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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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an Homer herausarbeitet, aber es wäre einseitig, wenn man pse_465.002
die Möglichkeiten des Erzählens nur an Homer abläse. Denn pse_465.003
sicher sind auch Heldenlied, Ballade, Novelle auf die Grundform pse_465.004
des Erzählens zurückzuführen, aber nicht mit der Art pse_465.005
des zuschauenden Gleichmuts der großen Epen oder Romane pse_465.006
zusammenzubringen. Es scheinen sich also zwei Arten des pse_465.007
Erzählens abzuzeichnen.

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Das legt schon der Umfang des Erzählten oder die Länge pse_465.009
der Erzählung nahe. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, pse_465.010
einen großen Geschichtsumriß, also einen umfangreichen pse_465.011
Stoff, episch zu gestalten. Eine Langform dehnt das Ganze aus, pse_465.012
läßt es in der Zeit verlaufen, geht in die Tiefe des Seelischen, pse_465.013
so in vielen modernen Romanen, wo je in einem Augenblick pse_465.014
die ganzen Schichten des Bewußten und Unterbewußten pse_465.015
eines Menschen breit abgehoben werden, und liebt eine große pse_465.016
Episodenfülle. Eine Kurzform zeigt ein zerklüftetes Erzählgerüst. pse_465.017
Einzelne Phasen erscheinen nur als Hilfe und Brücke, pse_465.018
um zu etwas, was dem Erzähler viel wichtiger ist, rasch pse_465.019
hinüberzuführen. Mit der Episodenfülle aber ändert sich zugleich pse_465.020
das Grundgerüst des Erzählens. Die bloße Aufeinanderfolge pse_465.021
der einzelnen Phasen ist nicht mehr das alleinige gestaltende pse_465.022
Prinzip solchen Erzählens. Auch können große pse_465.023
Zeitspannen in einer Erzählung mehr leitmotivischen und pse_465.024
symbolischen Wert haben: sie sollen andeuten, daß mit dem pse_465.025
Geschehen ein großer Zeitraum ausgefüllt wird, sie sollen den pse_465.026
Eindruck der Fülle in der Zeit gewähren. Aber man darf dann pse_465.027
nicht mehr zu rechnen anfangen. Epenhelden altern nicht: pse_465.028
Odysseus, Nestor (er ist immer alt), Giselher, der immer der pse_465.029
Junge bleibt, auch Siegfried und teilweise Kriemhild. Die pse_465.030
einmal gewählte Größenordnung, die der Dichter einem pse_465.031
epischen Werk zugrundelegt, ist maßgebend für das, was pse_465.032
überhaupt in diesem gebracht oder nicht gebracht werden pse_465.033
kann.

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So ist also schon Länge und Kürze einer Erzählung keine pse_465.035
bloße Äußerlichkeit, sondern bedingt Gestaltungsunterschiede. pse_465.036
Aber die Frage des Umfangs führt nur hin zu einer pse_465.037
ganz wesentlichen Unterscheidung zweier Erzählweisen. pse_465.038
Auch für sie können wir jederzeit Lagen im Alltagsleben

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an Homer herausarbeitet, aber es wäre einseitig, wenn man pse_465.002
die Möglichkeiten des Erzählens nur an Homer abläse. Denn pse_465.003
sicher sind auch Heldenlied, Ballade, Novelle auf die Grundform pse_465.004
des Erzählens zurückzuführen, aber nicht mit der Art pse_465.005
des zuschauenden Gleichmuts der großen Epen oder Romane pse_465.006
zusammenzubringen. Es scheinen sich also zwei Arten des pse_465.007
Erzählens abzuzeichnen.

pse_465.008
Das legt schon der Umfang des Erzählten oder die Länge pse_465.009
der Erzählung nahe. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, pse_465.010
einen großen Geschichtsumriß, also einen umfangreichen pse_465.011
Stoff, episch zu gestalten. Eine Langform dehnt das Ganze aus, pse_465.012
läßt es in der Zeit verlaufen, geht in die Tiefe des Seelischen, pse_465.013
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eines Menschen breit abgehoben werden, und liebt eine große pse_465.016
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Einzelne Phasen erscheinen nur als Hilfe und Brücke, pse_465.018
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das Grundgerüst des Erzählens. Die bloße Aufeinanderfolge pse_465.021
der einzelnen Phasen ist nicht mehr das alleinige gestaltende pse_465.022
Prinzip solchen Erzählens. Auch können große pse_465.023
Zeitspannen in einer Erzählung mehr leitmotivischen und pse_465.024
symbolischen Wert haben: sie sollen andeuten, daß mit dem pse_465.025
Geschehen ein großer Zeitraum ausgefüllt wird, sie sollen den pse_465.026
Eindruck der Fülle in der Zeit gewähren. Aber man darf dann pse_465.027
nicht mehr zu rechnen anfangen. Epenhelden altern nicht: pse_465.028
Odysseus, Nestor (er ist immer alt), Giselher, der immer der pse_465.029
Junge bleibt, auch Siegfried und teilweise Kriemhild. Die pse_465.030
einmal gewählte Größenordnung, die der Dichter einem pse_465.031
epischen Werk zugrundelegt, ist maßgebend für das, was pse_465.032
überhaupt in diesem gebracht oder nicht gebracht werden pse_465.033
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So ist also schon Länge und Kürze einer Erzählung keine pse_465.035
bloße Äußerlichkeit, sondern bedingt Gestaltungsunterschiede. pse_465.036
Aber die Frage des Umfangs führt nur hin zu einer pse_465.037
ganz wesentlichen Unterscheidung zweier Erzählweisen. pse_465.038
Auch für sie können wir jederzeit Lagen im Alltagsleben

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/481>, abgerufen am 22.11.2024.