicht mehr auf Außersprachliches pse_038.027 hinweist, sobald man in der sprachlichen Welt eingeschlossen pse_038.028 bleibt, liegt schon Dichtung vor. Sicher sind die pse_038.029 Grenzen fließend. Zwei Beispiele. Wenn man im Briefwechsel pse_038.030 zwischen Goethe und Schiller liest, nimmt man die pse_038.031 sprachlichen Gebilde doch für eine Mitteilung von etwas pse_038.032 Außersprachlichem. Sie sind sicher keine Dichtung. Bei pse_038.033 manchen Briefen von Goethe an Frau von Stein, besonders pse_038.034 den ersten aus Italien, mag man schon zweifeln. Sie sind sicher pse_038.035 Sprachkunstwerke, aber manchmal vergißt man über der pse_038.036 künstlerischen Gestalt dieser Briefe schon den realen Bezug pse_038.037 zur Außenwelt. Die Briefe aber, die den »Werther« oder den pse_038.038 »Hyperion« bilden, sind Dichtung. Wir denken gar nicht
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mehr ist als bloß Verständigungsmittel, mehr will als bloße pse_038.004
Mitteilung eines gedanklichen Zusammenhangs, sobald die pse_038.005
Sprache in ihrer Fülle wirkt und eine Welt in sich durch diese pse_038.006
Kräfte aufbaut, sobald dabei das Menschliche und Gemüthafte pse_038.007
wichtig wird, sprechen wir von Sprachkunstwerk. pse_038.008
Freilich gibt es Übergänge und Mischformen. Ein Geschichtswerk pse_038.009
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gewinnen da durch die Fülle und Kraft der Sprache pse_038.013
Eigenleben, man vergißt vielleicht schon beinahe die gemeinte pse_038.014
Wirklichkeit außerhalb der Sprache, man spürt das pse_038.015
Ergriffene und das Gemüt. Es ist aber auch möglich, daß pse_038.016
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Sachdarstellung und der Sprachkunst hilft uns, eben die pse_038.021
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pse_038.023
Auch die Übergänge von Sprachkunst überhaupt zu Dichtung pse_038.024
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allgemein mag als Richtlinie gelten: sobald das sprachkünstlerische pse_038.026
Gebilde so wirkt, daß es nicht mehr auf Außersprachliches pse_038.027
hinweist, sobald man in der sprachlichen Welt eingeschlossen pse_038.028
bleibt, liegt schon Dichtung vor. Sicher sind die pse_038.029
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zwischen Goethe und Schiller liest, nimmt man die pse_038.031
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Außersprachlichem. Sie sind sicher keine Dichtung. Bei pse_038.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/54>, abgerufen am 27.11.2024.
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