pse_482.001 der Nebel oder der Regen einfallen muß, wenn etwas Trauriges pse_482.002 erzählt werden soll.
pse_482.003 Weltbildung
pse_482.004 Das epische Werk vermag um den Vorgang eine Atmosphäre pse_482.005 zu legen. So entsteht ein Raum in seiner Fülle, in dem pse_482.006 sich der Vorgang abspielt, in dem er sich -- besonders im pse_482.007 großen Epos -- auch ausbreiten kann. Damit wird ein Blick pse_482.008 in die Welt geöffnet, es entsteht ein Welt-Bild. Aber solche pse_482.009 Weltbildung kann verschieden stark sein. Hierin liegt schon pse_482.010 ein Unterschied zwischen Epos und Ballade, Roman und pse_482.011 Novelle. Aber auch Dramatik und Epik unterscheiden sich pse_482.012 dadurch. Das Drama stellt mehr die einzelnen Gestalten heraus, pse_482.013 es entstehen plastische Gruppen, weniger eine Atmosphäre. pse_482.014 Diese muß aber nicht fehlen. Man denke an den pse_482.015 "Agamemnon" des Aischylos und an die raffinierte Atmosphärengestaltung pse_482.016 im sogenannten Schicksalsdrama. Aber pse_482.017 dem Roman und dem Epos gelingt solche Atmosphärengestaltung pse_482.018 in besonderem Maße. Das bedingt keine Wertunterschiede. pse_482.019 Durch drei Kräfte entsteht ein solches Weltbild: pse_482.020 durch die Zeitgestaltung, die Raumgestaltung und durch die pse_482.021 dargestellten Personen.
pse_482.022 Die Zeitgestaltung ist in einem Dichtwerk, das einen Vorgang pse_482.023 gestaltet, von besonderer Wichtigkeit. Jede Formung pse_482.024 eines Vorgangs muß zur Zeit überhaupt in Bezug stehen, da pse_482.025 wir aus unserer menschlichen Art heraus Vorgänge gar nicht pse_482.026 anders als zeitlich erfassen können. Zeitloses Erfassen von pse_482.027 Vorgängen ist also auch der Dichtung nicht möglich. Hier pse_482.028 stehen wir wieder an einem Punkt, wo die Dichtung unbedingte pse_482.029 Beziehungen zur außersprachlichen Wirklichkeit hat. pse_482.030 Zugleich ist gerade das Erfassen des Zeitlichen im Erleben pse_482.031 eines Geschehens ein Ansatzpunkt, die Verschiedenheiten pse_482.032 epischen Gestaltens zu überblicken. Gotthelf etwa erzählt pse_482.033 einsinnig, die "Odyssee" und die erste Fassung des "Grünen pse_482.034 Heinrich" bauen bestimmte Zeitabschnitte in andere hinein. pse_482.035 Im "Hyperion" beginnt der zeitliche Ablauf des brieflichen pse_482.036 Erzählens dort, wo das im Briefwerk erzählte Geschehen
pse_482.001 der Nebel oder der Regen einfallen muß, wenn etwas Trauriges pse_482.002 erzählt werden soll.
pse_482.003 Weltbildung
pse_482.004 Das epische Werk vermag um den Vorgang eine Atmosphäre pse_482.005 zu legen. So entsteht ein Raum in seiner Fülle, in dem pse_482.006 sich der Vorgang abspielt, in dem er sich — besonders im pse_482.007 großen Epos — auch ausbreiten kann. Damit wird ein Blick pse_482.008 in die Welt geöffnet, es entsteht ein Welt-Bild. Aber solche pse_482.009 Weltbildung kann verschieden stark sein. Hierin liegt schon pse_482.010 ein Unterschied zwischen Epos und Ballade, Roman und pse_482.011 Novelle. Aber auch Dramatik und Epik unterscheiden sich pse_482.012 dadurch. Das Drama stellt mehr die einzelnen Gestalten heraus, pse_482.013 es entstehen plastische Gruppen, weniger eine Atmosphäre. pse_482.014 Diese muß aber nicht fehlen. Man denke an den pse_482.015 »Agamemnon« des Aischylos und an die raffinierte Atmosphärengestaltung pse_482.016 im sogenannten Schicksalsdrama. Aber pse_482.017 dem Roman und dem Epos gelingt solche Atmosphärengestaltung pse_482.018 in besonderem Maße. Das bedingt keine Wertunterschiede. pse_482.019 Durch drei Kräfte entsteht ein solches Weltbild: pse_482.020 durch die Zeitgestaltung, die Raumgestaltung und durch die pse_482.021 dargestellten Personen.
pse_482.022 Die Zeitgestaltung ist in einem Dichtwerk, das einen Vorgang pse_482.023 gestaltet, von besonderer Wichtigkeit. Jede Formung pse_482.024 eines Vorgangs muß zur Zeit überhaupt in Bezug stehen, da pse_482.025 wir aus unserer menschlichen Art heraus Vorgänge gar nicht pse_482.026 anders als zeitlich erfassen können. Zeitloses Erfassen von pse_482.027 Vorgängen ist also auch der Dichtung nicht möglich. Hier pse_482.028 stehen wir wieder an einem Punkt, wo die Dichtung unbedingte pse_482.029 Beziehungen zur außersprachlichen Wirklichkeit hat. pse_482.030 Zugleich ist gerade das Erfassen des Zeitlichen im Erleben pse_482.031 eines Geschehens ein Ansatzpunkt, die Verschiedenheiten pse_482.032 epischen Gestaltens zu überblicken. Gotthelf etwa erzählt pse_482.033 einsinnig, die »Odyssee« und die erste Fassung des »Grünen pse_482.034 Heinrich« bauen bestimmte Zeitabschnitte in andere hinein. pse_482.035 Im »Hyperion« beginnt der zeitliche Ablauf des brieflichen pse_482.036 Erzählens dort, wo das im Briefwerk erzählte Geschehen
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[482/0498]
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dadurch. Das Drama stellt mehr die einzelnen Gestalten heraus, pse_482.013
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»Agamemnon« des Aischylos und an die raffinierte Atmosphärengestaltung pse_482.016
im sogenannten Schicksalsdrama. Aber pse_482.017
dem Roman und dem Epos gelingt solche Atmosphärengestaltung pse_482.018
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Durch drei Kräfte entsteht ein solches Weltbild: pse_482.020
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stehen wir wieder an einem Punkt, wo die Dichtung unbedingte pse_482.029
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epischen Gestaltens zu überblicken. Gotthelf etwa erzählt pse_482.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/498>, abgerufen am 22.11.2024.
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